Geboren bin ich in Ostfriesland – und da macht man vieles (ja ja, Teebeutel-Weitwurf), aber eines nur selten: Pilze sammeln. Hier in Berlin und Brandenburg ist das anders. Das zeigen schon die Websites Pilz Ticker Brandenburg und Pilzforum.eu, auf der Pilzefans die besten Locations handeln. Mein Wald, in dem ich am Wochenende mit der Familie unterwegs war, gehört definitiv nicht dazu. Die Bilanz: kein einziger Pilz, dafür Zecken.
Eine Studie hat sich nun so umfassend wie nie zuvor der Pilz- und Beerenleidenschaft in Europa angenommen. Das niederländische Team hat erstmals zahlreiche Statistiken und Studien ausgewertet, wer in Europa eigentlich wildes Obst, Gemüse und Tiere sammelt. Das Ergebnis: Ich pirsche nicht allein. 14 Prozent der Europäer sind regelmäßig im Wald unterwegs und sammeln selbst. Mindestens 100 Millionen Europäer essen zudem regelmäßig wild food, wie die Autoren das essbare Waldangebot nennen.
In Europas Wäldern werden rund 150 Arten von Beeren, Pilzen und Früchten regelmäßig gesammelt. Zählt man alle auch nur regional vorkommenden Arten zusammen, kommt man auf rund 600. Dazu werden 38 Tierarten gejagt. Das mag auf den ersten Blick viel klingen. Aber schaut man sich die Relationen an, dann ist der ökonomische Wert vernachlässigbar. Vielmehr steht der Erholungsfaktor im Vordergrund und die Verbundenheit zur Natur, sagt Nynke Schulp, eine der Autorinnen der Studie.
Auffällig sind vor allem die regionalen Unterschiede. Vor allem in Osteuropa habe die Sammelkultur im Wald Tradition, sagt Schulp. Das könnte auch mit der Einkommenssituation der Bevölkerung in Zusammenhang stehen. Allerdings ändere sich gerade die Bedeutung: Das allgemeine Wirtschaftswachstum sorge dafür, dass immer weniger Menschen im Wald Früchte oder Pilze sammeln. Wer jemals in Schweden Urlaub gemacht hat, der weiß außerdem aus eigener Erfahrung: Die Skandinavier lieben das Beerensammeln. In Italien wird gerne gejagt, in den Niederlanden dagegen kaum. Wer Pilze sammelt, der macht das übrigens gerne in der Nachbarschaft, am liebsten in einem Umkreis von fünf Kilometern.
Die Studie zeigt außerdem: In den Wald zieht es in der Regel ältere Menschen. Darum wird oft die These vertreten, bald werde kaum noch jemand im Wald fürs Sammeln unterwegs sein. Schließlich leben auch immer mehr Menschen in Städten, der Bezug zur Natur gehe verloren. Doch nach Ansicht von Schulp ist das nicht so einfach: Gerade die Industrialisierung und Verstädterung treibe die Menschen wieder in den Wald, ist sie überzeugt. Vor allem die urban professionals würden den Charme des Sammelns gerade wiederentdecken. Auch die zunehmende Migration von Menschen von Ost nach West könne dazu führen, dass wieder mehr im Westen gesammelt wird.
Damit noch mehr Menschen den kulturellen Wert des Waldes erfahren können, plädiert Schulp für eine abwechslungsreiche Natur und leichten Zugang zu Wäldern und Flächen. Im Umkehrschluss würde das auch bedeuten: weg von der hochindustrialisierten Landwirtschaft.