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CO2 ist viel zu billig

 

Selten formuliert die Internationale Energie Agentur so pointiert. „Wir können uns nicht weitere 20 Jahre Apathie leisten“, sagte IEA-Geschäftsführerin Marion van der Hoeven während der Präsentation des aktuellen IEA-Reports Tracking Clean Energy Progress. Man brauche jetzt einen schnellen Ausbau der CO2-armen Energietechnologien, um die Klimaerwärmung in den Griff zu bekommen. Die vielen Sonntagsreden der Staatschefs und der Boom der Erneuerbaren Energien reichten nicht aus.

Das sind ungewöhnlich scharfe Worte aus Paris. Frau van der Hoeven macht vor allem diese Grafik Sorgen:

© IEA
© IEA

Sie zeigt die CO2-Intensität in der Energieproduktion, die IEA nennt das etwas umständlich Energy Sector Carbon Intensity Index. Vereinfacht gesagt zeigt die Grafik, wie klimafreundlich wir inzwischen unseren Strom produzieren.

Und da ist seit den siebziger Jahren kaum etwas passiert. Die graue Linie zeigt die bisherige Entwicklung an. Sie tingelt mehr oder weniger auf dem gleichen Niveau. Auch seit 2010 ist sie kaum gesunken.

Entscheidend für die Zukunft sind die drei anderen bunten Linien. Die blaue (2DS) steht für das Klimaschutzziel, die Erwärmung auf 2 Grad in den kommenden Jahrzehnten zu drosseln. Schaut man sich den Absturz der Kurve und die Historie an, kann mal wohl nur zu dem Schluss kommen: kaum mehr zu erreichen. Das 4DS-Szenario nimmt Rücksicht auf die bisher vereinbarten Klimaschutzziele und toleriert einen Temperaturanstieg von 4 Grad. Auch schon recht ehrgeizig. Und dann bleibt noch die violette Linie, das Weiterso-Szenario (6DS). Es würde zu einem Temperaturanstieg um 6 Grad führen, wahrlich keine schönen Aussichten. Aber sie verläuft auf bisherigem Niveau wie die aktuelle graue Linie.

Das Verrückte ist natürlich, dass man eigentlich intuitiv zu einem anderen Schluss kommen könnte. Schließlich boomen doch die Erneuerbaren Energien. Allein Solar wuchs im vergangenen Jahr weltweit um 42 Prozent bei der installierten Kapazität, Wind um 19 Prozent.

Doch das sind allesamt Projekte, die in den Jahren davor eingetütet wurden. Im vergangenen Jahr gingen die Investitionen in Erneuerbare weltweit um elf Prozent zurück. Wer heute nicht Geld in die Hand nimmt, der hat morgen auch keinen Offshore-Windpark oder ein Solarkraftwerk.

Im Gegenteil, es ist die Kohle, die weiterhin den Energiemarkt dominiert. Weltweit steigt ihr Verbrauch. Für die globale Klimapolitik ist es deshalb relativ egal, ob einzelne Staaten, etwa die USA nun von der Kohle zum Erdgas aus Schiefergestein wechseln (zumal dessen gesamte Klimabilanz noch umstritten ist). Kurzfristig habe dieser energy shift vielleicht positive Effekte, so van der Hoeven. Aber der Wechsel sei immer noch ein regionales Phänomen. Und es werde weltweit zu wenig Energie gespart.

Was also tun? Die IEA wäre nicht die IEA, wenn sie nicht auch die Atomkraft wieder ins Spiel bringen würde, die ja schließlich aus ihrer Sicht CO2-arm Energie liefert. Die Investitionsbedingungen für sie müssten sich bessern. Außerdem sollten die nach Fukushima geplanten Sicherheitsverbesserungen umgesetzt werden, um das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken.

Für die Erneuerbaren Energien empfehlen die Energiexperten einen Umbau des Marktsystems und vor allem stabile und transparente Marktbedingungen. Das sollte sich die Bundesregierung, die ja aktuell an der Strompreisbremse tüftelt, zu Herzen nehmen.

Am besten fand ich allerdings die Forderung für Gaskraftmärkte. Damit sie sich am Markt durchsetzen können, seien auf jeden Fall höhere CO2-Preise nötig. Eine klasse Forderung nach der gestrigen Entscheidung des Europaparlaments, den europäischen Emissionshandel erst einmal nicht zu reformieren. Aktueller CO2-Zertifikatspreis: 2,70 Euro. Ein Zehntel von dem, was nötig wäre, damit sich Klimaschutzmaßnahmen rentieren.