Wie viele Schüler scheitern am Gymnasium? 23 Prozent, sagt die Linke. 3,7 Prozent, sagt Walter Scheuerl. Beides sind eigenwillige Deutungen.
Dieser Tage lässt sich wunderbar beobachten, wie in der Bildungspolitik mit Zahlen getrickst wird. Am Montag veröffentlichte die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft eine Antwort des Senats auf eine Anfrage. Darin stehen Zahlen, wie viele Schüler aus welchen Jahrgangsstufen in den vergangenen Sommerferien vom Gymnasium auf eine Stadtteilschule wechseln mussten.
Fast jeder vierte Schüler müsse das Gymnasium im Laufe seiner Schulzeit wieder verlassen, schlussfolgerte Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn aus den Zahlen. Zwei Tage später meldete sich nun Hamburgs oberster Schulkritiker Walter Scheuerl via Newsletter zu Wort, die Interpretation der Linken sei so dramatisch wie falsch. Tatsächlich seien nur 3,7 Prozent der Gymnasiasten auf die Stadtteilschule gewechselt. Was stimmt?
Scheuerls Rechnung ist erst einmal richtig: Nach den Zahlen der Schulbehörde haben 1.474 Schüler das Gymnasium vor dem aktuellen Schuljahr verlassen müssen, das sind 3,7 Prozent der Gymnasiasten (ich erspare dem Leser hier die Diskussion, wie „Gesamtzahl der Gymnasiasten“ in der Senatsantwort zu interpretieren ist und verweise nur darauf, dass es auch 3,8 Prozent seien könnten).
Das Problem ist: Diese Zahl sagt leider wenig aus. Die wichtige Frage ist ja nicht, wie viele Schüler in einem Jahr das Gymnasium verlassen. Würde den Gymnasien jedes Jahr ein Viertel der Schüler verloren gehen, hätte man das auch ohne Statistik schnell gemerkt. Das würde nicht einmal die Linke behaupten. Die interessante Zahl ist eine andere: Wie viel Prozent eines Jahrgangs müssen das Gymnasium verlassen?
In den Sommerferien 2013 wechselten beispielsweise 770 der 6.832 Sechstklässler vom Gymnasium auf die Stadtteilschule. Das entspricht 11,3 Prozent des Jahrgangs – also allein in einer Jahrgangsstufe deutlich mehr als 3,7 Prozent. Man kann diese Abgängerquote für jeden Jahrgang ausrechnen. Nach der fünften Klasse etwa verlassen 2,2 Prozent, nach der neunten 2,5 und nach der zehnten Klasse 3,4 Prozent der Schüler des jeweiligen Jahrgangs das Gymnasium.
Wie kommt die Linke nun auf mehr als 20 Prozent? Die Linke addiert die Abgängerzahlen der einzelnen Jahrgänge und setzt sie ins Verhältnis zur durchschnittlichen Jahrgangsröße. Statistisch gesprochen interpretiert sie die Querschnittsdaten aus der Behörde (also Daten verschiedener Jahrgänge in einem Jahr) damit als Längsschnittsdaten (also Daten eines Jahrgangs in verschiedenen Jahren).
Dieses Vorgehen würde jeden Sozialwissenschaftler dazu bringen, schreiend den Raum zu verlassen. Denn diese Interpretation kann nur unter einer Annahme stimmen: Die von der Schulbehörde veröffentlichten Zahlen würden in jedem Jahr ähnlich aussehen.
Das scheint beim Blick auf leider nur sporadisch vorhandene ältere Zahlen aber nicht haltbar. Im Schuljahr 2009/2010 waren die Jahrgänge am Gymnasium im Schnitt leicht größer (die Daten kann man hier und hier vergleichen), dafür aber die Zahlen der Abgänger deutlich geringer (Zahlen hier).
Die Linke hat also eine Umdrehung zu viel gemacht. Dabei spricht einiges dafür, dass die Quote der Abgänger in den Jahrgangskohorten eher in die Richtung 20 Prozent gehen könnte als die 3,7 Prozent, die Scheuerl suggeriert. Wegen der Entscheidung der Lehrerkonferenzen am Ende der sechsten Klasse wechseln viele nach diesem Schuljahr auf die Stadtteilschule. Und zum Beginn der Oberstufe nach der zehnten Klasse wieder einige, die auf ein Jahr mehr zum Abitur setzen. Das lässt sich – wie oben erläutert – in der aktuellen Senatsantwort erkennen. Es lässt sich aber auch beim Blick in Schulstatistiken der vergangenen Jahre vermuten – wenn die Zahlen dort auch nicht sauber als Prozentzahlen zu interpretieren sind.
Kurzum: Der Linke hat versucht, sich ihre Interpretation aus den Daten zu basteln – das ist misslungen. Genauso grob irreführend ist aber auch Scheuerls Zahl, die mit der Frage der Linken überhaupt gar nichts zu tun hat, aber eben jene möglichst dumm dastehen lässt und für maximale Verwirrung sorgt.