Der Senat will den Fahrradverkehr fördern, betreibt aber Augenwischerei. Kollisionen mit der Realität sind da unausweichlich.
Es war der erste Samstag im Juli, als auf der Sülldorfer Landstraße eine Begegnung eskalierte. Mit dabei: ein SUV, ein radelndes Paar auf dem Weg zum Grillfleisch-Kauf im Supermarkt, eine genommene Vorfahrt. Dann eine wilde Prügelei zwischen Auto- und Fahrradfahrern. Vom Rücksitz aus schauten die Kinder zu.
Ein skurriler Einzelfall? Das wäre zu schön. Tatsächlich erinnert die Schlägerei in vielen Punkten an die Art, wie derzeit die Debatte um die »Fahrradstadt Hamburg« geführt wird. Bis in die zwanziger Jahre soll nach den Plänen des Senats der Radverkehrsanteil von etwa 12 auf 25 Prozent steigen. Außerdem soll bis zum Ende der Wahlperiode 2020 das 280 Kilometer lange Veloroutennetz fertiggestellt werden, vielerorts werden dafür Radwege auf die Fahrbahn verlegt. Das klingt erst mal gut, nach weniger Stau, weniger Lärm, weniger Gestank. Aber der Kampf um dieses Anliegen wird mit einer Heftigkeit geführt, die zuweilen an die Sülldorfer Landstraße erinnert.
Kaum hatte die Bürgerschaft vergangene Woche der Strategie zugestimmt, schickte die Handelskammer einen Brandbrief los: Radspuren auf Hauptverkehrsstraßen beeinträchtigten »die Leistungsfähigkeit dieses für Hamburg so wichtigen Straßennetzes erheblich«, hieß es da. Die FDP schimpfte über »Ideologie«. Und Ex-Wirtschaftssenator Gunnar Uldall durfte im Abendblatt zum Besten geben: »Wirtschaftsverkehr ist wichtiger als Radverkehr.« Diese Pointen hat sich die rot-grüne Regierung auch selbst zuzuschreiben.
Man weiß nicht genau, worüber die Streitenden in Sülldorf vor ihrem Faustkampf gesprochen haben – aber im Kern wird es um das gleiche Problem gegangen sein: um Platz. Egal, wie gut die Regierung sich anstellt, der wird nicht mehr. Trotzdem hat Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung versprochen: »Unser Ziel ist, dass jeder gut und schnell durch die Stadt kommt, ganz gleich, mit welchem Verkehrsmittel oder in welcher Kombination. Wir werden den Bürgern hier keine Vorschriften machen, sondern daran arbeiten, die Attraktivität aller Angebote zu erhöhen.«
Man traut dem Bürgermeister vieles zu – aber keine Zauberkraft. Die wäre aber vonnöten, um den Fahrradverkehr attraktiver zu gestalten, ohne dass das zulasten des Autoverkehrs geht (oder umgekehrt). Es ist eine gute Idee, den Fahrradverkehr zu fördern. Mutig wäre es dann aber, auch zu sagen, dass das an anderer Stelle schmerzen wird. Und den Bedenken der Autofahrer entgegenzutreten, anstatt so zu tun, als könne man alle gleichzeitig befriedigen.