Erst kämpferisch, dann spielerisch: Der HSV hat gegen Leverkusen und Köln überzeugt. Weil ein bestimmter Spielertyp fehlt, kann es aber schnell wieder anders aussehen.
„Wir sind eine Truppe der Extreme.“ Diesen Satz hat HSV-Torwart René Adler vor ziemlich genau einem Jahr gesagt. Dass diese Aussage nichts an Aktualität eingebüßt hat, zeigen die vergangenen Tage: erst die katastrophale Leistung bei der 1:3-Niederlage in Ingolstadt, dann der erkämpfte Sieg gegen Leverkusen, und schließlich der souverän herausgespielte Sieg im Pokal gegen Köln. Abstiegskampf in der Liga, Viertelfinale im Pokal. Heute so, morgen so.
Wo der Ursprung dafür liegt, ist naheliegend: Spielzeiten, wie sie der HSV in den vergangenen Jahren erlebt hat, gehen an keiner Mannschaft spurlos vorbei. Als Markus Gisdol im vergangenen September Trainer wurde, traf er auf den vermutlich labilsten Bundesligisten. Seine Hauptaufgabe bestand von Anfang an darin, seinen Spielern gut zuzureden, sie an sich selbst glauben zu lassen. Nun, nach einer ganzen Weile des guten Zuredens, stellt sich allerdings die Frage, warum sie das nur manchmal tun.
Jeder, der auch nur die leiseste Ahnung von Fußball hat, weiß, dass der HSV mit seinem aktuellen Kader eigentlich nichts mit dem Abstiegskampf zu tun haben dürfte. In Bobby Wood haben die Hamburger einen Stürmer, der in ein paar Jahren zu den ganz Großen gehören könnte: Der US-Amerikaner ist technisch stark, schnell und torgefährlich. Auf der linken Außenbahn deutet Filip Kostić immer öfter an, dass 14 Millionen Euro vielleicht doch eine angemessene Ablösesumme für ihn waren. Nicht zu vergessen Nicolai Müller, der vielleicht beste HSV-Spieler der vergangenen Wochen.
Die Leistung, die der HSV gegen Köln gezeigt hat, sollte eigentlich Standard sein. Ist sie aber nicht? Warum?
Der folgende Satz ist so abgedroschen, dass es fast schon schmerzt, ihn aufzuschreiben, aber er ist wahr: Dem HSV fehlt eine Führungspersönlichkeit auf dem Platz. Wie wichtig sie ist, wurde am vergangenen Sonntag in einer anderen Sportart deutlich: Da gewannen die New England Patriots um ihren Superstar Tom Brady den Super Bowl, nachdem sie schon 3:28 hinten lagen. Noch nie zuvor gab es im Finale der National Football League eine solche Aufholjagd. Nach dem Spiel wurden einige Sieger gefragt, ob sie zwischenzeitlich schon aufgegeben hätten. Ihre Antwort: Aufgeben? Wir haben doch Brady!
Wenn der HSV konstant erfolgreich spielen will, braucht er einen Spieler, der Siegesgewissheit in sich trägt – und diese auch ausstrahlt. Einen Spieler, der den anderen Halt gibt, wenn es mal nicht läuft. Die kommenden Gegner heißen Leipzig, Freiburg und Bayern München. Ich möchte den Teufel nicht an die Wand malen, aber es ist gut möglich, dass der HSV keinen einzigen Punkt aus diesen drei Spielen holt.
Vielleicht aber läuft es auch anders. Vielleicht hat der HSV seit Kurzem einen solchen Führungsspieler in seinen Reihen. Neuzugang Wallace ist zwar erst 21 Jahre alt, aber bei seinem Debüt gegen Köln wirkte der Olympiasieger aus Brasilien schon wesentlich reifer. Je länger das Spiel dauerte, desto mehr suchten seine Mitspieler ihn – und Wallace versteckte sich nicht.