Nach dem Erfolg gegen die Hochbegabten aus Leipzig steht der FC St. Pauli auf dem zweiten Tabellenplatz – und muss jetzt aufpassen, nicht zu euphorisch zu werden.
Die Partie war mithilfe der beiden Vereine bereits vor dem Anpfiff zum Medienereignis stilisiert worden. Auf der einen Seite der FC St. Pauli, der das stark an ein Sponsorenlogo erinnernde Vereinswappen von RB Leipzig auf seiner Homepage wieder gegen den Schriftzug „Leipzig“ ausgetauscht hatte. Auf der anderen der Verein, der sich medienwirksam darüber aufregte. St. Pauli gefällt sich offensichtlich derzeit in der Rolle des unterschätzten Außenseiters. So lässt sich viel einfacher Fußball spielen.
Leipzigs Kapitän Dominik Kaiser hat in einem Interview mit dem Spiegel in der Sommerpause gesagt, der Anspruch seines Teams sei es, von der ersten Minute an „einzigartigen Fußball“ zu spielen. Damit setzt es sich gewaltig unter Druck. Der FC St. Pauli dagegen kann sich darauf konzentrieren, den Gegner nicht in die kritische Zone, also zu nah an den eigenen Strafraum, kommen zu lassen.
In dem Spiel am frühen Sonntagnachmittag stellten sich den Hochbegabten, wie sie von ihrem Trainer Ralf Rangnick genannt werden, zehn braun-weiß gekleidete Kämpfer entgegen. Zudem ein Torwart, der ebenfalls als stark talentiert zu bezeichnen ist. Und wenn selbst der nichts mehr ausrichten konnte, dann war der Torpfosten im Weg.
„Aluminium ist braun-weiß“, das verkündete der FC St. Pauli via Twitter. Es lief die 22. Spielminute, als sich Leipzigs Stürmer Emil Forsberg einmal um die eigene Achse drehte und schoss. Torhüter Robin Himmelmann war bereits geschlagen, der Ball aber prallte gegen den Pfosten.
Nicht nur die St.-Pauli-Anhänger unter den über 40.000 Zuschauern in Leipzig waren erleichtert. Auch ich atmete tief durch, während ich mit meinem Freund Willi an Bord meines Schiffes saß und das Spiel meines Vereins mal wieder via clubeigenem Blindenradio verfolgte. „Hauptsache wir spielen die erste Halbzeit zu Null“, sagte Willi. Und tatsächlich schien dieser Wunsch immer wahrscheinlicher zu werden. Die Leipziger Spieler bewegten sich immer ratloser über den Platz.
St. Pauli dagegen konterte immer vielversprechender. Zunächst hat Enis Alushi die Führung auf dem Fuß, dann vergeben Philipp Ziereis und Bernd Nehrig. Dann macht es Stürmer Lennart Thy seinem Gegenüber Forsberg gleich: Auch er schießt in der 44. Minute per Drehschuss. Der Ball landet aus etwa 19 Metern jedoch nicht am Pfosten, sondern im Tornetz. 0:1 – die Außenseiter führen, die Hochbegabten sind gereizt.
Leipzig kommt mit allem, was es offensiv aufbieten kann aus der Kabine. Die Spieler aber scheinen ein bisschen zu aufgedreht, um ernsthaft Torgefahr auszustrahlen. Selbst eine vermeintlich 100-prozentige-Torchance verhibbelt Leipzigs Stürmer Davie Selke. Danach hält Himmelmann die letzten Schlucke einzigartigen Fußballs, die auf sein Tor zubrausen. In der mit fünf Minuten wirklich langen Nachspielzeit halten die St.-Pauli-Spieler dann die Leipziger mit beeindruckenden Pirouetten fern vom Ball – Alushi dreht sich rekordverdächtige acht Mal um sich selbst.
Zurück in Hamburg müssen sich die Verantwortlichen des FC St. Pauli nun etwas einfallen lassen. Sie haben die Hochbegabten geschlagen, da wird es schwer, das Image des Underdogs langfristig aufrechtzuerhalten. St. Pauli steht seit dem Wochenende auf einem direkten Aufstiegsplatz. Da selbst der HSV nach seinem 3:2 zu Hause nur drei Zähler von der Tabellenspitze entfernt ist, erwarte ich einen Euphorie-Schub in der Stadt. Der FC St. Pauli muss aufpassen, sich nicht zu sehr von ihm mitreißen zu lassen. Der Verein ist gut beraten, jetzt nicht zu früh zu ambitionierte Ziele auszurufen. Das ist in der jungen Vergangenheit schon beinahe schiefgegangen.