Die Polizei ermittelt gegen die Critical Mass – und wird damit nur erreichen, dass sich Fahrradfahrer fühlen wie die Robin Hoods des Straßenverkehrs.
In der sehenswerten Ausstellung Das Fahrrad, die derzeit im Museum der Arbeit läuft, baumeln Kopfhörer unter dem Poster einer Critical Mass: Man sieht Tausende Fahrradfahrer, die Hamburgs Innenstadt blockieren – und Autos, die im Stau stehen. Die Ausstellungsmacher haben die wartenden Autofahrer befragt, wie sie sich dabei fühlen, und setzt man die Kopfhörer auf, so schallt einem viel Verständnis entgegen. „Gute Aktion“, sagen die Autofahrer oder dass die Critical Mass schön bunt aussehe, „wie eine Girlande“. Das klingt romantisch. Nur leider ist die Realität selten romantisch. Und die Polizei, die die Folgen des Verkehrschaos regeln muss, hat es mit Romantik ohnehin nicht so.
Nun hat eine Anfrage der Grünen ergeben: Die Polizei versucht, der Critical Mass den Spaß zu verderben. Sie ermittelt gegen unbekannt, weil sie das gemeinsame Radfahren als unangemeldete Demonstration wertet. Die Grünen empören sich: „Hat die Polizei keine anderen Sorgen?“ Doch, natürlich hat sie das. Interessanter ist also die Frage: Will sich die Polizei erst richtig Probleme schaffen? Darauf deutet ihr Vorgehen hin.
Es liegt im Wesen einer Critical Mass, dass sie schwer zu kontrollieren ist: Sie ist eine Fahrradtour, zu der sich an jedem letzten Freitagabend im Monat Tausende übers Internet verabreden. Die Straßenverkehrsordnung lässt das zu: Kommen mindestens 15 Radler zusammen, gelten sie als geschlossener Verband. Sie dürfen nebeneinander auf der Straße fahren, und die Hinteren können über Rot rollen, wenn es bei den Vorderen grün war. Weil die Critical Mass keiner festgelegten Route folgt, sondern einfach dem jeweils ersten Rad, kann keine Route verboten werden. Im Gegensatz zu einer Demonstration hat sie keinen Anführer und skandiert keine Parolen. Ihr ist nicht beizukommen.
Das nutzen einmal im Monat bis zu 5000 Radfahrer in Hamburg aus. Ihre Botschaft: „We are not blocking traffic, we are traffic.“ Aus Sicht der Radler, die auf buckligen, zugeparkten Wegen sonst oft kaum ein Durchkommen haben, ist es ein großer Spaß mit Ätsch-Faktor, klingelnd am immer längeren Stau vorbeizurollen. Nur spricht aus der Aktion ein problematisches Gegeneinander: Die Fahrradfahrer, das sind die Jungen, die Gerechten, die rollenden Bessermenschen. Die Autofahrer dagegen die vorgestrigen Angeber mit katastrophaler CO₂-Bilanz, die gegen ihre Speckbäuche ruhig mal anstrampeln sollten.
Keine Frage: Es ist in fast jeder Hinsicht besser und sozialer, Fahrrad zu fahren. Das macht Fahrradfahrer aber nicht zu Robin Hoods des Verkehrs. Neue Mobilitätskonzepte setzen auf ein tolerantes Zusammenspiel und eine sinnvolle Verteilung der Flächen zwischen allen Verkehrsteilnehmern. Die Polizei dagegen verstärkt nun den Robin-Hood-Ruf der Fahrradfahrer. Mit ihren Ermittlungen wird sie keinen Teilnehmer der Critical Mass abhalten. Im Gegenteil: Jetzt erst recht, werden viele denken. Viele Medien werden berichten und damit verbreiten, dass die Critical Mass sich jeden letzten Freitag im Monat verabredet.
Das ist wohl der sicherste Weg, um der nächsten Critical Mass Ende Oktober mehr als 5000 Teilnehmer zu bescheren.