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Wilhelmsburg

Kunstnomadin in Wilhelmsburg

 

Annabel Trautwein von Wilhelmsburg Online stellt interessante Kunstprojekte von der Elbinsel vor.

Es ist laut. Am Containerdepot an der Industriestraße laden Kräne ihre schwere Fracht ab und von irgendwoher tönt das Kreischen eine Kreissäge. Inmitten des Lärms hockt Kathrin Milan, umgeben von einem Bauwagen voller Spiele, Glitzerpapier, Werkzeug, Farbresten. Bald kommen die Nachbarn zum Basteln. Die Wilhelmsburger Künstlerin rechnet mit 40 bis 50 Kindern, plus Eltern. Dann gibt es in ihrem Garten Lagerfeuer und Kunstschule für alle, die Kinder bauen ihr Stadtmodell aus bunten Ytong-Häuschen um oder schmücken die Bauwagen. Kunst inmitten von Baustellen und Hafenindustrie – ja, sagt Kathrin Milan, das sei speziell in Wilhelmsburg. Der Lärm sei hier Alltag wie der Gestank der Ölwerke am Kanal. „Aber der Garten hat so eine Kraft, dass man das alles vergisst.“

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Kathrin Milan © privat

„Wenn, dann nach Wilhelmsburg“ – so rieten es ihr andere Künstler, als die Kunstnomadin mit ihrem Lastwagen 2006 in Hamburg eintraf. Auf der Elbinsel gebe es noch Freiraum. Kathrin Milans Werk „Wandernde Heimat“ symbolisiert ihre Ankunft: Schuhe aus Plastiktüten, aus denen Moos und Gräser wuchern, schreiten über einen grauen Schotterboden. „Auf dieser  Schotterfläche habe ich den Garten aufgebaut“, erzählt sie. Nach 18 Jahren, in denen sie mit Lastwagen und Hund durch die Welt reiste, hält Wilhelmsburg sie fest, länger als jeder andere Ort zuvor. Die Kinder aus der Nachbarschaft verlassen sich auf sie. „Das bindet mich“, sagt die 40-Jährige.

Ihre Werke sind untrennbar mit dem Alltag verbunden, der sie umgibt. „Ich wollte keine Kunst machen für die Galerie, wo ein auserlesenes Publikum schon vorher weiß, es ist Kunst“, sagt Kathrin Milan. Lieber platziert sie ihren Wagen im öffentlichen Raum und wartet auf neugierige Passanten. „Ich möchte Kunst zu den Leuten bringen, die mit ihrer Aldi-Tüte vorbei schlurfen und sagen: Was issn das?“ In ihrer kreativen Keimzelle in Wilhelmsburg kann jeder kostenlos mitmachen. Das Stadtmodell, das die Kinder ständig umgestalten, liegt unter freiem Himmel. „Dieser Ort ist etwas ganz anderes als das, was sie aus der Schule oder von den engen Wohnungen zu Hause kennen. Hier ist es nicht so sauber, es ist weniger Struktur vorgegeben. Das hilft mir, auch mit unruhigen oder verhaltensauffälligen Kindern zu arbeiten“, sagt sie.

Vielen mache es zu schaffen, keine eindeutige Heimat zu haben, meint Kathrin Milan: „Sie leben hier, sprechen aber die Sprache nicht richtig. Ihre Familie stammt aus einem anderen Land, aber auch diese Sprache sprechen sie kaum. Trotzdem werden sie dort eingeordnet.“ Auf ihren Reisen hat die Künstlerin selbst oft „heimaten“ müssen, wie sie es nennt: Menschen kennenlernen, Orte erschließen, ein Zuhause aufbauen. „Ich glaube, die Kinder spüren, dass ich ein Verständnis für ihre Konflikte habe“, sagt sie.

Fast jedes Kind in Wilhelmsburg hat laut Kathrin Milan schon am Stadtmodell mitgebaut. Auch in den Schulen der Elbinsel ist sie bekannt. Das sichert ihre Existenz: Was sie zum Leben und Arbeiten braucht, verdient Kathrin Milan mit geförderten Projekten. Nebenher zieht sie als Landschaftsmalerin mit der Staffelei über die Insel: Wiesen, Wäldchen, Uferschilf. Nur eins fehlt ihr, sagt die gebürtige Bayerin: Die Berge. „Das wird wohl auch der Grund sein, warum ich irgendwann wieder weggehen muss.“