Eine Gruppe krimineller Minderjähriger, die als unbegleitete Flüchtlinge nach Hamburg kamen, soll zukünftig in einem Industriegebiet wohnen. Doch das stößt auf Kritik.
Ein leerer Platz im Industriegebiet: Grauer Asphalt, massive Backsteinbauten. In einer Hauswand klafft ein Loch, der Wind pfeift über das Gelände. In alten Lagerparzellen liegen Stahlrohre, Kabel und Müll. Über dem Gelände liegt ein faulig-süßlicher Geruch. Zum Verweilen lädt der alte Recyclinghof nicht ein. Warum auch? Zum Wohnen war diese Gegend nicht gedacht.
Bis jetzt. Ende Februar sollen 20 junge Flüchtlinge auf dem ehemaligen Gelände der Hamburger Stadtreinigung im Stadtteil Hamm einziehen. 16 Wohncontainer stehen schon jetzt auf dem Platz am Bullerdeich. Im Inneren: zwei eiserne Bettgestelle, zwei Metallspinde, in einer Ecke ein kleiner Tisch.
Hier soll also bald jene kleine Gruppe minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge („MUFs“) wohnen, die dem Kinder- und Jugendnotdienst schon länger Probleme bereiten. Kriminelle Intensivtäter, die in ihrer bisherigen Unterkunft des Kinder- und Jugendnotdienstes an der Feuerbergstraße ihre Betreuer attackiert haben.
Verhaltensauffällige junge Menschen in einem Industriegebiet? Das wirft Fragen auf. Zumal der Senat im Juli bekannt gab, die Fläche sei „für eine wohnähnliche Nutzung ungeeignet“. Auf eine Anfrage der Linksfraktion hieß es damals, der Standort werde nicht weiter geprüft. Nun scheint die Sozialbehörde in dem Umzug ins isoliert gelegene Areal eine erzieherische Maßnahme zu sehen. „Klare Grenzen im Alltag aufzeigen“, so nennt der Senat das in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der CDU.
Das „Erlangen von Vergünstigungen“ und „die Kombination aus repressiven Maßnahmen und Hilfsangeboten“ seien Teil eines pädagogischen Konzepts, das vom Landesbetrieb Erziehung und Bildung und der Sozialbehörde erarbeitet worden sei. Kurzum: Die verhaltensauffälligen Jugendlichen sollen lernen, dass sie erst in eine bessere Unterkunft kommen, wenn sie sich angemessen zu benehmen wissen.
Wie lange die 20 Jugendlichen auf dem Platz zwischen Bahntrasse und Lagerhalle leben werden, hängt jedoch gar nicht nur von ihrem eigenen Verhalten ab. Eine Weitervermittlung sei „vor dem Hintergrund stark zunehmender Zahlen von jungen Flüchtlingen schwierig“, sagt Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde. Die freien Träger der Jugendhilfe hätten nur ein begrenztes Kapazitätsangebot. „Ein Ausbau der Hilfen zur Erziehung kann nicht in der Geschwindigkeit vorgenommen werden, wie es erforderlich ist“, sagt er.
Es gibt einige Experten, die an dem Konzept des Senats zweifeln. Thomas Berthold vom Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge etwa befürchtet, dass sich die Lage der Jugendlichen im Industriegebiet verschlimmere. „Sie sind traumatisiert, staatliche Autoritäten haben sie meist auf negative Weise erlebt“, sagt er. Die Verlagerung an den Stadtrand wirke für sie wie eine Abschiebung. „Die Jugendlichen spüren, dass sie hier nicht gewollt sind und landen in einer Gegend, in der sie zu kriminellen Handlungen auch noch verleitet werden könnten“, so Berthold.
Auch Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl, findet deutliche Worte: „Mit dem Kindeswohl hat das nichts zu tun“, sagt er. Es stelle sich die Frage, ob Hamburg auch einheimische Jugendliche in eine ähnliche Isolation verbannen würde, um sie pädagogisch besser erreichen zu können.
Wie genau sich die Sozialbehörde um die jungen Flüchtlinge kümmern will, gab sie vergangene Woche bekannt: Die Heranwachsenden sollen in einem an die Container angrenzenden Gebäude betreut werden, es soll Gemeinschaftsräume, Kochmöglichkeiten und Sanitäranlagen geben. 14 Fachkräfte sollen eingesetzt werden – vier Pädagogen und zehn Sprach- und Kulturmittler. Ein Betreuer wäre damit theoretisch für 1,43 Flüchtlinge zuständig – ein deutlich höherer Schlüssel als in den anderen Einrichtungen des Kinder- und Jugendnotdienstes. Nach Bertholds Meinung aber reicht er nicht aus: „Vier Pädagogen, die vermutlich im Schichtdienst eingesetzt und damit nicht gleichzeitig vor Ort sein werden, das ist zu wenig“, sagt er.
Ein weiteres Argument, das Kritiker gegen die neue Unterbringungen anführen: eine mögliche Umweltbelastung des Geländes. Die Großwäscherei Wulff betrieb in unmittelbarer Nachbarschaft, am Anton-Ree-Weg, jahrelang einen Standort, ein Schild am Eingang zeugt noch heute davon. Die Firma ist einst in die Schlagzeilen geraten, weil sie an der Jarrestraße in Barmbek das Grundwasser mit Chemikalien schwer verseuchte. „Wenn schon mitten im Wohngebiet Giftstoffe ins Wasser geleitet wurden, hat die Wäscherei vermutlich auch im Industriegebiet ihre Spuren hinterlassen“, sagt die Linken-Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider. Sie hat eine kleine Anfrage an den Senat gestellt, damit dieser dem Verdacht nachgeht.
Sorgen bereitet die neue Flüchtlingsunterkunft aber nicht nur Experten, sondern auch Anwohnern. Ein wiederkehrendes Thema: Die Nähe zum Straßenstrich in der Süderstraße. „Das Prostitutionsgewerbe ist dort sehr präsent und wird von den Hells Angels kontrolliert, das weiß jeder im Stadtteil“, sagt der 19-jährige Tobias K., der in einer Werbeagentur in der Nähe des Stadtreinigungsgeländes arbeitet. Eine Darstellung, der die Polizeisprecherin Ulrike Sweden widerspricht: „Die Hells Angels zeigen weder in Hamm noch sonst im Stadtgebiet Präsenz. Sie existieren zwar als Organisation, jedoch ohne kriminalpolizeilich besondere Auffälligkeiten.“
Dass die Nähe zur organisierten Kriminalität zu Konflikten führen kann, zeigt ein Vorfall aus dem vergangenem Oktober: Fünf junge Nordafrikaner wurden auf St. Pauli krankenhausreif geschlagen, nachdem sie in einen Streit mit Zuhältern gerieten.