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Ganztagsbetreuung

Nicht kinderfreundlich

 

Die SPD hat die Ganztagsbetreuung massiv ausgebaut – doch bei der Qualität hakt es noch an vielen Enden. Das wird teuer.

Die Toiletten sind dreckig. An jeder dritten Grundschule fehlen Ruheräume. An 40 Prozent der Standorte gibt es keine Kantine, und wo es eine gibt, ist es beim Essen oft zu laut. Ein „überzeugendes Ganztagsangebot“ sei das, findet Schulsenator Ties Rabe.

Bürgermeister Olaf Scholz will Hamburg zur „eltern- und kinderfreundlichsten Stadt Deutschlands“ machen – und lässt sich das einiges kosten. Etwa jeden elften Euro gibt die Stadt 2015 für Kinder bis zehn Jahre aus, viermal so viel wie für die Kultur. Das zahlt sich aus: Vorbei die Zeiten, in denen Eltern keine Betreuungsplätze für ihre Kinder fanden. In Hamburg lassen sich Familie und Beruf viel besser kombinieren als vor einigen Jahren. Doch wer genauer hinschaut, sieht: In den Kitas und in der Nachmittagsbetreuung der Grundschulen gibt es Qualitätsprobleme. Mit Bildung hat der Alltag dort oft nichts zu tun.

Hamburg ist vielleicht elternfreundlich, aber noch lange nicht kinderfreundlich. Das zeigt sich sowohl an den Kitas als auch an der Nachmittagsbetreuung der Grundschulen.

Jüngster Beleg ist ein Bericht, den Rabe in der vergangenen Woche vorgestellt hat. Es ist das Resümee von Besuchen einer Expertengruppe der Behörde an den 124 Ganztagsgrundschulen, die nach dem Modell „Ganztägige Bildung und Betreuung an Schulen“ (GBS) arbeiten: Dort betreuen am Nachmittag Trägervereine die Schüler. Eine positive Zwischenbilanz nennt Rabe die Ergebnisse – und packt in Machermanier die Probleme an: Es gibt mehr Geld für die Reinigung, Architekten sollen die Räume verbessern, in den Kantinen sollen Vorhänge und Filzunterlagen den Lärm dämmen.

Das ist gut – aber es löst nicht das grundsätzliche Dilemma der GBS-Schule: Schule im eigentlichen Sinne gibt es nachmittags dort nicht. Der Unterricht wird in den Vormittag gepresst, im Anschluss werden die Kinder bespaßt – mit mehr oder weniger großem Bildungsinhalt. Ein Drittel der Kurse werde nicht von ausgebildeten Erziehern, sondern von Honorarkräften betreut, heißt es im Bericht. Und an jedem dritten Standort finden die Befragten die Zusammenarbeit von Schule und freiem Träger nicht gut.

Das war zu erwarten. GBS ist Ganztag light. Das Modell sollte helfen, die Zahl der Ganztagsplätze und der betreuten Kinder schnell auszubauen: mit einem Angebot, das etablierte Jugendhilfeträger aufstellen – und das von Eltern freiwillig gewählt werden kann. Ein quantitativer Erfolg mit qualitativen Schwächen. Auch wenn die Schulbehörde nun gemeinsame Fortbildungen für Lehrer und GBS-Erzieher anregt und an Modellschulen die Erzieher zusätzlich morgens in der Schule mitarbeiten sollen, flächendeckend bleibt das Problem bestehen, dass es kein Scharnier zwischen dem Unterricht am Vormittag und der Betreuung am Nachmittag gibt – nicht einmal bezahlte Übergabezeiten zwischen Lehrern und Erziehern. Kein Geld.

Kein Geld, so argumentiert der Senat auch in den Kitas. Dabei gäbe es auch hier Anlass für Verbesserungen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen, sagt etwa die Berliner Pädagogik-Professorin Susanne Viernickel in einer Studie im Auftrag der Kitas, seien nur Betreuung und Grundversorgung möglich, nicht jedoch angemessene pädagogische Arbeit. In Hamburg seien die Kindergartengruppen größer als anderswo. Oft würden Hilfskräfte einspringen – und trotzdem sei ein Erwachsener aus wissenschaftlicher Sicht noch für zu viele Kinder zuständig. Diese Analyse teilt die Bertelsmann-Stiftung: In keinem anderen westdeutschen Land sei der Betreuungsschlüssel so schlecht wie in Hamburg. Rechnet man Urlaub, Vorbereitungszeit und Krankheit ein, betreue etwa eine Erzieherin in einer Krippe sieben Kleinkinder – Wissenschaftler halten drei Kinder für das Maximum.

Der Senat verbucht die Probleme als Anlaufschwierigkeiten und feiert den rasanten Ausbau. In vielen Kitas und Grundschulen laufe es gut. Dort, wo es noch hake, seien nun die Verantwortlichen vor Ort gefragt, die Politik habe doch alles getan, erklären Schulsenator und Sozialsenator. Gerne spicken sie ihre Argumente mit Vergleichen, etwa dass Hamburg für einen Kita-Platz mehr Geld ausgebe als Berlin; oder dass das GBS-Modell sehr wohl die Vorgaben für Ganztagsschulen einhalte.

Das mag stimmen, und die Erfolge des Senats sind nicht einfach von der Hand zu weisen. Und doch unterschätzt die technokratische Sicht den Frust vieler Eltern und Erzieher. Letztere fühlen sich überlastet, drohen mit Streiks. An den Grundschulen rüstet sich eine Elterninitiative für Protest. Das ist ein spannender Ausgangspunkt für den Wahlkampf: Eltern sind – im Gegensatz zu beispielsweise Studenten und Umweltschützern – nämlich eine große Wählergruppe, die die Machtverhältnisse im Rathaus schon öfter verschoben hat.