Lesezeichen
‹ Alle Einträge
Schule

Weniger sind mehr

 

Die Lehrer unterrichten heute weniger Schüler pro Klasse? Stimmt. Aber durch die Inklusion ist die Arbeit trotzdem gewachsen.

Wer in Hamburger Schulen nach der aktuell größten Herausforderung fragt, hört immer wieder ein Wort: Inklusion. Kinder aller Leistungsstufen gemeinsam zu unterrichten, inklusive jenen mit Behinderungen, Sprach- und Lernschwierigkeiten oder psychischen Problemen, gilt unter pädagogischen Theoretikern als höchste Form des Unterrichts – und bei vielen Praktikern wahlweise als unmöglich oder unter derzeitigen Bedingungen als mindestens sehr schwierig.

Es ist daher keine Überraschung, dass die Volksinitiative »Gute Inklusion« bereits nach sechs Wochen die erforderlichen 10 000 Unterschriften gesammelt hat. Für die Schulbehörde und die Koalition aus SPD und Grünen sollte der schnelle Erfolg eine Aufforderung sein, die Sorgen aus den Schulen ernster zu nehmen.

Bislang hat die Behörde Kritik an der Inklusion schroff zurückgewiesen. Dabei sind die Fakten eindeutig: Seit der Einführung der Inklusion im Jahr 2010 ist die Zahl der förderbedürftigen Schüler an den allgemeinbildenden Schulen um 6400 auf 8500 gestiegen. Dafür wurden 450 zusätzliche Lehrer und Sozialpädagogen eingestellt. Im Schnitt ein zusätzlicher Pädagoge für 14 neue förderbedürftige Schüler. Diese Relation erzeugt an vielen Schulen zu Recht das Gefühl der Überforderung.

Nun erklärt die Schulbehörde, sie habe in den vergangenen Jahren so viele neue Lehrer eingestellt wie noch nie. Ein Pädagoge betreut heute rechnerisch ein bis zwei Schüler weniger als 2010. An den Stadtteilschulen ist die durchschnittliche Klassengröße von 24,1 auf 23,4 Schüler gesunken. Außerdem seien viele heute als förderbedürftig eingestuften Schüler schon vor der Inklusion an regulären Schulen unterrichtet worden, nur eben ohne Diagnose.

Das stimmt alles, geht aber am Problem vorbei. Viele Lehrer haben den Eindruck, zwar weniger, aber viel herausforderndere Schüler unterrichten zu müssen. Der Großteil hat nie gelernt, mit Kindern verschiedenster Leistungsniveaus in einer Klasse zu arbeiten. Bis heute wird an den Unis Teamarbeit im Kollegium kaum gelehrt, eine Voraussetzung für inklusive Schule. Viele Lehrer, aber auch viele Schulleiter, fühlen sich alleingelassen.

Diese Klagen gibt es seit Jahren, wurden von Senator Ties Rabe aber stets als Quengelei abgetan. Die Folge: Die Inklusion ist zur Chiffre der Überforderung geworden, zur Erklärformel für alles, was an Hamburger Schulen schiefläuft. Ihr Ursprungsziel, die Integration von behinderten Kindern in Regelschulen, ist dadurch fast in Vergessenheit geraten. Zuletzt haben sogar wieder mehr Eltern ihre behinderten Kinder an Förderschulen angemeldet.

Beim Thema Inklusion hakt es an Hamburgs Schulen. Das sollten SPD und Grüne zugeben und die Verhandlungen mit der Initiative nutzen, um Schulen zu helfen, frustrierte Lehrer zu motivieren und Chancen der Inklusion zu erklären. Vielleicht ist es die letzte Gelegenheit, diese Reform zu retten. Die nächste Volksinitiative könnte sich gegen die Inklusion an sich richten.