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Hausbesetzer-Treffen in Hamburg

„Die Kriminalisierung hat zugenommen“

 

Bei den Hamburger Squatting Days diskutieren Aktivisten aus ganz Europa über Hausbesetzungen. Ein Gespräch mit einem anonymen Mitorganisator von der Mittendrin-Bloggerin Annika Lazarzik.

Vom 27. bis zum 31. August zelten im August-Lütgens-Park Hausbesetzer aus mehreren Ländern und tauschen sich im angrenzenden Haus Drei über ihre Erfahrungen aus. Die Veranstalter erwarten mehrere Hundert Teilnehmer. Einer der Organisatoren der umstrittenen Veranstaltung ist Peter P., der seinen vollen Namen nicht veröffentlichen möchte.

Mittendrin: Peter P., über was diskutiert die Besetzerszene während der Squatting Days?

Peter P.: Wissen und Vernetzung stehen bei den Tagen im Fokus. Wir wollen das Netzwerk vergrößern und uns gegenseitig auf den neuesten Stand bringen. Wir erwarten AktivistInnen aus Wien, Prag, Rom und Kopenhagen. Aus Zaragosa und Barcelona reisen VertreterInnen eines „Squatting Büros“ an. Das ist eine Anlaufstelle für alle, die das Thema Hausbesetzung interessiert. Wir werden aber auch praktische Skills vermitteln: Wo finde ich den Wasseranschluss im Gebäude? Wie kann ich Strom erzeugen? Regenwasser aufbereiten? Und natürlich wird auch der politische Hintergrund und speziell die Stadtpolitik in Hamburg thematisiert.

Mittendrin: Hausbesetzungen haben in Hamburg eine lange Tradition – wie geht die Stadt derzeit damit um?

Peter P.: Schlecht – in Hamburg wird bereits seit einigen Jahren die sogenannte Berliner Linie gefahren: Hausbesetzungen werden meistens bereits nach wenigen Stunden beendet. Polizeieinheiten räumen okkupierte Gebäude oder Plätze dabei teilweise auf sehr rabiate Weise. Ausnahmen gibt es zwar, zu nennen wären etwa das Gängeviertel in der Neustadt oder der Wagenplatz Zomia an der Max-Brauer-Allee. Diese Projekte konnten allerdings nur mit sehr viel Stress und Verhandlungsgeschick durchgesetzt werden.

Mittendrin: War das denn jemals anders? Es gab doch schon in den Achtzigern Straßenschlachten mit der Polizei?

Peter P.: Unser Eindruck ist, dass die Stadt heute in der Regel weniger auf Dialogbereitschaft setzt. Besetzte, leerstehende Räume werden sofort geräumt. Dabei wird der jeweilige Hausbesitzer oft nicht einmal vorab kontaktiert, um ein Einverständnis für die Räumung einzuholen – obwohl dazu eigentlich die Pflicht besteht. Doch heute geht es eben um deutlich mehr Geld als früher, Immobilien sind wertvolle Spekulationsobjekte geworden. Auch die Kriminalisierung der Besetzerszene hat vor diesem Hintergrund zugenommen. AktivistInnen drohen meistens langwierige Verfahren wegen Hausfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt oder Sachbeschädigung.

Mittendrin: Welchen Sinn macht es denn noch, zu besetzen, wenn die Polizei ohnehin sofort räumt?

Peter P.: Natürlich geht es bei öffentlichen Besetzungsaktionen darum, Aufmerksamkeit zu erregen und Bilder mit Symbolwert zu erzeugen. Die vielen Besetzungsaktionen und Proteste rund um das Thema Wohnen haben schließlich gezeigt, dass das Thema vermehrt in die Öffentlichkeit drängt. Im Fall der im Juli besetzten Gehörlosenschule in Hammerbrook war vielen BesetzerInnen schon im Vorfeld klar, dass dieses Gebäude nicht militant verteidigt werden kann. Ein Fünkchen Hoffnung ist allerdings doch immer dabei.

Mittendrin: Warum geht ihr nicht den bürokratischen Weg und setzt auf Verhandlungen?

Peter P.: Weil dieser Weg leider oft scheitert, wie unsere Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben. Die leer stehende Schule im Münzviertel ist dafür ein gutes Beispiel: Zwei Jahre lang haben AktivistInnen und Stadtteilinitiativen dort versucht, eine Lösung in Form einer Zwischennutzung zu erreichen. So hätte das Gebäude auf legalem Weg temporär als Stadtteilkulturzentrum genutzt werden können. Doch die Verhandlungen gerieten immer wieder ins Stocken. Unserer Meinung nach wurde eine Nutzung aus fadenscheinigen Gründen untersagt. Die Hausbesetzung war am Ende ein letztes Mittel, um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen.

Mittendrin: Hausbesetzung – mit dieser Aktionsform werden in der Öffentlichkeit längst nicht mehr nur militante Straßenkämpfe, sondern auch Konfetti und knallende Sektkorken verbunden. Wie steht ihr zu dieser Entwicklung?

Peter P.: Diese Entwicklung zum Hedonismus ist da, keine Frage — es gibt eben verschiedene Herangehensweisen an eine Hausbesetzung: Sie kann vom partymäßigen, bunten Protest im Stil der „Fette Mieten“-Partys bis hin zur militanten Verteidigung, die auch Gewalt beinhalten kann, reichen. Wir halten beide Ausdrucksformen für legitim — so lange sich Gewalt nicht gegen Menschen richtet. Die Wahl der Aktionsform ist immer ein Abwägungssache und muss dem Kontext angemessen sein. So wäre es etwa schlimm gewesen, wenn die Eröffnung des Refugee Welcome Centers im Karolinenviertel am 1. Mai von gewaltbetonten Aktionen begleitet gewesen wäre. Damit hätten die BesetzerInnen ein falsches Zeichen gesetzt. Stattdessen wurden die Menschen mit Blumen, bunten Transparenten, Luftballons und Konfetti empfangen und haben auch die NachbarInnen so zum Mitmachen eingeladen.

Mittendrin: Hat sich die Hausbesetzer-Szene gewandelt?

Peter P.: In den letzten Jahren hat es Veränderungen in der Zusammensetzung gegeben: Inzwischen machen etwa verstärkt auch Künstlerbewegungen mobil. Durch die Urbanisierung und Verteuerung des Wohnraums betrifft das Thema Wohnungsnot heute weite Teile der Bevölkerung. Auch bisher wenig politisierte Menschen, die nicht in der linken Szene sozialisiert sind, interessieren sich dafür. Immer mehr sind bereit, ihr Grundrecht auf Wohnen einzufordern — etwa Arbeitslose und Studierende.

Mittendrin: Zu den Squatting Days kommen Hausbesetzer aus ganz Europa — welche Parallelen und Unterschiede gibt es denn zwischen der Lage in Hamburg und der in anderen europäischen Ländern?

Peter P.: In Südeuropa hat die Finanzkrise Spuren hinterlassen. In Spanien oder Italien etwa besteht eine ganz andere Notwendigkeit, sich Wohnraum anzueignen als hier. Die Protest- und Aktionsformen sind dort aber ähnlich heterogen: Militanz und Hedonismus treten auch dort parallel zueinander auf. Allerdings wird etwa in Spanien inzwischen deutlich brutaler und repressiver gegen BesetzerInnen vorgegangen: Dort wird bereits häufig nicht durch die Polizei, sondern durch private Sicherheitsdienste geräumt. Sie treten offen nationalistisch oder rassistisch auf und zeigen ihre Abneigung gegenüber bestimmten Gruppen wie Sinti und Roma offen. Das hat System. Diese Entwicklung sehen wir so in Deutschland noch nicht.