Wenn ich mir aus den vergangenen 36 Spielen eine Szene aussuchen müsste, die diese Horror-Saison des HSV am besten zusammenfasst, dann würde ich wahrscheinlich jene Szene kurz vor Schluss auswählen, die zum erlösenden 1:1-Ausgleich für den HSV führte. In der 90. Minute blockte der Karlsruher Jonas Meffert einen Schuss von Hamburgs Innenverteidiger Slobodan Rajković mit dem Arm ab. Ohne Absicht. Schiedsrichter Manuel Gräfe entschied auf Freistoß, eine Fehlentscheidung. Und da war es schon wieder: das unglaubliche Glück des HSV.
Ein Freistoß aus 17 Metern: Das ist eigentlich ein Fall für Kapitän Rafael van der Vaart. Aber der Niederländer, der während der gesamten abgelaufenen Saison wie ein Schatten seiner selbst wirkte, zeigte wenigstens ganz am Ende, als schon alles zu spät schien, Einsicht und ließ seinen Mannschaftskollegen Marcelo Díaz den Freistoß treten. Díaz schoss den Ball ins Tor, van der Vaart stand nur daneben und staunte. Es war die vielleicht beste Szene des Holländers.
Das alles geschah wie gesagt in der 90. Spielminute. Als die meisten HSV-Fans in Gedanken bereits mit der Bundesliga abgeschlossen hatten, machten die HSV-Spieler das, was sie am besten können: kämpfen. Man kann dieser Mannschaft wirklich alles vorwerfen, aber sie hat nie aufgegeben. Das verdient zumindest Respekt. Dass man sich mit einer solchen Saison nicht in die Herzen der neutralen Fußballfans spielt, erklärt sich von selbst, interessiert aber auch nicht wirklich.
Wichtig ist nur eines: Der HSV hat die Klasse gehalten! Verdient? Egal!
„So ein Spiel brauche ich nicht so oft“, sagte HSV-Torwart René Adler nach dem Abpfiff. Ich auch nicht. Eigentlich brauche ich solche Spiele überhaupt nicht. Damit der HSV nicht zum Dauergast im Tabellenkeller wird, muss der Verein sich aber grundlegend verändern. Tabus darf es keine mehr geben. Vor allem die Führungsriege um Dietmar Beiersdorfer, Peter Knäbel und Bernhard Peters hat nicht gehalten, was sie versprochen hat. Sie wollte Ruhe in den Verein bringen, das Gegenteil ist geschehen. Die drei Herren sollten in sich gehen und sich fragen, ob sie noch die Richtigen für den Job sind.
Trotz der nach wie vor chaotischen Vereinsführung des HSV sind es am Ende aber natürlich die Spieler gewesen, die den Verein erneut an den Rand des sportlichen Abgrunds gebracht haben. So sehr ich diese Spieler auch für ihren Kampfgeist und ihren Einsatz bewundere, so sehr wünsche ich mir, keinen von ihnen jemals wieder in einem HSV-Trikot zu sehen. Nach all den Jahren Kampf und Krampf habe ich nämlich mal wieder Lust auf Fußball.
Es ist Zeit für einen echten, einen radikalen Neuanfang. Ich bin gespannt.