Lesezeichen
‹ Alle Einträge
Wilhelmsburg

Goldene Kälber und kunstvolle Fassaden

 

Elisabeth Richnow verarbeitet in ihren Kunstwerken, wie sich Wilhelmsburg verändert – und trägt selbst zu dieser Veränderung bei. Dafür wurde sie schon angefeindet.

Das goldene Kalb, eines der Kunstwerke von Elisabeth Richnow. | © Annabel Trautwein
Das goldene Kalb, eines der Kunstwerke von Elisabeth Richnow. | © Annabel Trautwein

Nacht für Nacht wirft das Goldene Kalb seinen Abglanz auf die Brücken und Dalben zwischen Elbinsel und Stadt. Die Touristen in den Hafenbarkassen kennen es, die Wilhelmsburger sowieso. Wilhelmsburg war die Milchkammer Hamburgs, daher das Kalb – so lautet meist die Interpretation der Barkassenkapitäne, die den Touristen das Kunstwerk an der Argentinienbrücke erläutern. Dabei wollte Elisabeth Richnow gar nicht so weit über das biblische Motiv hinaus.

Das Kalb soll ein Symbol sein für den modernen Götzen Hafenwirtschaft. „Der Hafen ist ein wirtschaftlicher Mythos in Hamburg“, sagt die Künstlerin. Doch besonders spannend findet sie ihren Einfall heute nicht mehr. „Mir fehlt die Mehrschichtigkeit“, sagt sie. „Ich glaube, das bringt die Leute nicht auf viele neue Ideen.“ Seit 2008 steht das Kunstwerk – mit Unterbrechung – auf seinem Sockel. „Ich habe es da hingestellt, als in Wilhelmsburg die Goldgräberstimmung losging“, sagt die Künstlerin.

Elisabeth Richnow vor der neu gestalteten Rialto-Fassade
Elisabeth Richnow vor der neu gestalteten Rialto-Fassade.

Elisabeth Richnow, die Künstlerin, findet ihr Kalb heute eher langweilig. Viel lieber macht sie Kunst, die neue Gedanken freisetzt und den Spieltrieb kitzelt. In Wilhelmsburg findet sie alles, was sie dazu braucht: Die Weite der Industriebrachen zur Inspiration, Gedächtnisorte des Wilhelmsburger Alltags zum Andocken und Weiterspinnen und ein kritisches, waches Publikum zum Austausch frischer Ideen.

Dass die Elbinsel zum Objekt kommerzieller Begierden werden könnte, habe sie anfangs kaum für möglich gehalten. Zu viel Industrie, dachte sie, zu viel Hafen und Lkw-Verkehr. „Wilhelmsburg hatte einen total schlechten Ruf“, sagt Elisabeth Richnow. Als sie Kollegen für das Projekt Lädenleuchten gewinnen wollte, das Anfang der 2000er auf den Leerstand im Reiherstiegviertel aufmerksam machte, trauten sich manche kaum auf die Insel.

Heute fühlt sie sich als Künstlerin bisweilen wüsten Anschuldigungen ausgesetzt. „Du bist verantwortlich, dass hier die Mieten steigen“, brüllte sie neulich einer an. Auch sie habe sich damals dafür eingesetzt, dass sich was tut in Wilhelmsburg, sagt Elisabeth Richnow. Als der Verein Zukunft Elbinsel 2002 mit dem Spreehafenfest gegen den Zollzaun demonstrierte, war sie mit der Installation Grenzgänger dabei: Drei lebensgroße Figuren aus Pappmaché, die durch das Stahlgitter hindurch liefen. Für den Wandel auf der Insel machten sich damals viele stark, erzählt die Künstlerin. „Ich glaube, keiner hat sich vorgestellt, was dabei herauskommt.“

Industrie zur Inspiration

Die Brachen, Kräne und Container sind noch da – für Elisabeth Richnow ein großes Glück. „Ich mag Industriekultur unheimlich gerne“, sagt sie. Sie sei damit groß geworden, ihre Eltern lebten im Kontorhaus einer alten Kreidefabrik. Heute sind die Brachen und Brücken für sie eine Quelle der Inspiration. „Es schwingt immer so viel Geschichte mit – und gleichzeitig gibt es ganz viel Freiraum“, sagt die Künstlerin. „Ich habe das Gefühl, Orte reden mit mir.“

Auch in ihrem aktuellen Projekt spielt Elisabeth Richnow mit Erinnerung und Neuanfang: Unter dem Titel Rialto, Rialto gestaltet sie abwechselnd mit anderen Künstlern die Fassade des früheren Kinos am Vogelhüttendeich. Der heutige Besitzer Stefan Reifenrath, der das Lichtspielhaus im vergangenen Jahr für 180 Tage wieder zum Leben erweckte, stellte ihr die Fläche zur Verfügung. Das Kunstprojekt aber sei eigenständig, betont Elisabeth Richnow – auch wenn die Fassade immer Erinnerungen an das wachrufen, was dahinter liegt. „Es kribbelt so“, sagt sie. Mit diesem Kribbeln arbeiten sie und andere Künstler nun weiter: Bis November sind die Kunstwerke am Vogelhüttendeich 30 zu sehen.