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Die neue Kopftuchdebatte – Anfang vom Ende des muslimischen Machismo?

 

Seit die grüne Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz vor etwas mehr als zwei Wochen an die muslimischen Frauen in Deutschland appelliert hat, das Koptuch abzulegen und im Hier und Jetzt anzukommen, ist ihr Leben auf den Kopf gestellt. Die 1971 in der Türkei geborene Deligöz, die sich selbst als Lobbyistin für Migranten sieht, ist zur Hassfigur für Fundamentalisten und Nationalisten geworden, die sich in ihrem Macho-Gehabe nicht nachstehen. Sie wurde als „Nazi“ beschimpft, mal auch als neue Ayan Hirsi Ali, es gab Morddrohungen. Nun lebt sie unter Personenschutz.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, schrieb einen Brief an den türkischen Botschafter in Deutschland, Irtemcelik. Der ließ die Bitte um Hilfe kalt abtropfen: Es sei nicht Sache des türkischen Staates, sich in diesen Streit einzumischen. Künast solle sich lieber an die türkische Presse wenden. Wenn es darum geht, sich über vermeintliche Türkenfeindlichkeit beschweren, ist die Botschaft nicht so zurückhaltend. Der Botschafter sollte seine Haltung überdenken: Der größte islamische Verband in Deutschland, Ditib, wird de facto vom Religionsministerium in Ankara und von der Botschaft in Berlin aus gesteuert. Und da sollte der Botschafter nichts zu einem Thema zu sagen haben, dass säkulare und religiöse Türken in Deutschland spaltet?

Um so erfreulicher, dass sich eine breite, überparteiliche Front vor Ekin Deligöz aufbaut, um sie gegen das Klima der Einschüchterung zu beschützen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sagte im Deutschlandfunk, der Gesetzgeber müsse »mit aller Entschiedenheit durchsetzen«, dass man seine Meinung äußern darf. »Wenn man bedroht wird, dann ist was nicht in Ordnung.« Solange dies so sei, bekomme Deligöz Polizeischutz. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sagte: »Ein solches Klima des Hasses gegen eine Person, die lediglich ausspricht, was viele denken, ist nicht hinnehmbar.« Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sagte dem Sender n-tv: »Wir müssen jetzt alle Rückgrat zeigen, und sie hat die uneingeschränkte Solidarität der ganzen zivilisierten Gesellschaft verdient.«

Das ist eine überraschende schwarz-grüne Koalition: Über den Umweg der Kopftuchfrage entdecken die Innenpolitiker der Union den Feministen in sich. Aber man sollte nicht spotten: Die Union spricht neuerdings mit grösserer Glaubwürdigkeit in diesen Dingen. Seit Wolfgang Schäuble den Muslimen durch die Islam-Konferenz eine ausgestreckte Hand geboten hat und seine Absicht erklärt hat, den Islam hier einzubürgern, können Äusserungen zum Kopftuch und zum Verhältnis von Religions- und Meinungsfreiheit nicht mehr als Islamophobie abgetan werden.

Es kommt noch ein Aspekt hinzu: Die Debatte wird zum Glück nicht mehr nur zwischen Deutschen und Türken, Christen und Muslimen, zwischen Mehrheit und Minderheit geführt. Der Kampf der Kulturen findet tatsächlich statt, aber zunehmend innerhalb der jeweiligen Lager. Es stehen auch im Islam immer häufiger selbstbewußte Reformer gegen Konservative. Heute sind es vor allem Frauen mit – schreckliches Wort – Migrationshintergrund, die sich den Mund nicht mehr verbieten lassen und ihre Rechte einfordern – so wie die Anwältin Seyran Ates, die Soziologin Necla Kelek, die Autorin Serap Cileli, die SPD-Abgeordente Lale Akgün und nun auch die Grüne Ekin Deligöz. Die deutschen Türken könnten eigentlich stolz sein, eine ganze Reihe solcher bemerkenswerter Frauen hervorgebracht zu haben.

Aber leider werden sie von Männern repräsentiert, die den weiblichen Freigeistern um Jahre hinterherhinken. Sie haben sich in der Pose des Opfers eingerichtet. Alles dreht sich um Ehre, Respekt und Anerkennung. Sie sind stets vorwurfsvoll und leicht kränkbar, egal ob es um den EU-Beitritt, das Kopftuch oder den Genozid an den Armeniern geht.

Diese Repräsentanten haben grosse Probleme, sich auf die neue Lage einzustellen, die durch Schäubles Integrationsinitiative entstanden ist: Sie müssen nun von Minderheitenlobbyisten, die ihre Hauptaufgabe darin sehen, sich (leider oft zu Recht) über Diskriminierung zu beschweren, zu Partnern werden, die auf Augenhöhe darüber verhandeln, welchen Beitrag sie zum Gedeihen des Landes leisten können.

Die Vertreter der islamischen Verbände haben nun zwar betont, sie teilten Deligöz‘ Meinung über das Kopftuch nicht, sie lehnten die Drohungen aber scharf ab. Das ist immerhin ein Anfang – auch wenn erst wochenlanger öffentlicher Druck sie dazu bewegt hat. Wenn sie als Teil der Zivilgesellschaft Respekt verlangen und anerkannt werden wollen, müssen sie in Zukunft endlich von sich aus die Menschenrechte verteidigen – und zwar nicht nur dann, wenn es um die Rechte der Kopftuchträgerinnen geht.

Die frechen Frauen, die keine Lust haben, sich länger von ihnen vertreten zu lassen wollen, passen natürlich nicht in den Kram. So ist es zu erklären, dass der Islamrat Deligöz in rüder Sprache zurechtwies, sie solle „ihr Brett vom Kopf“ entfernen, bevor sie übers Kopftuch redet. So ist die Entgleisung des Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, zu verstehen, der gestern nach der Aussprache mit Deligöz sagte: „Was sie gesagt hat, ist für mich Unsinn.“ Wichtig für ihn sei aber auch, „dass sie diesen Unsinn verbreiten darf“.

Diese gönnerhaft-unverschämte Art – nie würde man über einen männlichen türkischen Politiker derart herziehen! – kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Macht der Machos in der türkisch-muslimschen Community schwindet. Wenn der Schmerz darüber nashlässt, werden die angehalfterten Patriarchen sehen, dass Ekin Deligöz und die anderen mutigen Frauen auch ihnen einen Dienst erweisen.