Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Zufallsbegegnungen in Scharm-El-Scheich

 

Scharm El-Scheich, 4. Mai

Es ist nicht leicht, Zufälle zu inszenieren, zumal bei einer internationalen Konferenz von solcher Dichte, bei der sich die Aussenminister ohnehin in den Gängen des Kongresscenters auf die Füsse treten. 60 Nationen sind in Scharm El-Scheich zugegen. Es ist schwierig, unter solchen Umständen Zufallsbegegnungen zu vermeiden. Wie viel schwerer aber, eine sorgsam kalkulierte Begegnung so zu dramatisieren, dass sie ungeplant und unverbindlich aussiseht.
In Scharm El Scheich traf die amerikanische Aussenministerin Condolezza Rice auf den iranischen Aussenminister Mottaki, den die geschickten Zufallsregisseure beim Essen in der Nähe von Rice plaziert hatten. Man tauschte Höflichkeiten aus. Es ging dem Vernehmen nach um die unterschiedlichen Verfahren zur Herstellung von Speiseeis in Iran und Amerika.
Für den syrischen Aussenministerkollegen Walid Moallem hatte Rice sich sogar eine halbe Stunde Zeit genommen. Das Gespräch wurde nachher als professionell und „business-like“ bezeichnet. Rice hob hervor, weder habe sie den syrischen Kollegen „belehrt“, noch umgekehrt er sie. Das sind, hoffen Beobachter, vorsichtige erste Schritte in einem neuen Gesprächsprozess. Und vielleicht stehen sie gar für einen Paradigmenwechsel: Die Politik des Regime Change gegenüber den beiden Schurkenstaaten ist damit auf unspektakuläre Weise beendet.
Wenn die amerikanische Aussenministerin sich bemüht, den syrischen und iranischen Kollegen zu treffen, ist das ein Eingeständnis, dass die Amerikaner den Irak auf eigene Faust nicht so weit befrieden können, dass ein geordneter Rückzug möglich wird. Mit dem Syrer hat Rice vor allem über die Schließung der irakisch-syrischen Grenze für Dschihadisten gesprochen.

steinmeiersharm.jpg

Bundesaussenminister Steinmeier in Scharm-El-Scheich. Foto: Lau

Bundesaussenminister Steinmeier, der die EU-Ratspräsidentschaft bei der Konferenz vertritt, ist sehr bemüht, keine vorschnelle Euphorie aufkommen zu lassen – wie es seinem Naturell entspricht. Von einem „Durchbruch“ mag er nicht reden: Aber „die direkte Begegnung der Amerikaner mit den Syrern und Iranern ist immerhin ein kleines Zeichen der Hoffnung“, so Steinmeier heute in Scharm-El-Scheich.
Auch die EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero-Waldner stimmte ein: „Allein die Anwesenheit von Syrien und Iran bei dieser Konferenz ist enorm wichtig.“

ferrerosharm.jpg

Ferrero-Waldner. Foto: Lau

Für die Europäer, und speziell für die Deutschen, gibt es Grund zur Genugtuung: Steinmeiers Versuche, Syrien in den Nahostprozess einzubeziehen, wurden vor Monaten noch mit grosser Skepsis gesehen. Jetzt haben die Amerikaner selbst einen Gesprächskanal eröffnet.

rice.jpg

Rice nach dem Politikwechsel in Scharm-El-Scheich. Foto: Lau
Auch die Demokraten in Washington werden diesen Schritt mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Nancy Pelosi, Mehrheitsführerin im Kongress, hatte sich vor einem Monat noch heftige Kritik für ihre Reise nach Damaskus gefallen lassen müssen. Jetzt folgt Rice der Politik der Oppositionsführerin. Das Dementi des Regierungssprechers Tony Snow, es handele sich nicht um einen Politikwechsel, wirkt wenig überzeugend angesichts der vorherigen ideologischen Verhärtung gegenüber direkten Kontakten mit Syrien und Iran, die sich auf einmal in Nichts aufgelöst zu haben scheint.
Für die Iraker hängt viel am Erfolg der Konferenz über den Compact. Sie treten hier erstmals als Akteure auf der diplomatischen Weltbühne auf. Sie haben die Einladungsliste und die Konferenzagenda bestimmt, und sie hoffen, mit ihrer ehrgeizigen Selbstverpflichtung die Nachbarstaaten und die internationale Gemeinschaft stärker in den Wiederaufbau des Landes einzubinden: Entwaffnung der Milizen, nationale Versöhnung, Verfassungsreform, Stärkung der Menschenrechte durch Aufbau eines Rechtsstaates, gerechte Verteilung der Öleinnahmen unter Sunniten, Schiiten und Kurden sind die wichtigsten innenpolitischen Elemente des Fünf-Jahres-Plans namens Iraq Compact.
Ein weitgehender Schuldenerlass von 80 Prozent, in Aussicht gestellt bei weiteren internen Reformen des Iraks, scheint zu signalisieren, dass die Maliki-Regierung sich im Prinzip auf die Unterstützung der arabischen Staaten berufen kann. Saudi-Arabien hat auf der Konferenz zwar keine Zahlen genannt, aber doch signalisiert, substantiell helfen zu wollen. Nur die Kuweitis lehnen einen Schuldenerlass weiterhin ab – eingedenk der Zerstörungen bei der Invasion durch Saddam Husseins Truppen.
Die Saudis drückten bei der Konferenz allerdings auch grosse Skepsis gegenüber der Entschlossenheit der Maliki-Regierung aus, Sicherheit und nationale Versöhnung zwischen den verfeindeten Gruppen voranzubringen. Für eine abschliessende Einigung sei es noch zu früh, sagte der saudische Entsandte Prinz Saud. Die Saudis wollen sich offenbar stärker im Irak engagieren, um den Teheraner Einfluss im Land zu begrenzen. Sie machen ihr Engagement aber von deutlichen Fortschritten bei der Sicherheit und bei der Formierung eines „nationalen Konsenses“ abhängig. Die schiitisch geführte Maliki-Regierung wird weiter unter Druck gehalten, die Sunniten stärker an der Macht und den Ressourcen des Landes zu beteiligen.
Ob man an schon an einen veritablen Paradigmenwechsel der Amerikaner glauben darf? Immerhin ist die Politik der Isolation gegenüber Syrien und Iran stillschweigend beendet worden. Der saudische Druck in Richtung auf innere Reformen des Irak und die vorsichtige amerikanische Öffnung gegenüber den Nachbarstaaten sind mehr als „kleine Hoffnungszeichen“.
Aussenminister Steinmeier reist unterdessen weiter in die palästinensischen Gebiete und nach Israel. Mitten hinein in eine israelische Regierungskrise, die zarte Hoffnungen auf eine Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses für lange Zeit zunichte machen könnte.