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Im Namen Gottes

 

Aus der ZEIT Nr. 39 vom kommenden Donnerstag:

Romuald Karmakars Film Hamburger Lektionen handelt vom Denken eines radikalen Islamisten, der zum Dschihad gegen den Westen aufruft. Dieser Tage muss man niemandem erklären, warum ein solcher Film wichtig ist: Das ganze Land beugt sich über Fritz und Daniel, unsere homegrown terrorists. Woher die kalte Entschlossenheit, woher der Glaube, im weltumspannenden Krieg mit den Ungläubigen zu stehen, und die Gewissheit, in diesem Kampf sei erlaubt, was jede überkommene Moral verbietet?

Karmakar lässt die Psychologie der Täter beiseite und schaut stattdessen auf das ideologische Angebot, das die Prediger des Dschihad jungen Männern unterbreiten. Es ist irreführend, die Hamburger Lektionen als Film über einen »Hassprediger« zu bezeichnen. Wer sich den zwei fesselnden Stunden dieses Films aussetzt, wird schnell bemerken, dass Karmakar sich nicht für die aufpeitschende, emotionale Seite der Predigten des Mannes namens Mohammed Fazazi interessiert. Wenn wir die Weltsicht eines Dschihadisten verstehen wollen, ist das bekannte Hass­prediger-Outfit – Rauschebart, Dschellaba-Gewand, wutschnaubende Diktion – eher störend, weil es uns verleitet zu glauben, wir wüssten schon Bescheid.

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Romuald Karmakar (links) und Manfred Zapatka auf dem Set

Wir wissen aber nicht Bescheid. Diesem Prediger geht es durchaus nicht bloß um schlichte Verwünschungen des dekadenten, unterdrückerischen Westens. Mohammed Fazazi schimpft und tobt nicht. Dieser Imam, der heute in Marokko eine langjährige Haftstrafe absitzt, hatte Verbindungen zu den Attentätern des 11. September sowie zu den Terroristen, die bei Anschlägen in Casablanca und Madrid Hunderte ermordeten. Die Ansprachen, die diesem Film zugrunde liegen, wurden im Jahr 2000 in der Hamburger Al-Quds-Moschee gehalten, einem Anlaufpunkt für Mohammed Atta und seine Gruppe. Sie wurden von einem Unbekannten gefilmt und als Videos unter Nachwuchs-Dschihadis vertrieben.

Karmakar gibt uns nur das blanke Gesicht von Manfred Zapatka, der – auf einem schlichten Stuhl sitzend – zwei Vorträge von Mohammed Fazazi verliest. Zapatka tut dies gewohnt nüchtern, nur hier und da mit einem frontalen Blick in die Kamera akzentuierend. Wir finden uns direkt vor die Sprache und das Denken Fazazis gestellt. Ab und zu werden ihm Zettel mit Fragen gereicht, die er abliest und beantwortet. In den letzten Tagen des Ramadan 2000 nämlich gewährte der Imam seiner Gemeinde eine Art Kummerkastenstunde, bei der alle Themen angesprochen werden konnten. Einmal geht es um die Frage, ob die heiligste Nacht des Ramadan – Laylat Al-Qadr – eindeutig bestimmt werden kann. Leider seien sich die Gelehrten nicht einig, so Fazazi, man solle darum jede Nacht des Ramadan heiligen. Dann fragt jemand, ob eine Frau eine Flugreise ohne männlichen Begleiter tun darf, vorausgesetzt sie werde zum Flughafen gebracht und abgeholt. Nein, auch dann nicht, dekretiert der Imam, es könnte ja eine Notlandung erforderlich werden, und dann müsse die Frau im Hotel unter einem Dach mit Ungläubigen und Weintrinkern nächtigen.

Fazazi bezeichnet sich selbst als Salafi. Salafisten erkennen einzig den Propheten und die ersten drei Generationen seiner Jünger als Vorbilder an. Sie wollen den perfekten, reinen, unkorrumpierten Islam dieser durch allerlei Innovationen (bidah) verlorenen Frühzeit wiedergewinnen und die Theologie von allen außerislamischen Einflüssen – wie etwa der griechischen Logik – reinigen.

Doch Fazazi geht es um mehr. Allmählich flicht er in die Lebenshilfe Grundsätzliches ein. Wenn ich aufgrund eines Vertrages mit den Ungläubigen – also etwa mit einem deutschen Visum – hierhergekommen bin, muss ich dann nicht nach islamischer Auslegung die Gesetze achten?, fragt einer. Die Visabestimmungen entsprächen nicht der Scharia und seien damit ungültig, antwortet Fazazi. Aber gelten nicht für Ungläubige umgekehrt auch Schutzbestimmungen, sofern sie nicht gegen den Islam arbeiten und ihre Sonderabgaben zahlen? Das sei wohl so, wenn jene in einem islamischen Staat leben, in dem die Scharia gilt. Für die Ungläubigen im Westen aber gebe es keinen solchen Schutz. Ihre Ehre, ihr Hab und Gut, ihre Frauen und Kinder seien halal, sagt er, »antastbar«. Gerade weil sie in Demokratien leben, sind sie alle legitime Ziele des Dschihad. Weil in der Demokratie die Gewalt vom Volke ausgehe, und weil die west­lichen Länder ein Weltsystem aufgebaut haben, das überall die Muslime bekriege, entrechte und beraube, seien alle Westler als Kombattanten zu betrachten und dürfen getötet werden, Kinder ebenso wie Soldaten. Den Muslimen Demokratie und Menschenrechte bringen zu wollen, ziele darauf, den Islam zu vernichten: Im Islam gibt es, so Fazazi, statt Volkssouveränität nur die Souveränität Gottes, und alle Rechte des Menschen leiten sich aus den Geboten Gottes.

Fazazi verfügt souverän über alle Register der postkolonialen Klage: Seit Jahrhunderten sind die Muslime beraubt, gedemütigt und betrogen worden. Mi­gran­ten, sagt er, sind nichts anderes als moderne Sklaven. Der Reichtum des Westens beruht auf Raub von Menschen, Rohstoffen und Ideen. Doch seine Predigt dient nicht bloß der Abfuhr von muslimischen Demütigungs- und Ohnmachtsgefühlen. Ihm geht es um mehr: Fazazis Rede kreist um kriegerische Ermächtigung und politische Machtergreifung im Namen des Islam. Er ist kein Ultraorthodoxer, der das Gesetz besonders streng auslegt. Im altmodischen Gewand des Konservativen vertritt er in Wahrheit eine revolutionäre Botschaft. Er will seine Leute moralisch entsichern. Sie sollen nicht bloß hassen, sie sollen handeln. Und so ist es ja auch gekommen.

Es hat fast zwei Jahre gedauert, bis Romuald Karmakars Film in den Verleih kam. Was er zeigt, ist unwillkommen, weil es bestehende Ängste vor dem Islam verstärken könnte. Karmakar zeigt die Nachtseite unseres mühsamen »Dialogs mit dem Islam«. Darum sollte er auf Islamkonferenzen, in Schulen und vor allem in Moscheen diskutiert werden. Denn am Ende werden nur Muslime, die von der Auslegung ihres Glaubens als Machtergreifungsideologie angewidert sind, den Fazazis das Handwerk legen können.