Aus der ZEIT Nr. 46, S. 4:
In Zeiten wie diesen sind die lockeren Termine die schwierigsten. Die Prairie Chapel Ranch, auf der Angela Merkel dieses Wochenende verbringt, ist George Bushs bevorzugte Bühne zur Selbstdarstellung als hemdsärmeliger Durchschnittsamerikaner, als jovialer Gemütsmensch im Flanellhemd. Aber allzu viel inszenierte Lässigkeit wird es diesmal nicht geben, und zwar nicht nur, weil Angela Merkel mit Männlichkeits-Accessoires wie Mountainbike, Angelrute und Kettensäge nichts anfangen kann.
Gelassenheit würde dieser Tage bei George Bush bizarr wirken. Allein wie die Agenda für das Treffen sich von Tag zu Tag verändert, zeigt den rapiden Einflussverlust der amerikanischen Außenpolitik. Vor einer Woche noch schien klar, dass man vor allem über Iran und Afghanistan zu reden hätte. Nun hat sich nach der kriegsbereiten Türkei auch noch Pakistan auf die Tagesordnung von Merkel und Bush geputscht: Kann man vereint Erdoğan von einem Einmarsch in den Nordirak abbringen und Musharraf zurück auf den Weg zu Rechtsstaat und Demokratie bugsieren?
Angela Merkel trifft in Crawford einen amerikanischen Präsidenten, gegen den gerade zwei der wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus den Aufstand proben. Auf das pakistanische Problem, das ihre letzten Reisen gewissermassen umkreist haben, ist sie gut vorbereitet: In Indien und Afghanistan hat sie aus erster Hand erfahren, dass deutsche Interessen berührt sind, wenn Pakistan ins Chaos abgleitet. Das Scheitern der amerikanischen Strategie – Musharraf zu einem Deal mit Benasir Bhutto und zu weiterer Demokratisierung zu drängen – wirft die Frage auf, ob es überhaupt eine deutsche Pakistanpolitik gibt, jenseits von Entwicklungspolitik und Geheimdienstzusammenarbeit. Es führt nicht weit, Bush die Widersprüche seiner Demokratisierungs-Agenda vorzuhalten, die derzeit nirgends so dramatisch zutage treten wie in Pakistan. Auch in Berlin weiß niemand einfache Antworten auf die Frage, ob wir mehr auf die mutigen Anwälte oder auf die Generäle setzen sollen, um radikale Islamisten von der Bombe fernzuhalten.
Eine Privatbesuch auf der Ranch ist die höchste Form der Anerkennung, die George W. Bush zu vergeben hat. Hier zu nächtigen bleibt den ganz Großen und unter ihnen den »engsten Freunden« vorbehalten. Nach Tony Blairs Abgang sind allerdings nicht viele Freunde geblieben. Nicolas Sarkozy, der sich aggressiv um die Blair-Nachfolge als besonderer Freund der USA in Europa bewirbt, ist zwei Tage vor Merkel in Washington. Sarkozy wird warm empfangen, weil man ihn als Übersetzer amerikanischer Wünsche sieht. Doch ins Allerheiligste wird diesmal nur Merkel vorgelassen. In Berlin deutet mancher diese Regie schon als Zeichen, dass die anfängliche Euphorie über den hibbeligen Hyperpräsidenten allmählich verfliegt und Washington sich auf seine verlässlichen Partner in Europa besinnt.
Die merkwürdige Beklommenheit, die über diesem Freundschaftsbesuch liegt, kommt aber paradoxerweise genau daher. Crawford war ursprünglich nur die Revanche für Trinwillershagen in Vorpommern – wo der amerikanische Präsident letztes Jahr auf Merkels Einladung Spanferkel genossen hat. Doch ungeplant ist dies eine wichtige Reise geworden, vielleicht die wichtigste Reise bisher für Merkel. Der Blitzbesuch in Afghanistan stand schon im Vorzeichen des Treffens. Er war nur teils ans Heimpublikum in Deutschland gerichtet. Die Kanzlerin hat in Masar-i-Scharif auch den wachsenden amerikanischen Verdacht zu widerlegen versucht, sie wolle sich das unpopuläre Thema vom Leib halten. Zugleich konnte sie erwartbaren Forderungen vorbauen, mehr Truppen zu schicken und sich im umkämpften Süden zu engagieren. Aus Kabul sprechend und mit einer schusssicheren Weste angetan, sagt sich so etwas überzeugender.
Iran wird zweifellos die eigentliche Probe für das deutsch-amerikanische Verhältnis. Die Kriegsrhetorik des Präsidenten, aber auch mancher Kandidaten für seine Nachfolge, beunruhig in Berlin längst auch in der Wolle gefärbte Atlantiker. Merkel hat Kanzler Schröder seinerzeit für sein Nein zum Irakkrieg auf dem Goslarer Markt kritisiert. Es gehe nicht darum, sich herauszuhalten, sondern Einfluss zu behalten, um einen Krieg zu verhindern.
Ob sie heute Schröder anders sieht? Von der Kanzlerin wird erwartet, hinter verschlossenen Türen keinen Zweifel daran zu lassen, dass sie einen Krieg und selbst begrenzte Militärschläge gegen Iran ablehnt. Sie werde die Betonung auf die unkalkulierbaren Folgen für die Region legen, sagt ein Berater. Es wäre das erste Mal, dass George Bush sich davon beeindrucken ließe. Merkel wird dabei bleiben, dass die Geschlossenheit des Sicherheitsrates, inklusive Chinesen und Russen, die meiste Aussicht bietet, die Iraner zu beeinflussen. Aber sie wird auch signalisieren, dass bei weiterer iranischer Blockade Sanktionen außerhalb des UN-Rahmens infrage kommen. Am Ende lautet Merkels Wette: Wenn man die Amerikaner durch die Geschlossenheit des Westens von einem Abenteuer abzuhalten vermag, werden auch die Iraner beeindruckt sein.
Merkel wird ihr Verhältnis zu Bush neu justieren müssen. Nicht so weit entfernt wie Schröder, nicht so eng wie Sarkozy – die Kanzlerin beherrscht die Kunst, sich zu bekennen, ohne zu brüskieren. Aber entscheiden muss sie sich doch.