Interessantes Gespräch mit der Psychiaterin Meryam Schouler-Ocak in der heutigen taz. Sie ist leitende Oberärztin in der Charité und behandelt dort vorwiegend Einwanderer, die überdurchschnittlich an Depression erkranken. Schouler-Ocak ist selbst als Kind von türkischen Einwanderern nach Deutschland gekommen. Sie hat sich gegen ihre Eltern durchsetzen müssen, die sie jung verheiraten wollten. Dies sagt sie über Heiratsmigration und psychische Krankheit:
„Kommen eigentlich mehr junge oder mehr alte Menschen in die Sprechstunde?
Es hält sich die Waage. Wir haben allerdings einen nicht unerheblichen Teil von Heiratsmigrantinnen. Heiratsmigration ist eigentlich die einzige Möglichkeit, legal in Deutschland einzureisen. Die jungen Frauen, die eine solche Ehe eingehen – mal, weil sie sich dem Familienwunsch nicht entziehen können, mal, weil sie es selbst wollen, mal, weil sie Abenteuerlust verspüren – wissen oft gar nicht, worauf sie sich einlassen.
Ist die Desillusionierung absehbar?
Auf jeden Fall. Diese Frauen haben in der Türkei mitunter modern gelebt. Dann kommen sie hierher und haben völlig unterschätzt, in welchen Abhängigkeiten sie landen. Vom Mann, von den Schwiegereltern. Sie werden eng gehalten, haben keine Freunde, niemanden, mit dem sie sich austauschen, und sind wie Bedienstete. Dann kriegen sie Kinder und dürfen sie mitunter noch nicht mal nach ihren Vorstellungen erziehen. Und was ich häufig sehe: Manchmal sind sie gebildeter als die Männer. Wenn die Frauen die Rahmenbedingungen hier nicht akzeptieren und ertragen können, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie psychisch einbrechen. Wir haben auch mehrere junge Patientinnen, die nach Suizidversuchen kommen oder nach Gewalterfahrungen mit ihren Partnern.“