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Türk Obama

In der Europa-Ausgabe der Hürriyet rührt deren Chefredakteur Kerem Caliskan die Trommel für den Grünen Cem Özdemir, der für das Amt des Bundesvorsitzenden kandidieren will. Özdemir könne, wie Obama, eine Integrationsfigur und ein Mann des Wandels werden und den Türken neue Hoffnung geben.

So weit, so gut. Özdemir ist ein kluger Mann, der sich auch immer wieder mutig in innertürkischen Debatten eingemischt hat – wie etwa zu Orhan Pamuk und zur Armenierfrage. Das ist ihm hoch anzurechnen. Und wahrscheinlich wäre er auch für die Grünen eine Erfrischung nach den eher tristen Bütikofer-Jahren. Als Realo-Gegengewicht zu Claudia Roth hätte er auch Charme.

Allerdings ist es ziemlich bizarr, mit welchen Assoziationen der Hürriyet-Kommentator ihn  auf den Weg schickt.

Die Türken in Deutschland seien mit der schwarzen Bevölkerung der USA vergleichbar, so Caliskan. „Sie stellen die Armen dieser Gesellschaft dar und ihre Jugend wird im Bildungssystem ausgegrenzt. Auch sie wurden einst wie die schwarzen Sklaven anhand ihrer Zähne und ihrer Muskeln ausgewählt.

Vor einem derartigen Hintergrund stelle der Weg Özdemirs und seine jetzige Kandidatur für das Amt des Grünen-Vorsitzenden eine „Erfolgsgeschichte“ dar. Auch er könne, wie Obama, der deutschen Gesellschaft ‚Change’ (Wandel) bringen.

Anhand ihrer Zähne ausgewählt? Das bezieht sich offenbar auf die teilweise als demütigend empfundenen Gesundheitsuntersuchungen, die die ersten Gastarbeiter über sich ergehen lassen mussten.

Aber diese Prozedur mit dem Sklavenmarkt zu vergleichen, ist eine Frechheit.

Die türkischen Medien schaffen es selbst bei einem Thema, das eigentlich Hoffnung und Wandel heißt, ihren Schäfchen ein Opfer-Bewußtsein einzureden.

Das ist nicht nur eine Unverschämtheit gegenüber der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, weil es deren Ausgangsposition verkennt und verharmlost durch diesen Vergleich.

Es ist auch eine Mißachtung derjenigen unter den türkischen  Gastarbeitern, die mutig den Weg in eine andere Welt antraten, voller Unternehmungslust und auf der Suche nach einem besseren Leben. Sie wurde nicht verschleppt, sie betrieben „pursuit of happiness“ im Westen. Sie waren keine Jammerlappen wie die Journalisten, die Unverantwortlichkeit predigen, indem sie immer die deutsche Gesellschaft auf der Seite der Schuldigen sehen.

Die türkische Bildungsmisere – eigentlich eine Schande für die Community in einem System wie unserem mit kostenlosem Service vom Kindergarten bis zum Hochsschulstudium für alle ! – wird der deutschen Sklavenhaltergesellschaft aufgebürdet.

Diese Dauerbeschallung der türkischen Öffentlichkeit durch Hürriyet und andere, die sie zum weiteren Versagen geradezu ermutigt, indem sie Opferlegenden baut, ist viel schädlicher als die einzelnen Rufe irgendwelcher Hinterhof-Hassprediger.