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Mussawi: Wir sind Opfer von Betrug

 

Dieses Statement von Mir Hossein Mussawi vom Wochenende gibt einen guten Einblick in sein Denken und Argumentieren. Ich denke, es ist gefährlich für das Regime, eben weil er selbst religiös-khomeinistisch orientiert ist, aber den Geist der islamischen Revolution gegen das heutige Establishment wendet.

„Im Namen Gottes, des Barmherzigen

In der Tat verlangt Gott von Dir, treuhänderisch umzugehen mit dem, was die Menschen Dir anvertrauen und sie mit Gerechtigkeit zu regieren (Koranvers)

Ehrenwertes und kluges Volk des Iran, in diesen Tagen und Nächten ereignet sich ein entscheidender Moment in unserer Geschichte. Die Menschen fragen einander: „Was sollen wir tun?“

Vor dreissig Jahren siegte in diesem Land eine Revolution im Namen des Islam, eine Revolution, die die Würde der Menschen wiederherstellen wollte, eine Revolution für Wahrheit und Gerechtigkeit. In jenen Zeiten, als unser erleuchteter Imam Khomeini noch lebte, wurden viele Leben investiert, um diese Grundlage zu legitimieren und viele wertvolle Dinge wurden erreicht. … Dieses Volk erlangte Würde und Freiheit…
Ich bin sicher, dass diejenigen, die jene Tage erlebt haben, sich nicht mit weniger zufrieden geben werden. Haben wir als Volk die Gabe verloren, jene frühere Spiritualität zu erleben? Ich war gekommen um zu sagen, dies sei nicht der Fall. Es ist noch nicht zu spät, wir sind noch nicht zu weit entfernt von diesem erleuchteten Raum.

Ich war angetreten um zu zeigen, dass es möglich sei, spirituell zu leben und zugleich ein Teil der modernen Welt zu sein. Ich war gekommen um die Warnungen des Imams über den Fundamentalismus zu wiederholen. Ich war gekommen um zu sagen, dass die Missachtung der Gesetze zur Diktatur führt; und um daran zu erinnern, dass die Achtung der Menschenwürde die Grundfesten des Regimes nicht erschüttert, sondern stärkt.
Ich war gekommen um zu sagen, dass die Menschen Aufrichtigkeit und Integrität von ihren Dienern erwarten, und dass viele unserer Gefährdungen sich aus der Lüge ergeben. … Ich war gekommen um neu einzuladen zur Islamischen Revolution, so wie sie sein sollte, und zur Islamischen Republik, so wie sie sein sollte. … Die Kernbotschaft der Revolution erwies sich als so anziehend, dass es meine Artikulationsfähigkeit überstieg und die junge Generation anstachelte, die jene Tage nicht erlebt hatte, Szenen nachzuschaffen, die wir seit den Tagen der Revolution und der heiligen Verteidigung nicht gesehen hatten. Die Volksbewegung wählte Grün als Symbol, und ich bekenne, darin folgte ich ihr.
Eine Generation, die angeprangert wurde, sie sei von der Religion entfernt, hat nun Parolen wie „Gott ist groß“, „Gottes Sieg ist nahe“ und „Oh Hussein!“ angenommen, um zu zeigen, dass die Früchte dieses Baumes sich alle ähneln. Niemand hat ihnen diese Slogans beigebracht, sie von durch ihren eigenen Instinkt zu ihnen geleitet worden.
Wie ungerecht sind jene, die aus kleinlichem Vorteilsdenken unterstellen, dies sei eine „samtene Revolution“, die von Fremden angezettelt wurde!
Aber wie ihr wisst, sind wir alle zu Opfern von Betrug und Unterstellungen geworden, als wir unsere Nation zu erneuern versuchten und Träume zu verwirklichen suchten, die in den Herzen unserer Jungen und Alten wurzeln.

Die große Beteiligung bei der jüngsten Wahl war das Resultat harter Arbeit bei der Schaffung von Hoffnung und Vertrauen. Wir versuchten denen eine verdiente Antwort zu erteilen, deren breite Unzufriedenheit mit der jetzigen Managementkrise die Grundfesten des Regimes hätte antasten können.
Wenn dieser gute Wille des Volkes nicht beantwortet wird, indem man seine Stimmen schützt, oder wenn das Volk seine Rechte nicht auf eine zivile Art und Weise durchsetzen kann, dann wird die Verantwortung für die gefährlichen Kämpfe vor uns auf den Schultern jener lasten, zivile Proteste nicht tolerieren. Wenn Betrug und Manipulation, die den Zorn des Volkes erregt haben, als Fairness ausgegeben werden, wird die republikanische Natur des Staates zerstört werden und die Ideologie praktisch bewiesen werden, dass Islam und republikanische Verfassung unvereinbar seien.
Dieses Ergebnis wird zwei Gruppen glücklich machen: Erstens jene, die seit Beginn der Revolution gegen den Imam (Khomeini) standen und die Islamische Republik eine Diktatur der Elite nannten.
Und zweitens jene, die die Menschenrechte verteidigen und glauben, die Religion und der Islam seien gegen die Republik. Die große Kunst des Imams war es, diese Gegensätze zu neutralisieren. …
Doch jetzt haben die Oberhäupter unseres Staates die Verantwortung akzeptiert für das, was während der Wahl passiert ist, indem sie die Ergebnisse der Wahl bestätigten und ihre Überprüfung so einschränkten, dass das Endergebnis dadurch nicht verändert werden kann.
Wir werden aufgefordert, unsere Beschwerden beim Wächterrat einzureichen, obwohl dieser Rat seine Voreingenommenheit unter Beweis gestellt hat, nicht nur vor und während, sondern nach der Wahl. …
Wenn ich die Szene betrachte, scheint sie mir bereit für eine neue politische Agenda, die weit darüber hinaus geht, eine ungeliebte Regierung zu installieren. … Als jemand, der die Schönheit eurer grünen Welle gesehen hat, werde ich nie erlauben, dass jemandes Leben durch meine Taten gefährdet wird. Doch ich lasse mich nicht einschüchtern in meiner Forderung, dass die Wahl annulliert werden muss und das Recht des Volkes gewahrt.
… Voll Gottvertrauen und Zukunftshoffnung, gestützt auf die Stärke einer sozialen Bewegung, (sage ich:) fordert eure Rechte im Rahmen der existierenden Verfassung, und beachtet das Prinzip der Gewaltlosigkeit!
Denn wir stellen uns nicht gegen die Bassidsch-Milizen. Die Bassidsch sind unsere Brüder. Und wir stellen uns nicht gegen die Revolutionsgarden. Die Garden sind die Hüter unserer Revolution. Wir stellen uns nicht gegen die Armee, denn die Armee beschützt unsere Grenzen. Diese Organe sind die Hüter unserer Unabhängigkeit, der Freiheit und der Islamischen Republik. Wir stellen uns gegen Betrug und Lügen, und wir wollen Reform – Reform durch Rückkehr zu den wahren Prinzipien der Revolution.

Wir raten den Staatsgewalten, die Strasse zu beruhigen. Artikel 27 der Verfassung gibt nicht nur dem friedlichen Protest Raum, sondern ermutigt gar zu solchen Versammlungen. Das Staatsfernsehen sollte aufhören, uns schlechtzureden und Partei zu ergreifen. Bevor Stimmen sich zum Geschrei steigern, lasst sie in vernünftigen Debatten hörbar werden. Lasst die Presse kritisieren, und die Nachrichten bereicht, so wie sie passieren. In einem Wort: Schafft einen Freiraum für die Menschen, wo sie Zustimmung und Dissens ausdrücken können. …
Euer Bruder und Gefährte Mir Hossein Mussawi.“

 

Übersetzung aus dem Englischen von Jörg Lau