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Wie das Amt sich auf Westerwelle vorbereitet

 

Mein Stück aus der ZEIT von morgen, Nr. 45, S. 5:

Am Werderschen Markt in der Mitte der Hauptstadt haben sie für den Neuen schon seit Wochen großräumig Platz geschaffen. Steinmeiers Sprecher Jens Plötner ist nun Botschafter in Colombo, sein Politischer Direktor Volker Stanzel vertritt Deutschland ab sofort in Tokyo, sein Staatssekretär Reinhard Silberberg in Madrid. Die Regale sind leer, die Familienfotos entfernt: Raum für neue Gedanken, Gelegenheit für überraschende Karrieren!
Kaum jemand hier hatte nämlich Zweifel, dass Guido Westerwelle als vierter FDP-Mann in der Geschichte der Bundesrepublik das Auswärtige Amt in Beschlag nehmen würde. Und selbst jene Berliner Diplomaten, die nicht so recht an Westerwelles außenpolitische Sendung glauben, wären wohl ein bisschen beleidigt gewesen, wenn er doch lieber Finanz- oder Superminister geworden wäre, statt sich in die Ahnenreihe der Scheel, Genscher und Kinkel zu stellen. Unterdessen arbeiten die Fachabteilungen seit Wochen daran, für den Neuen Dossiers zu erstellen, die ihm die Welt erklären – eine Art Gebrauchsanweisung für den Globus. »Wir sind jederzeit in der Lage«, sagt ein führender Diplomat, »Herrn Westerwelle von null auf hundert zu bringen.«
Bei null müssen sie zwar nicht anfangen. Westerwelle hat sich als Oppositionsführer im Bundestag immer wieder in außenpolitische Debatten eingeschaltet – zu Afghanistan (für den Einsatz), zum amerikanischen Raketenschild (dagegen), zu Iran (für harte Sanktionen), zum Nahen Osten (gegen den Einsatz der deutschen Marine vor dem Libanon). Und er hat das ganze letzte Jahr damit verbracht, vorauseilend dem Verdacht entgegenzuwirken, es fehle ihm das staatsmännische Stresemann-Gen. Er hat kluge außenpolitische Interviews gegeben und eine ausgefeilte Rede vor Berliner Diplomaten gehalten. Hans-Dietrich Genscher hielt währenddessen seine segnende Hand über ihn, damit auch der Letzte merkte, dass dieser Guido sein geliebter Sohn sei, an dem er Wohlgefallen habe.
Das Auswärtige Amt hat noch jeden seiner Minister gut aussehen lassen
Aber all das ist jetzt Geplänkel. Denn es beginnt etwas Neues im Leben von Guido Westerwelle. Es geht jetzt nicht mehr darum, mit wie viel Glaubwürdigkeit er seine eigene neueste Inkarnation vertritt. In den Arenen, die er jetzt betritt, interessiert es niemanden, ob er durch innere Einsicht oder aus Berechnung vom Spaßpolitiker zum besorgten Kümmerer geworden ist.

Die Frage lautet, ob Guido Westerwelle Deutschlands Interessen und Werte würdig vertreten kann, oder anders gesagt: ob er Deutschland so repräsentieren kann, wie das Land sich gerne sieht – selbstbewusst, ohne aufzutrumpfen, solide, aber nicht langweilig, weltoffen, glaubwürdig – und vielleicht sogar ein bisschen cool. Das ist eine große Herausforderung für jemanden, über dessen Lebensweg sich die Interpreten von jeher lustvoll und schadenfroh beugen, dem man jeden Lapsus hämisch vorhält – wie kürzlich seine krampfig-unsichere Zurückweisung eines englischen Reporters. Aber es könnte für ihn auch eine Art Erlösung sein, dass die Leute demnächst Deutschland sehen, wenn Westerwelle den Raum betritt – in Kuala Lumpur, Jekaterinburg oder Rabat.
Er kann dann endlich aufhören, den Wahlkampf gegen die Sozis immer noch mal gewinnen zu wollen. Und wenn er so beliebt wird wie noch jeder Außenminister vor ihm, muss er vielleicht auch nicht mehr seine im Grunde sympathische Empfindlichkeit mit aufgesetzter Jovialität übertönen.
Der riesige Apparat des Auswärtigen Amtes wird jedenfalls alles dazu tun, dass sein Minister reüssiert. Mit seinen 7000 Mitarbeitern und einem Budget von drei Milliarden schnurrt »das Amt« nur so vor solider Kompetenz und Weltläufigkeit. Es gibt hier mehr Sachverstand, zum Konflikt zwischen Tamilen und Singhalesen, zum Powerplay zwischen EU-Kommission und Parlament, zu den Kämpfen zwischen Revolutionsgardisten und theokratischem Establishment in Iran, als ein Minister überhaupt abfragen kann. Man ist vorbereitet: Das Iran-Team etwa hat schon eine fertige Liste mit schmerzhaften Sanktionen, die sehr schnell umgesetzt werden können, sollten die Verhandlungen scheitern.
Das Auswärtige Amt hat noch jeden gut aussehen lassen, selbst einen unverhofft zum Diplomaten avancierten Beamten wie Klaus Kinkel mit seiner aus der Zeitmaschine grüßenden Elvis-Tolle. Aber die passende Parallele zu Westerwelles diplomatischem Aufstieg ist nicht Kinkels Antritt, sondern die Ministerwerdung seines einstigen Lieblingsfeindes Joschka Fischer. Westerwelle ist ein machtvoller und gewiefter Parteipolitiker wie jener, und mit Blick auf seinen vom Wahlergebnis abermals befeuerten Geltungsdrang stellt sich auch für ihn und seine Kabinettschefin die alte Koch- und Kellner-Frage. Joschka Fischer musste seinerzeit schnell feststellen, dass es keine grüne, sondern nur eine deutsche Außenpolitik gibt. Und diese wird zunehmend von den Kanzlern gemacht und dargestellt. Merkel hat sich noch stärker als Schröder als Außenkanzlerin profiliert. Unwahrscheinlich, dass sie dabei in Zukunft mit Blick auf den neuen Partner zurückhaltender auftreten wird. Im Gegenteil: Ihre zweite Amtszeit wird gleich mit einem Paukenschlag beginnen, wenn sie nächste Woche vor beiden Häusern des amerikanischen Kongresses spricht.
Angela Merkel liebt die große Bühne der Weltpolitik. Aber es liegt gar nicht in der Hand der Kanzlerin: In der von der Krise heraufbeschworenen G-20-Welt sich jagender Gipfeltreffen wird Außenpolitik notgedrungen zur Sache der Präsidenten, Premiers und Kanzler. Außenminister kommen in Merkels exklusivem Klub nicht einmal mehr mit aufs Foto.
Die FDP empfindet die Wiedereroberung – nach elf langen Jahren – ihres angestammten Ministeriums als Rückkehr zur Normalität. Doch ihre wenigen verbliebenen außenpolitischen Schwergewichte – wie etwa der Abgeordnete Werner Hoyer, der jetzt zum zweiten Mal Staatsminister im Amt wird – wissen genau, dass erst neu bestimmt werden muss, was das heute heißt: »Normalität« in der Außenpolitik. Bald schon wird es einen europäischen Außenminister geben, auch wenn er gemäß dem Lissabonner Vertrag zunächst nur Hoher Vertreter heißen darf. Er wird einen eigenen auswärtigen Dienst in Brüssel bekommen. Und dann hat die Bundeskanzlerin auch noch gleich zwei Unionspolitiker in Position gebracht, die die deutsche Außendarstellung bei Bedarf mit übernehmen können: Günther Oettinger als EU-Kommissar und Karl-Theodor zu Guttenberg als Verteidigungsminister.
Guttenberg darf sich in seinem neuen Amt endlich um Dinge kümmern, von denen er viel versteht. Er war der am besten vernetzte und sachkundigste junge Außenpolitiker der Union, bevor er, unverhofft zum Wirtschaftsminister promoviert, als beinahe Opel-Deal-Verhinderer bekannt wurde.
Wo der glücklose Franz Josef Jung sich in der Abwehr der Kriegsrhetorik verschliss, wird der Transatlantiker Guttenberg die sicherheitspolitische Debatte an sich ziehen. Dem Auswärtigen Amt obliegt zwar die Aufsicht des Afghanistan-Einsatzes. Aber man darf wetten, dass Guttenberg sich Westerwelle nicht unterordnen wird. Schon preist die Herald Tribune ihn als die entscheidende Adresse amerikanischer Absprachen an. Westerwelle könnte es mit dem Jungstar der Union ergehen wie Kinkel, der ein ums andere Mal von dem ambitionierten Verteidigungsminister Volker Rühe an die Wand gespielt wurde.
Dass die FDP mit dem früheren Generalsekretär Dirk Niebel das Entwicklungshilfeministerium besetzt hat, da sie es nicht schon, wie im Wahlkampf gefordert, abschaffen konnte, feiert Westerwelle als Ende der »Nebenaußenpolitik« des BMZ. Künftig soll besser koordiniert werden, wie deutsche Hilfsmillionen in Afghanistan unters Volk gebracht werden. Die neue Koalition will darum anstelle des zwischen Merkel und Steinmeier umstrittenen »Beauftragten für Afpak«, Bernd Mützelburg, einen Sonderbotschafter benennen, der Einvernehmen beim Aufbau am Hindukusch herstellt – zwischen Diplomaten, Entwicklungshelfern und Soldaten. Außenminister Westerwelle darf ihn vorschlagen. An der Akzeptanz dieser Personalie bei Merkel und Guttenberg wird man vielleicht zum ersten Mal ablesen können, wie viel Kredit der Vizekanzler im Kabinett hat.
Wenn man sich dieser Tage bei den Liberalen umhört, was denn ihre Außenpolitik nach dem Ende der bipolaren Welt ausmachen soll, mangelt es nicht an Vorschlägen: Klaus Kinkel und HansDietrich Genscher mahnen, Obamas Abrüstungsinitiative zur »globalen Null« zu unterstützen. Werner Hoyer wirbt dafür, beim Umgang mit »erfolgreichen Autokratien« wie Russland und China Aufklärung und Menschenrechte selbstbewusster zu vertreten. Parteisprecher Robert von Rimscha sagt, man müsse endlich Asien und Lateinamerika ohne die Drittweltbrille neu anschauen. Der EU-Parlamentarier Alexander Graf Lambsdorff hält es für das Gebot der Stunde, die Osteuropäer endlich genauso zu behandeln wie die Nachbarn im Westen.
Damit scheint er einen Nerv des neuen Außenministers zu treffen. Westerwelle will die Fortsetzung der Ostpolitik Scheels und Genschers so verstehen: Die deutsche Polen- und Tschechienpolitik muss aus der Geiselhaft der Vertriebenenpolitik Erika Steinbachs befreit werden. In seiner klugen Rede vor den Berliner Diplomaten hat Westerwelle ungewöhnlich pathetisch gesagt: »Aufgabe der Generationen vor uns war es, die Aussöhnung mit unseren Nachbarn und die Integration Deutschlands in den Westen voranzubringen. Die Aufgabe meiner Generation ist es, die Aussöhnung und Überwindung der Teilung Europas auch Richtung Osten zu vollenden.« Ob er es schaffen kann, die Beziehungen zu Polen auf das Niveau des deutsch-französischen Verhältnisses zu heben? Man könnte damit anfangen, auf dem Flug nach Moskau in Warschau Station zu machen. Hier kann der liberale Außenminister etwas bewegen – wie es ja auch schon in den Koalitionsverhandlungen gelungen ist, die Türkeipolitik aus den Fängen der CSU zu befreien, die so gerne mit Karacho die Tür nach Europa zugeschlagen hätte. Das wird nun nicht geschehen. Mit den Türken wird ergebnisoffen weiterverhandelt, und die Kanzlerin lächelt sphynxhaft dazu.
A propos islamische Welt – da wäre noch eine Kleinigkeit. Guido Westerwelle ist bekennender Homosexueller. Wohl der erste auf der ganz großen Weltbühne. Er hat nie ein großes Thema daraus gemacht. Andere, die ihm sein Amt nicht gönnen oder nicht zutrauen, fragen besorgt, ob es nicht doch zu Problemen führen wird. Die türkische Zeitung Milliyet hat schon mal vorsorglich im Außenministerium in Ankara nachgefragt, ob es ein Problem darstelle, wenn Westerwelle seinen Mann Michael Mronz mitbringen wolle: »Wir haben noch nie eine derartige Erfahrung gemacht. Wir haben keine vorgefertigten Pläne. Weltweit gibt es keinen einheitlichen Umgang damit. Wenn Herr Westerwelle mit seinem Lebensgefährten kommt, werden wir eine angemessene Behandlung dieses Umstands finden.« In anderen Worten: Herr Westerwelle, Herr Mronz, willkommen in Ankara.