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Westerwelle – ein Schadensbericht nach 5 Monaten

 

Diesen Artikel habe ich mit dem Kollegen Peter Dausend zusammen verfaßt. Aus der ZEIT Nr. 12 vom 18.3.2010, S. 4:

Er wirkt eigenartig erleichtert, endlich den edlen dunkelblauen Diplomatenpass gegen den gewöhnlichen roten eintauschen zu dürfen. Nach sieben Tagen Lateinamerika, nach sieben Tagen in Samthandschuhen, schaltet Guido Westerwelle auf Attacke um. Kaum auf dem Rollfeld in Berlin-Tegel angekommen, diktiert er sturmzerzaust in die Mikrofone: »So, jetzt bin ich wieder in Deutschland. Und mit Verlaub: Wer glaubt, er bekäme mit einer Verleumdungskampagne eine linke Mehrheit in Nordrhein-Westfalen zustande, unterschätzt die Wähler in Deutschland.« Der Chefdiplomat hat Feierabend, der Einpeitscher betritt die Bühne.
Knapp fünf Monate lang hat das Land Guido Westerwelle nun in dieser Doppelrolle erlebt. Kein Außenminister war je so unbeliebt. Seit Franz Josef Strauß hat kein Politiker mehr so polarisiert. Seine Dienstreisen in Begleitung von Freunden und Gönnern haben der FDP den Vorwurf eingebracht, ausgerechnet jene Partei, die in der Opposition den Staat noch abwickeln wollte, mache ihn sich, kaum in der Regierung, zur Beute. Und nun droht Schwarz-Gelb im wichtigsten Bundesland auch noch der Machtverlust. Westerwelle, der Triumphator vom 27. September 2009, hat Großes angekündigt – und dann Großes angerichtet. Zeit für eine Besichtigung des Flurschadens. In seiner Partei, im Außenamt, bei der deutschen Wirtschaft, in der Koalition – und bei ihm selbst.
Der erste Schadensbereich ist die Partei. Elf Oppositionsjahre haben sich die Liberalen darum bemüht, das Image der FDP als Klientel- und Umfallerpartei abzustreifen. Nach fünf Monaten an der Macht ist es stärker denn je. Der Ruf als Klientelpartei war bereits zum Jahreswechsel wiederhergestellt, als Westerwelle die Hoteliers mit der Absenkung der Mehrwertsteuer beglückte. Und der Ruf als Umfallerpartei kurz darauf, als sein Stellvertreter Andreas Pinkwart aus NRW angesichts breiter Kritik die Absenkung wieder rückgängig machen wollte.
Hinzu kommt, dass Westerwelles Sozialstaatsdebatte zwar den tiefen Fall der FDP in den Umfragen gestoppt, dabei aber einen verheerenden Kollateralschaden verursacht hat. Nach Stand der Dinge besteht die einzige Chance für eine Neuauflage der schwarz-gelben Koalition in NRW im Scheitern der Linken. Auf dem besten Wege, an der Fünfprozentklausel hängen zu bleiben, bekam diese jedoch von Westerwelle mit der Hartz-IV-Debatte ein Thema geschenkt. Sie fing sich – und liegt nun stabil zwischen sechs und sieben Prozent.
Doch das ist noch nicht der größte Schaden.
So manchem im erweiterten Führungskreis der FDP missfällt Westerwelles Amtsführung. Seine ständigen Verwandlungen von Dr. Jekyll in Mr. Hyde, vom Diplomaten in den Einpeitscher, sein Spiel mit Ressentiments, der Stil der kalkulierten Empörung. Das Missfallen am »Außenvorsitzenden« Westerwelle verpufft jedoch wirkungslos. Die Kritik von außen, von Opposition und Medien, sei, so sehen das die Westerwelle-Kritiker innerhalb der FDP, in Teilen überzogen. So sehr, dass sie sich zur Solidarisierung mit ihm gezwungen sehen. Der Vorwurf in der Hotel-Debatte, die FDP sei käuflich, die Behauptung in der Dienstreise-Diskussion, die FDP bediene systematisch ihre Freunde und Sponsoren – beides führt dazu, dass sich die Partei hinter ihrem Vorsitzenden versammelt, Kritiker eingeschlossen. Diese »politische Solidarisierung«, so formuliert es einer von ihnen, verwechsele Westerwelle mit einer »emotionalen«. Dies trage dazu bei, dass er »zunehmend beratungsresistent« werde. Die Selbstregulierungskräfte innerhalb der FDP versagen.
Damit nicht genug. Westerwelle benutzt die Anwürfe aus Opposition und Medien gezielt dazu, die Solidarisierung zur verschworenen Gemeinschaft zu verdichten. Wie etwa beim Parteitag der NRW-FDP vergangenes Wochenende in Siegen. Als er in seiner Rede mit pickenden Zeigefingern den Medienvertretern zuruft: »Ihr kauft mir den Schneid nicht ab – das verspreche ich euch!«, tobt der Saal. Die Delegierten springen auf, jubeln ihrem Vorsitzenden zu. Stehend und minutenlang. Wir hier drinnen – ihr da draußen. Die Bösen und die Guten. Die FDP läuft Gefahr, eine Wagenburgmentalität zu entwickeln. So wie einst Andrea Ypsilantis hessische SPD. Ungewöhnlich für eine bürgerliche Regierungspartei.
Hans-Dietrich Genscher, der Gottvater der Liberalen, scheint mit dieser Westerwelle-FDP nicht mehr viel anfangen zu können. Am Samstag besuchte er noch den Parteitag in Siegen. Am Sonntag, als Westerwelle kam, war er bereits abgereist. Manch Liberaler wünscht, der Ehrenvorsitzende möge doch den bedrängten Vorsitzenden mit einem öffentlichen Wort unterstützen. Genscher antwortet mit Schweigen.
Die politisch größte Gefahr erwächst der FDP aber aus der Neigung ihres Vorsitzenden, mit großer Geste Popanze aufzubauen. Das Schreckgespenst, das seiner Partei zu schaffen macht, lautet: Deutschland ist in Gefahr – und nur die FDP kann es retten. In Westerwelles Welt tobt stets ein Kampf der Kulturen. Der Ausgang entscheidet darüber, welche Geis­tes­haltung, welcher Zeitgeist die Zukunft prägen wird: Leistungsbereitschaft, Anstrengung, Fleiß – oder deren Geringschätzung. Das Deutschland, das er zeichnet, ist ein Land, in dem sich Unternehmer dafür rechtfertigen müssen, dass sie Gewinne machen wollen. In dem staatliche Bevormundung mehr zählt als freiheitliche Selbstbestimmung, in dem alle übrigen Parteien vom Beharrungswillen geprägt sind, in dem niemand sehen will, mit welcher Dynamik Brasilien, Indien, China aufholen und Deutschlands Status gefährden, ein Land, in dem alle immer nur Risiken sehen und nie Chancen. Kurzum ein Land, das nur die FDP aus seiner Apathie, seinem Dornröschenschlaf erwecken kann – die FDP und zuvörderst ihr Chef. »Ich wollte nicht regieren«, so Westerwelle in Siegen, »damit es einen Regierungswechsel gibt. Ich wollte regieren, damit es einen Politikwechsel gibt.« Ein Vizekanzler beansprucht die Richtlinienkompetenz.
Der Anspruch ist zum Scheitern verurteilt. Mit seiner Erregungs- und Erlösungsrhetorik weckt Westerwelle im Namen seiner Partei Er­war­tun­gen, die das Vermögen eines Juniorpartners weit übersteigen. Westerwelles Großsprechen hat die FDP in der Opposition groß werden lassen. In der Regierung macht es sie wieder klein.
Der nächste Flurschaden ist im Auswärtigen Amt zu besichtigen. Für die Beamten dort war die Lateinamerikareise eine bittere Erfahrung: Sie hatten ihrem Chef Termine bei den Staatschefs von Chile, Argentinien, Uruguay und schließlich sogar beim wichtigsten Mann des Kontinents, dem Brasilianer Lula da Silva, verschafft. Ein unterschätzter Kontinent sollte aufgewertet werden. Doch daheim überlagerte die Debatte um Westerwelles Mitreisende den großen Auftritt. Im Amt kritisiert man »die Medien«, doch dahinter lauert vernehmbar der Zweifel: Vielleicht geht es mit diesem Chef einfach nicht. Das Auswärtige Amt ist ohnehin unter Druck: Außenpolitik wird durch die Gipfeldiplomatie immer mehr zur Sache der Kanzler und Präsidenten. Dagegen möchten die Diplomaten ihren Turf verteidigen. Ein Minister, dessen Leidenschaft die Innenpolitik ist, höhlt die Bedeutung des Amtes aus. Westerwelles Amtsverständnis hat den natürlichen Schutzschirm weggeätzt, der einen Außenminister früher im Ausland vor Angriffen aus der Heimat schützte. Ein lustvoll polarisierender Innenpolitiker (»spätrömische Dekadenz«) kann sich nicht im nächsten Augenblick hinter dem blauen Pass verstecken.
Interessiert er sich eigentlich für sein Amt? Oder langweilt es ihn schon? Sein Desinteresse an den mühsamen Details der Außenpolitik kontrastiert merkwürdig mit der Neigung zum Bombast: Eine Fortsetzung der Afghanistanpolitik wird bei ihm zur neuen »Gesamtstrategie«. Und wenn nun auch er – wie seine Vorgänger – nach Lateinamerika reist, muss gleich eine neue »Südamerikastrategie« dahinterstecken. Alles wird aufgeblasen, damit es des Ministers würdig ist. Vielleicht ist der Superlativ nur die Kehrseite einer Enttäuschung. Denn das Amt mit seiner Verpflichtung zur Überparteilichkeit steht Westerwelles Ambition im Weg, sich als Reformmotor und »Freiheitsstatue« der Republik zu inszenieren.
Trotzig will er nach dem Reisedebakel auch »künftig weiter Türen öffnen« für die deutsche Industrie. Er fasse das Thema »nicht mit spitzen Fingern an«. Darin liegt die Suggestion, seine Vorgänger hätten die Wirtschaft vernachlässigt und nun stünde eben er, Westerwelle, für seine erklärte Unternehmerfreundlichkeit am Pranger. Doch darum geht es nicht. Als Vorsitzender einer Partei, die von jeher gegen den Verdacht des Klientelismus ankämpft, hätte er besonders auf politische Hygiene achten müssen.
Gerade vom wirtschaftsfreundlichen Standpunkt aus ist die Reisepolitik des Ministers ein Schlag ins Kontor. Weil Westerwelle seine Delegationen mit zu vielen Buddies und Spendern garniert, steht nun die Mitreise beim deutschen Außenminister per se unter Verdacht. Ein paradoxes Zwischenergebnis für einen Wirtschaftsliberalen.
Mitreisende Manager sahen sich in São Paulo gezwungen, durch eine eigene Pressekonferenz ihre Reputation zu retten. Wenige Spitzenkräfte werden sich das freiwillig noch einmal antun. Türen öffnen kann nur, wer im In- und Ausland glaubwürdig ist.
Dass Westerwelle selbst Schaden nimmt, zeigt jeder flüchtige Blick auf die Umfragen: Nie hatte ein Außenminister solch miserable Beliebtheitswerte. Homophobie, Schwulenfeindlichkeit – so schallt es nun offen von manchen Liberalen. Und so deutete es Westerwelle selbst am vergangenen Montag bei einer Pressekonferenz erstmals öffentlich an: Er frage sich gelegentlich, so Westerwelle, ob die Teilnahme des Partners an einer Auslandsreise »in einer anderen Konstellation« auch so attackiert worden wäre. Der Kritiker wird generell unter Homophobie-Verdacht gestellt, ärgert sich darüber – und sein Ärger wird als Beleg für seine Schwulenfeindlichkeit ausgelegt. Bedauerlich. Der offene Umgang Westerwelles mit seiner Homosexualität hatte ihn, den notorisch Unzugänglichen, sympathischer gemacht. Jetzt ist ihm auch dieser Lebensbereich zur politischen Munition geraten.
Wie geht es nun weiter mit dieser Regierung? Mit einer schwarz-gelben Koalition, die die Deutschen vor fünf Monaten wählten – und die nun in allen Umfragen durchsackt? Wie weiter mit einem Außenminister, dem die Leidenschaft für sein Amt fehlt? Wie weiter mit einem Vizekanzler, der das Land grundlegend verändern will und auf eine Kanzlerin trifft, die das partout nicht will? Vielleicht hilft es ja, wenn das eintritt, was sich ein führendes FDP-Mitglied wünscht: eine Niederlage bei der Landtagswahl in NRW am 9. Mai. Dann, so die vage Hoffnung, würde man unter Verweis auf die nun fehlende Mehrheit im Bundesrat die ehrgeizigen FDP-Pläne zur Steuerreform und zur Kopfpauschale auf »unions­kompa­ti­bles Format« abspecken können. Und dann, so die gewagte Hoffnung, »wird Westerwelle auch ruhiger«. Und wenn es doch klappt mit Schwarz-Gelb in Düsseldorf? »Dann haben wir ein Problem.«