Lesezeichen
‹ Alle Einträge

In der Piratengrotte – Angela Merkel am Golf

 

Angela Merkel steht am Montagabend dieser Woche unter einer Golddecke mit prächtigem Kandelaber in einem Saal des Emirates Palace in Abu Dhabi. Das wahrscheinlich protzigste Hotel der Welt und die manchmal bis zur Schnoddrigkeit nüchternste Regierungschefin der Welt bilden einen schönenn Kontrast. Im taubenblauen Blazer mit wüstensandfarbener Hose hebt sie sich auch dezent vom Weiß der traditionellen Dishdasha des Kronprinzen der Emirate ab, Scheich Mohammed bin Zayed al Nahyan. Die beiden scherzen im Hintergrund, während am Tisch vor den beiden ein Abkommen nach dem anderen unterzeichnet wird. Immer wieder aufs Neue treten je ein deutscher Wirtschaftsführer und ein Scheich in Dishdasha mit beduinischem Kopftuch an den Tisch, öffnen die Ledermappen mit den Verträgen und paraphieren. Chemieanlagen, Renommierbauten, Kompressortechnik – was die deutsche Wirtschaft eben zu bieten hat, geht hier über den Tisch.
Eine tolle Inszenierung, die den Hauptsinn dieser Reise unterstreichen soll: die deutsche Wirtschaft am Golf zu fördern und Deutschland mit den moderaten arabischen Ländern enger zu verknüpfen. Doch: Die Reise hat eben erst begonnen, da ist sie auch schon angeknockt.
Denn während Angela Merkel noch mit dem Scheich schäkert, wartet der Parteifreund Koch aus Hessen bereits auf einen Rückruf. Sie mag zunächst gedacht haben, er wolle ihr vielleicht neue Debattenbeiträge zur Spar-Debatte ankündigen. Als Roland Koch ihr aber noch an diesem Montagabend mitteilt, von allen politischen Ämtern zurücktreten zu wollen, wird Angela Merkel schlagartig klar geworden sein:  Sie ist als Kanzlerin in Tegel gestartet, aber als Parteivorsitzende in Abu Dhabi gelandet.
Am nächsten Tag werden es alle wissen. Merkel hatte angekündigt, es werde eine „politische Reise“ werden. Es sollte um den Nahostkonflikt und um das iranische Atomprogramm gehen. Und natürlich würden Fragen über die Stabilität des Euros aufkommen, in den viele Scheichs und Prinzen einen großen Teil ihrer Dirhams und Rials angelegt haben. Jetzt aber ist es eine innenpolitische Reise geworden.
Die Kanzlerin darf sich das aber erst einmal nicht anmerken lassen. Noch ist Koch nicht vor die Kameras getreten. Und so verbringt sie mehr als einen halben Tag damit, tapfer Renommierprojekte zu besuchen – die Ökostadt Masdar bei Abu Dhabi etwa, und dann eine hochmoderne Gastankstelle des deutschen Mittelständlers Bauer Group. Dort nimmt sie am Ende gar die Zapfpistole selbst in die Hand und betankt einen Mercedes. Ziemlich genau zu diesem Zeitpunkt beginnen 2800 Kilometer entfernt erste Gerüchte über Koch zu zirkulieren.
Soll sie das etwa hier, unter Palmen, kommentieren? Sie will nicht vor die Kameras. Das wäre zu viel der Ehre für Koch, und ein Affront für die Gastgeber.
Im Flugzeug zwischen Abu Dhabi und Dschidda, hoch über den Wüsten Arabiens, wirkt sie gefaßt. Sie bedauere den Rückzug von Roland Koch aus der Politik, sagt sie. Aber sie habe auch Respekt davor. Und sie spricht sogar von freundschaftlichen Ratschlägen, die sie vermissen werde. Koch war ein klarer, rationaler Wettbewerber, der irgendwann eingesehen hatte, dass er an Merkel nicht vorbeikam. Die Parteivorsitzende Merkel scheint den Konservativen, der sie oft nervte, schon ein wenig zu vermissen. Das Kräftefeld, in dem sie agiert, ist jetzt noch ein wenig unberechenbarer geworden.
Aber erst einmal muss sie jetzt glücklicherweise zu einem weiteren Prestigeprojekt – zur neuen Universität KAUST bei Dschidda am Roten Meer.
Der saudische König Abdullah wollte unbedingt, dass Angela Merkel sein Renommierprojekt besucht, die KAUST (King Abdullah University for Science and Technology), eine Autostunde nördlich von Dschidda, direkt am Ufer des Roten Meeres gelegen.
Der saudische König lässt hier internationale Koryphäen forschen, und zwar – revolutionärer Schritt – Männer und Frauen zusammen. Er wollte unbedingt, dass die Physikerin Merkel sich das ansieht und es mit ihrer Anwesenheit adelt. Die Konservativen im Land rebellieren dagegen und schäumen vor Wut. Die Königliche Univerität mit ihrem noblen Hochsicherheitscampus, sagt Merkel, steht pars pro toto für das Modernisierungsprojekt des Königs. Der König, das weiß sie, ist sehr geschickt und vorsichtig darin, die Gegner seines Kurses nicht zu unterschätzen. Er weiß, dass er mit ihnen arbeiten muss und allzu schnelle Schritte den ganzen Öffnunsgprozeß gefärden könnten. Später wird sie mit ihm zu Abend essen. Man darf wetten, dass die beiden skeptischen Modernisierer sich dieser Tage etwas zu erzählen haben.

Beim Essen fragt der König, erzählt sie später, wieviel nach ihrer Schätzung die Erschließung eines Bohrloches koste. Die Antwort: 2 Milliarden Dollar. Merkel lag, sagt sie „um eine Größenordnung daneben“. Der König wollte damit auf die steigenden Kosten des Ölreichtums hinaus – und auf dessen Endlichkeit.

Die 13 Millarden Dollar teure Neugründung ist das Lieblingskind des Herrschers. Auf dem Campus dürfen erstmals im Königreich Männer und Frauen zusammen studieren. Die Rekrutierer des Königs waren in den letzten Jahren an allen Eliteuniversitäten weltweit unterwegs, um Spitzenwissenschaftler hierher zu locken. Meeresbiologen, Geowissenschaftler, Genetiker, Chemiker und Physiker sollen hier Grundlagenforschung in bestausgestatteten Laboren betreiben.
Seit dem letzten Herbst sind nun die ersten Professoren am Werk. Die Studenten haben viele von ihnen gleich mitgebracht. Die größte Zahl von Studenten kommt aus China, an zweiter Stelle sind Südamerikaner, der Uni-Präsident Choo Fong Shih ist Chinese. Die Akademiker – es sind erst ein paar Hundert auf einem Campus, der locker Zehntausend beherbergen kann, können hier in eingespielten Teams zu optimalen Bedingungen arbeiten. Der Meeresbiologe Christian Voolstra kam aus Berkeley an die KAUST und spricht begeistert von der Möglichkeit, im Roten Meer zu forschen. Er arbeitet an der Sequenzierung von Korallengenomen. Alice Gabriel, eine junge Deutsche aus Dresden, kam über ihr Studium der Geowissenschaften an der ETH Zürich nach Saudi-Arabien. Der Erdbebenforscherin, die erst seit zwei Monaten übergesiedelt ist, merkt man noch die Verwunderung über die fremde Umgebung an. Man lebt in der abgeschlossenen Welt der KAUST fast wie daheim. Es gibt Cafés, die Frauen tragen ihr Haar offen und zeigen Haut. Auch ein Kino ist vorhanden, das einzige überhaupt in Saudiarabien. Frauen dürfen auf dem Campus Auto fahren.

Aber jenseits des wohl bewachten Geländes beginnt eine andere Welt, in der das immer noch nicht möglich ist. Alice und ihre Studienkollegen nehmen den Shuttlebus nach Dschidda, wenn sie einkaufen gehen wollen. Doch in den Malls gibt es in Bekleidungsgeschäften keine Umkleiden für Frauen. Man muss also die Kleidung zuhause anprobieren und gegebenenfalls zurückbringen.
Das sind noch die kleinsten Irritationen in der hermetischen Welt Saudiarabiens. Die meisten der Forscher und Studenten, die bisher an der KAUST tätig sind, haben sich damit abgefunden, dass ihre guten Arbeitsbedingungen um den Preis eines normalen westlichen Lebens erkauft sind.

Für den König ist das Experiment KAUST von enormer Bedeutung. Es geht hier darum, ob der Geist wissenschaftlicher Forschung auf dem widrigen Boden der arabischen Halbinsel verankert werden kann. Werden die Familien der Elite, die ihre Kinder heute noch nach Cambridge, Oxford, Harvard oder an die LSE schicken, eines Tages die KAUST wählen? Wird es einen Platz in der saudiarabischen Gesellschaft geben für die selbstbewußten jungen Männer – und vor allem für die jungen Frauen –, die hier lernen sollen, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen? Das ist alles andere als gewiß, auch wenn es zarte Ansätze gibt, wie Merkel später beim Besuch der Handelskammer von Dschidda erfahren wird.

Zur KAUST sollte sie zunächst überhaupt keine Journalisten mitbringen dürfen. Nach langem Bohren der deutschen Seite wurde dann fünf (ausgelosten) Teilnehmern der Delegation doch ermöglicht, mitzukommen. Allerdings unter der Bedingung, dass keine Bilder entstehen. Der Hintergrund: Man fürchtet, dass Bilder von der Koedukation über ausländische Medien in die saudische Gesellschaft zurückfließen und zum Futter für die radikalen Feinde der Öffnungspolitik des Königs würden. Man will an der KAUST erst einmal unterhalb der Wahrnehmungsschwelle aufbauen und dann mit ersten Ergebnissen den Schritt in die Öffentlichkeit wagen.

Angela Merkel unterstützt dieses Projekt mit ihren Besuch, aber sie lässt sich nicht vereinnahmen. Sie stellt den Studierenden freundlich-skeptische Fragen über ihre Rekrutierung, über ihr Alltagsleben, über ihre Motive. Eine promovierte Physikerin präsentieren zu können, die es zur Bundeskanzlerin gebracht hat, ist für Choo Fong Shih eine tolle Motivationshilfe in diesem Teil der Welt, in dem die Ausbildung von Frauen als Forscherinnen immer noch wie ein verrücktes kulturrevolutionäres Experiment wirkt.
Und es ist ja auch verrückt: Eine schariafreie Zone, mitten in einem Land, in dem Frauen keinen Führerschein erwerben können. Ob an der KAUST die saudische Zukunft entsteht – oder ob sie am Ende die teuerste Sandburg der Welt sein wird, wenn die Feinde der Modernisierung gewinnen sollten, wird sich weisen müssen. Der König ist kein Feminist. Er hat nur verstanden, dass die Uhr läuft. Die Tage nach dem Öl werden kommen. Und ein Land, dass keinen Anteil an der weltweiten Wissensgesellschaft hat, ist dann zum Abstieg verdammt.
Am kommenden Morgen trifft Angela Merkel im Glaspalast der Handelskammer von Dschidda eine Gruppe von Unternehmerinnen. Während die mitreisenden Herren (Deutschland hat keine Managerin von bedeutung aufzubieten – ein Delegationsmitglied scherzt: „Ohne die Kanzlerin könnten unsere Delegation auch saudisch sein…“) von Siemens, EADS, Bahn und Co die Gelegenheit nutzen, Geschäftskontakte aufzufrischen, zieht sich die Kanzlerin mit 11 saudischen Business-Ladies in ein Hinterzimmer zurück. Der Handelsminister Saleh Abdulaah Kamel ist ganz hin- und hergerissen. Einerseits will er gerne zeigen, dass sein Land gar  nicht so rückständig und frauenfeindlich ist wie immer behauptet. Andererseits macht ihn offenbar die Vorstellung nervös, die Damen einfach so mit der Kanzlerin alleine zu lassen: „Glauben Sie bloss nicht alles, was die Ihnen sagen!“ ruft er Merkel nur halb im Scherz hinterher. Es sind Medzinerinnen, Bankerinnen und Medienunternehmerinnen dabei. Aus Teilnehmerkreisen kann man nachher erfahren, dass die Frauen Merkel über ihre Erfahrungen ausquetschen und sie sich gar nicht einkriegen können darüber, welchen Mut ihr Beispiel ihnen mache. Einfach schon als lebender Beweis dafür, dass  so etwas möglich ist, wird Merkel hier für die Frauen eine Sensation– eine Kanzlerin, deren innerparteiliche Gegner als politische Leichen ihren Weg säumen (nun auch Roland Koch unter ihnen), und die wehenden Haars mit einer Delegation durch Dschidda reist, in der keine einzige Frau ein Kopftuch trägt, ja nicht einmal eine der schwarzen Abbayas, die sonst Pflicht sind.
In Saudiarabien ist die Wirtschaft derzeit der wichtigste Motor für Emanzipation. Weil es keine Zivilgesellschaft mit NGOs gibt, findet der Wandel unter dem Dach der Handelskammern statt. Hier können Frauen mit Einfluß sich zusammenschließen, ohne dass die Religionspolizei sofort dazwischen geht. In vielen Familien der Elite sind die Mädchen gut ausgebildet worden. Sie haben Uniabschlüsse erworben und konnten Talente zeigen, die man ihnen nicht zugetraut hatte. Nun sehen viele Eltern es nicht ein, dass dieses Investment in ihre Kinder einfach für die Katz gewesen sein soll. Und so kommt es immer häufiger vor, dass die Mädchen die Familienfirmen weiterführen oder mindestens dabei mitmachen. Diese Form der Emanzipation, erfuhr Merkel, sei erfolgreicher als der direkte Kampf für Frauenrechte sein könnte – er führt direkt zur Partizipation an der gesellschaftlichen Macht. Merkel erzählt den Frauen von den verschiedenen Stufen der Emanzipation in Deutschland – von Alice Schwarzer und ihren notwendigen Provokationen bis zu ihrer eigenen Laufbahn, die von den erkämpften Freiheiten bereits profitieren konnte.
Angela Merkel wird von den Frauen auch auf die Minarettdebatte in Europa angesprochen. Offenbar war der Eindruck entstanden, in Europa mache sich Islamfeindlichkeit breit. Merkel konterte, in Deutschland werde es kein Minarettverbot geben. Dass man allerdings über eine neuerdings sichtbar werdende neue Religion debattiere, sei legitim. Ob es nicht auch eine Debatte geben würde, wenn in Dschidda Kirchen gebaut würden?
Zur Unterstützung der Frauen möchte Merkel gerne den Austausch mit Deutschland intensivieren, vielleicht eine Gruppe in den Bundestag einladen, Studienmöglichkeiten in Deutschland erleichtern, Wirtschaftskontakte fördern.
Im ultrareichen Emirat Katar, das gesellschaftlich schon sehr viel weiter modernisiert ist – Sitz des Senders Al-Jazeera und des World Economic Forum -, fällt Merkel eine andere Rolle zu. Hier ist sie nicht die Repräsentantin der europäischen Moderne, sondern der europäischen Misere. „Was unsere Schulden sind, ihr ihr Guthaben“, sagt sie in einer Rede unter großem Gelächter. Doch die Lage ist bitter ernst. Die Eurokrise wird in Doha mit Argusaugen beobachtet. Wegen der bereits getätigten Inverstments – und wegen weiterer Chancen, die sich vielleicht noch aus der Krise ergeben. Der Ministerpräsident des Landes, Scheich Hamad bin Jasim Al Thani, empfängt Merkel mit militärischen Ehren im Emiri Diwan, dem Staatspalast. Der Palast ist von geschmackvollem, aber dennoch erdrückendem Prunk,  eine riesige Sahnetorte mit goldenen Ornamenten.  Während er Pressekonferenz wird der Scheich gefragt, ob Katar sich weiter in Europa zu engagieren gedenkt. Er sagt: „Wie Sie wissen, haben wir soeben Harrods gekauft…“ Dabei schmunzelt er genießerisch in Gedanken an die 1,7 Milliarden Euro, die das Emirat mal eben für das Londoner Luxuskaufhaus berappt hat. Man prüfe weitere Investments.

Die Kanzlerin ist beeindruckt davon, wie Deutschland – und damit sie –  in den Emiraten, besonders aber im finanzstarken Katar, permanent gemustert und  gerated wird. Kühl kalkulieren die Scheichs alle Faktoren durch – die Demografie, die wirtschaftliche Struktur, die politische Stabiltät, die Gesundheit des Bankensystems. Das ist eine wichtige Funktion ihres Besuchs am Golf: Das Vertrauen in Deutschland und den Euro zu stärken. Und so spricht sie leider hier offensiver über die Vorteile des Euro für Deutschland, als sie das in Deutschland tut. Das ist die neue Welt: Die deutsche Bundeskanzlerin muss einen guten Eindruck machen bei den Herren Scheichs, deren Kriegskassen gut gefüllt sind. Der Scheich hat 2009 als Aufsichtsratsvorsitzender der Qatar Holding schon 10 Prozent von Porsche gekauft. Wer ihn an  hat lächeln sehen weiß, dass das erst der Anfang war.

Lange sitzt Merkel später am Abend noch in der Pirate’s Cove (Piratengrotte – irgendwie passend!) des Sheraton in Doha und plaudert mit deutschen Wirtschaftsführern über die Begegnungen am Golf. Der Abend ist mild, vom Persischen Golf  weht ein Lüftchen. Jetzt kommen Sparklausuren und Verteilungsdebatten auf die zu, so hart wie lange nicht mehr. Es könnte für lange Zeit der letzte schöne Abend gewesen sein für die Kanzlerin.