Mein Kommentar zu der jüngsten rhetorischen Eskalation gegen Iran aus der ZEIT dieser Woche, S.4:
So geht es politischen Verlierern: Wer den Schaden hat, braucht sich um schlaue Tipps nicht zu sorgen. Seit Obamas Desaster bei den Kongresswahlen treffen täglich ungefragt außenpolitische Ratschläge im Weißen Haus ein. Ein Muster zeigt sich: Obama soll sich durch Eskalation im Atomkonflikt mit Iran sanieren.
Wie bitte? Hat nicht soeben die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton grünes Licht aus Teheran bekommen, mit der Führung erneut in Verhandlungen einzusteigen? Am 5. Dezember will man sich erstmals nach einem Jahr Schweigen wieder zu Gesprächen mit den Iranern treffen. Doch vielleicht gibt es ja Wechselwirkungen zwischen der diplomatischen Offerte und dem anschwellenden Kriegsgetrommel. Die verschärften Sanktionen, die im Sommer von den Vereinten Nationen mit China und Russland beschlossen wurden, wirken: Dass die Iraner jetzt reden wollen, spricht dafür. Allerdings glauben auch glühendste Verfechter der Diplomatie nicht, dass Sanktionen allein reichen, ein Atomprogramm zu stoppen.
Man braucht Druck und Drohungen, um zu verhandeln. Doch hier scheint ein anderes Spiel zu beginnen: Der Druck auf Obama steigt, die Kriegsbemalung aufzutragen. Der dienstälteste Kolumnist der Washington Post, David Broder, rät dem Präsidenten, er solle »2011 und 2012 damit verbringen, einen Showdown mit den Mullahs zu orchestrieren. Dies wird ihm politisch helfen, weil die Opposition ihn dabei unterstützen muss. Während die Spannung anwächst und wir die Kriegsvorbereitungen beschleunigen, wird sich die Wirtschaft erholen.«
Krieg als Konjunkturprogramm – das ist schwer zu toppen. Doch beim Krieg der Worte lassen sich die erstarkten Republikaner nicht den Schneid abkaufen. Ihr Wiederaufstieg sei »eine gute Nachricht für den Präsidenten, wenn er stark gegenüber Iran sein« wolle, so der maliziöse Senator Lindsay Graham vor zehn Tagen auf dem Internationalen Sicherheitsforum im kanadischen Halifax. Graham prophezeite der Elite westlicher Verteidigungspolitiker, in einem Jahr werde »ziemlich klar sein, dass die Sanktionen nicht wirken«, und darum müssten jetzt »alle Optionen auf den Tisch«. Man solle »nicht bloß das Nuklearprogramm neutralisieren (…), sondern die iranische Marine versenken, ihre Luftwaffe zerstören und einen entscheidenden Schlag gegen die Revolutionsgarden führen. In anderen Worten: Kastriert dieses Regime.«
Ein altes Projekt der Neokonservativen hat Rückenwind nach den Kongresswahlen: Nach Kabul und Bagdad – auf nach Teheran! Senator John McCain, der führende Außenpolitiker der Republikaner, erklärt den Regimewechsel wieder zum Ziel amerikanischer Politik. Und der amerikanische Generalstabschef Mike Mullen sagte vor wenigen Tagen an der Stanford-Universität: »Die Sanktionen beginnen wehzutun, aber bis jetzt erkenne ich keine Distanzierung vom erklärten Ziel der Nuklearwaffenherstellung.« Iran habe »Isolation statt Verhandlungen« gewählt.
Warum diese erstaunliche Verschärfung des Tons – just in dem Moment, da die Verhandlungen wieder beginnen? Mullens, McCains und Grahams Äußerungen entziehen der Diplomatie den Boden. Es ist widersinnig, mit einem Land über seine Pflicht zur Transparenz zu sprechen, wenn man dessen Regime »kastrieren« will. Wer so redet, liefert der iranischen Staatspropaganda Vorlagen für den Verdacht, hinter den Verhandlungsangeboten der westlichen »Mächte der Arroganz« steckten nur neokoloniale Machtansprüche.
Die innenpolitische Logik der neuen Kriegstrommelei ist nicht schwer zu verstehen. Offenbar soll der geschwächte Obama auf den Pfad gelockt werden, der mit Bushs Abgang verlassen wurde, um ihn dann im Wahlkampf bequem vor sich her zu treiben. Die neo-neokonservative Kriegsrhetorik will vergessen machen, welche Politik es war, die Iran in den letzten Jahren stark gemacht hat. Amerikas Kriege haben die Mullahs von ihren ärgsten Feinden – erst von den Taliban und dann von Saddam Hussein – befreit. Teheran spielt nun in Afghanistan mit (und finanziert Karsais Spesenkasse) – und auch in Bagdad kann niemand mehr gegen Irans Willen Präsident werden: Der Schiit al-Maliki wurde soeben sogar gegen Amerikas Druck durchgesetzt. Dies ist das Paradox: Amerikas vermeintliche Politik der Stärke hat in Wahrheit Iran stark gemacht.
Die entschlossene Diplomatie der jüngsten Zeit (mit Russen und Chinesen) hat Teheran seine Grenzen aufgezeigt – durch schmerzhafte Sanktionen, die anscheinend begonnen haben zu wirken: Selbst die Inder sind seit einigen Tagen mit an Bord, Iran ist isoliert. Den Erfolg garantiert auch dies nicht. Diplomatie braucht Druck, wie Israel zu Recht mahnt.
Wer weiß, vielleicht sind die Kriegstrommler Obama am Ende unfreiwillig von Nutzen – führen sie doch den Iranern vor Augen, was droht, wenn er scheitert.