Der Selbstmordattentäter von Stockholm, konnte ich heute morgen schon in der Presseschau des Deutschlandfunks hören, sei ganz offenbar ein Einzeltäter-Desperado. Darum sei es auch richtig, einfach cool zu bleiben und die offene Gesellschaft nicht in Frage zu stellen.
Hat das irgendwer getan? Ruft jemand nach irgendwelchen irrationalen neuen Sicherheitsmaßnahmen? Muss ich verpasst haben.
Woher bloß haben manche Kollegen den Mut, über ein Attentat, das gerade erst geschehen ist, so weitgehende Meinungen aufzustellen – und es gleich wieder zur Nummer im Debattenzirkus über Innere Sicherheit zu verwandeln?
Unterdessen stellt sich nämlich heraus, dass der Täter einen britischen Hintergrund hat. Und das ist doch wohl interessant. Taimour al-Abdaly hat in Bedfordshire studiert und hat auf sozialen Netzwerken einige Spuren hinterlassen. Er scheint Verbindungen nach Luton zu haben, einem Hotspot des britischen Dschihadismus, der auch bei den Attentätern von 7/7 schon eine Rolle spielte Mohamed Sidique Khan, der Kopf der Londoner Bomber, hat hier seinen Al-Kaida-Kontakt getroffen.
Also scheint es doch möglicherweise einen Hintergrund von Helfern und Anstiftern zu geben. Und was heißt überhaupt „Einzeltäter“? Soll das heißen, aus der Radikalisierung dieser Männer ließen sich keine Schlüsse ziehen? Scheint mir voreilig. Der Guardian berichtet folgendes:
A profile on the Muslim dating site Muslima says Abdaly was 29 years old (another site claims it was his birthday today) and that he is „looking for my wife (2nd)“. He describes himself as being 5ft 3ins tall and weighing 93kg (14.6 stone). He was born in Baghdad, and moved to Sweden in 1992.
In 2001 he was apparently a high school student in a village in Sweden before moving to Britain to study at the University of Bedfordshire for a BSc in physical therapy. He spoke English, Arabic and Swedish. It is believed he met his wife in Bedfordshire before bringing her to Sweden.On his Facebook profile, Abdaly’s likes are a mixture of Islamic and technological – „I’m a Muslim and I’m proud“, „the Islamic Caliphate state“, „Yawm al-Qiyamaah [the Islamic day of judgment]“, but also „I love my Apple iPad“. The Swedish newspaper Aftonbladet quotes friends who paint a picture of Abdaly as enjoying playing basketball and a good party, yet who had become increasingly angry over the past few years.
A look at his Facebook wall postings show a trend in the links he posted – from video clips from comedy shows in April to increasingly graphic videos. One shows a blindfolded Iraqi man being taunted and abused by US soldiers. Several more are part of a series on „Russian war crimes in Chechnya“. Others show speeches given by radical mullahs.
The email he sent shortly before he blew himself up does not just contain a warning. It also has a message to his family: „I never travelled to the Middle East to work or earn money, I went there for jihad.“ It apologises to his family for not telling them what he was planning. He says he loves his family, and asks his wife to give a kiss to the children from him. It ends „Tell them that Daddy loves them.“
Daraus lassen sich vorerst folgende Schlüsse ziehen: Dieser Täter gibt schwedenspezifische Gründe für seine Tat an (z.B. die Karikatur von Lars Vilks), aber seine Radikalisierung ist vielleicht im Kontext der britischen Dschihadiszene zu sehen. In anderen Worten: Englands radikale Muslime werden zum europäischen Problem. Das scheint ein Muster zu werden: Immer ist irgendeine Begründung zur Hand (Karikaturen, Irak, Tschetschenien), warum der wütende junge Mann sich in die Luft jagen muss. Aber der Zusammenhang zur Tat wird immer beliebiger: Weihnachtseinkäufer in Stockholm umbringen wegen des Einsatzes in Afghanistan oder wegen Lars Vilks? Gaga.
Leute wie er sind sehr schwer zu bekämpfen, weil die Radikalisierung oft schnell vor sich geht und stark übers Internet gesteuert ist. Wie soll man jemanden zu fassen kriegen, der sich perfekt in die zeitgenössische Welt einpasst („I love my Ipad“) und zugleich auf einer Dating-Seite eine Zweitfrau sucht (mit Billigung seiner ersten Frau!), und der im selben Atemzug das Kalifat verherrlicht? Selbst die eigene Familie hat er belogen über den Sinn der Reise in den Nahen Osten. Wo ist er ausgebildet worden?
Zum Glück haben sich die letzten Selbstmordattentäter als technische Amateure herausgestellt – vom Unterhosen- über den Times Square-Bomber bis zu dem Weihnachtsmarktkiller von Stockholm. Auf Facebook hat sich schon eine „Darwin-Preis“-Seite gebildet, die ihn sarkastisch dafür ehrt, die Welt um seine Anwesenheit erleichtert zu haben. Sarkasmus ist sicher besser als Panik. Aber wir müssen mehr über diese Leute lernen, die mitten unter uns leben und sich mit interessierter Hilfe in lebende Zeitbomben verwandeln.