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You say you want a Revolution: Westerwelle in Kairo

 

Morgens um sechs liegt Dunst über Kairo. Die Sperrstunde endet gerade, die Stadt erwacht. Auf diesen Brücken zur Nilinsel haben sich Dramen abgespielt, die die ganze Welt beobachtet hat. Kairo ist verwandelt. Der Verkehr ist wieder so dicht wie früher, es wird gehupt und gestikuliert. Aber trotz der üblichen Härte und dem Schlendrian liegt eine fragile Hoffnung über dem Alltag. Immer noch haben nicht alle Schulen geöffnet, und Großväter bringen ihre Enkelkinder zum Tahrir-Platz, als könnte man dort schon das neue Ägypten sehen, auf das alle hoffen.

Der Herr rechts im Bild heißt Salah und stellte sich als Geschäftsmann vor. Er stand mit Bekannten vor dem KFC-Laden am Tahrir-Platz, als wir gestern dort ankamen. Wir kamen gleich ins Gespräch über das neue Ägypten:

Wissen Sie, was das Problem war in diesem Land? Wir Ägypter lieben uns selbst nicht. Ihr in Europa, ihr liebt euch selbst. Wir nicht. Mit solchen Leuten können Sie alles machen. Die erwarten nichts vom Leben, sie finden sich ab, sie haben kein Selbstwertgefühl. All das hat sich durch die Revolte der Jungen verändert. Die Menschen haben erfahren: Ich zähle etwas, auf meine Stimme kommt es an. Ich bin etwas wert. Das haben wir hier auf dem Platz erfahren, und das kann uns keiner mehr nehmen, auch wenn es noch sehr lange dauert, bis das die Gesellschaft insgesamt verändert. Aber sehen Sie, als die Demonstranten nach Ende des Protests selber aufgeräumt haben, das war ein bedeutender Moment. Was sie sagen wollten, war: Diese Stadt, dieses Land sind nicht darum so heruntergekommen, weil wir so sind. Es waren Korruption, Unfreiheit und Aussichtslosigkeit, die uns all das haben akzeptieren lassen. Nur wer sich selber liebt, kann mit anderen in Frieden leben. Wir sind noch lange nicht so weit. Aber hier auf dem Platz hat etwas angefangen, das uns keiner mehr nehmen kann.

Überall um den Platz herum, wie hier vor dem Sitz der Arabischen Liga, stehen noch Panzer. Die Bevölkerung empfindet die Soldaten nicht als Bedrohung, sondern als Versicherung. Sie gehen vergleichsweise sanft und höflich vor. Die Menschen hören aber nicht immer auf die Kommandos. Etwas hat sich verändert. Polizisten sieht man nirgends, die Armee regelt sogar den Verkehr und wirkt schon sehr überfordert mit ihrer Verantwortung für das zivile Leben. Immer noch kommen Ägypter zum Platz, um sich vor den Panzern ablichten zu lassen. Sie bringen ihre Kinder her, damit sie den Platz sehen. Viele arme Leute kommen mit allerlei Beschwerden hierher, in der Hoffnung, einen Mächtigen und Einflussreichen zu finden, der sie erhört. Manche brauchen eine Wohnung, Hilfe bei den Arztkosten, einen Job. Mit der Revolution soll das alles einfacher werden: Man ahnt, welche Enttäuschungen bevorstehen. Aber erst einmal regiert die Hoffnung.

Mancher hat schon ein kleines Geschäft aus der Revolte gemacht und verkauft patriotisch-revolutionäre Devotionalien wie dieser junge Mann oben.

Fliegende Händler verkaufen selbstnähte Fahnen an die Revolutionstouristen. Die Fußballassoziation ist nicht unpassend: Der 1. FC Tahrir hat die Hinrunde gegen Dynamo Mubarak gewonnen. Der Trainer ist ausgewechselt worden. Aber wer am Ende den Pokal davon trägt, ist noch nicht klar.

Als der deutsche Außenminister auf dem Platz erscheint, in Begleitung mehrerer Kamerateams, kommt Bewegung in die Passanten. In Nullkommanichts ist eine Menge von Hunderten zusammen, die alle möglichen Parolen zu rufen beginnen: „Hoch Ägypten, hoch Deutschland!“ „Das Volk und die Armee sind eine Hand!“ „Sei stolz, Du bist ein Ägypter!“ (Siehe Film unten.) Der bärtige Herr auf diesem Foto rief islamistische Parolen, wurde aber sofort von den Umstehenden zurechtgewiesen, er solle die Klappe halten und nicht stören.
Westerwelle verglich den Platz mit dem Brandenburger Tor. Hier sei Weltgeschichte gemacht worden. Er war sichtlich bewegt von dem überschwänglichen Empfang. Die Menschen freuten sich, dass ein westlicher Politiker ihre Leistung würdigt und ihnen den Rücken stärkt. Er hatte bei allen öffentlichen Statements immer wieder betont, man werde den Demokratisierungsprozess beobachten und unterstützen, der ja hoffentlich „unumkehrbar“ sei. Eben davon sind durchaus nicht alle überzeugt: Viele glauben, das alte Regime spiele auf Halten. Westerwelle hat überall klar gemacht, dass man sich damit nicht zufrieden geben werde. Und so hat er sich sein erstes Bad in der Menge als Außenminister verdient.

Hier klicken für Video: Westerwelle auf dem Tahrir-Platz