Mein Text aus der ZEIT von heute, S.4:
Es gibt Solidaritätsadressen, die bei näherer Betrachtung von Schmähungen kaum zu unterscheiden sind. Guido Westerwelle hat sie nach seinem Sturz zu erdulden: Es gebe »historische Beispiele«, ruft der zaudernde Vatermörder Christian Lindner ihm zum Abschied hinterher, »wie man Großes leisten kann in einem Staatsamt, auch wenn man nicht Parteivorsitzender« sei. So soll das Paradox übersprungen werden, dass Westerwelle zwar nicht mehr gut genug ist, die FDP zu repräsentieren – wohl aber die Bundesrepublik Deutschland.
Das historische Vorbild Genscher, auf den Lindner anspielt, ist den Liberalen dieser Tage überraschend schnell bei der Hand, um Westerwelles Verbleib im Amt zu rechtfertigen. Mit dem Vergleich tut man ihm und sich keinen Gefallen: Genscher hatte elf Jahre Entspannungspolitik vorzuweisen – die KSZE-Schlußakte mit ausgehandelt und jenes ostpolitische Netzwerk aufgebaut, dass dann mithalf, die deutsche Einheit zu gewinnen. Als er 1985 die Parteiführung abgab, war das der Preis, den Genscher für den Coup der Wende von 1982 zu zahlen hatte. Seine historische Leistung war, die Kontinuität der Ostpolitik von Schmidt zu Kohl garantiert zu haben. Seine außenpolitische Bilanz stand nie in Frage, und für Kohl blieb er koalitionspolitisch unabdingbar. Darum musste er Minister – und Vizekanzler – bleiben.
Merkel aber braucht den um Parteivorsitz und Vizekanzlerschaft reduzierten Westerwelle jetzt eigentlich nicht mehr. Er darf trotzdem Minister bleiben – als der steinerne Gast am Kabinettstisch.
Deutschland könnte einen handlungsfähigen liberalen Außenminister gebrauchen in diesen Zeiten. Das zeigte sich erst letzte Woche wieder, als Westerwelle nach China reiste, um in Peking eine von Deutschland bezahlte Ausstellung über die »Kunst der Aufklärung« zu eröffnen. Dort sagte er den schönen Satz: »Die Freiheit der Kunst ist die schönste Tochter der Aufklärung.« Aber sein Freiheistlied tönte blechern, weil er zuvor hingenommen hatte, dass der Sinologe Tilmann Spengler aus der deutschen Delegation gestrichen wurde, weil er eine Laudatio auf den verhafteten Nobelpreisträger Liu Xiaobo gehalten hatte. Damit nicht genug: Kurz nach Westerwelles Abreise wurde der Künstler Ai Weiwei verhaftet, der soeben angekündigt hatte, wegen der Repression in China in Deutschland ein Atelier zu eröffnen. Noch eine gezielte Demütigung Deutschlands – und damit auch ein beißender Kommentar zum Gewicht »wertegebundener« (Westerwelle) Außenpolitik. Erst zuhause protestierte Westerwelle gegen Ai Weiweis Verhaftung. Die chinesischen Freunde, mit denen zusammen Deutschland sich soeben in der Libyen-Frage enthalten hatte, betreiben eiskalt den Gesichtsverlust des »strategischen Partners« (Westerwelle). Willkommen in der multilateralen Welt.
Guido Westerwelle bleibt Außenminister? Man kann es auch so sagen: Außenminister, das ist nun das, was ihm bleibt.
Dabei hatte er hatte das Amt gewollt, weil er glaubte, dass es sich für den FDP-Parteichef so gehörte. Er wollte jenes Haus für die Partei zurückerobern, das einst ihre Bastion gewesen war, geprägt durch mehr als drei Jahrzehnte liberaler Außenpolitik der Scheel, Genscher, Kinkel. Nun hat die Partei ihn entsorgt, und das Amt verwandelt sich in eine Art politisches Abklingbecken, in dem Westerwelle einstweilen zwischenlagert. Das ist eigentlich gemeint, wenn die Parteifreunde sagen, er solle sich »voll auf sein Amt konzentrieren«. Als Westerwelle vor zehn Jahren seinen Amtsvorgänger Wolfgang Gerhardt besiseite schob, durfte der noch eine Weile Franktionsvorsitzender bleiben, bevor er zur Friedrich-Naumann-Stiftung weitergereicht wurde. Soll das Amt jetzt Westerwelles Naumann-Stiftung werden, mit fast 7000 Beamten der größte Thinktank der Welt?
Für die deutschen Diplomaten in der Welt und am Werderschen Markt in Berlin liegt in Westerwelles Konzentration aufs Amt eine gewisse Drohung, auch wenn sie das unter professioneller Loyalität verbergen. Die unterdrückte Enttäuschung über den zurechtgestutzten Chef wird nicht ohne Folgen bleiben. Als Parteichef und Vizekanzler brachte Westerwelle Gewicht mit. Doch bald wurde klar, dass man einen Innenpolitker bekommen hatte, für den das Außenamt immer eine abgeleitete Funktion behalten würde. Was Westerwele über Hartz 4 dachte, wußte bald jeder. Zur Eurokrise sind maßgebliche Gedanken nicht überliefert. Der Deal des Apparats mit Westerwelle hätte sein können: Du kannst von uns Glaubwürdigkeit und Seriösität bekommen – wenn Du dich beraten läßt. Kaum anzunehmen, dass das so noch gilt. Mit seinem Gewicht in der Koalition hätte er ein mächtiger Verstärker für die deutsche Diplomatie werden können. Nun aber drohen zwei Jahre Westerwelle unplugged.
Das Amt hat bisher noch jeden Chef zum Glänzen gebracht, nicht nur Selbstläufer wie Genscher und Fischer, sogar bekennende Anticharismatiker wie Kinkel und Steinmeier. Bei Westerwelle hat es erstmals nicht funktioniert. Und das ist merkwürdig: Kein Außenminister war je so unbeliebt, obwohl seine ganze Außenpolitik auf Popularität zielte: Er hat für ein konkretes Abzugsdatum aus Afghanistan gekämpft, für die Abrüstung der letzten US-Atomraketen in Deutschland, für einen Sitz im UN-Sicherheitsrat und gegen eine Beteiligung Deutschlands an der Libyen-Intervention. Die Angfänge dieser Politik reichen zurück in Westerwelles Oppositionszeit, als er 2006 gegen den Einsatz der deutschen Marine vor dem Libanon stritt, wo unter UN-Mandat (Unifil) verhindert werden sollte, dass die Hisbollah weiter mit Waffen gegen Israel versorgt werden konnte.
Es zeichnet sich eine Art liberaler Nationalpazifismus ab: Deutschland hält sich raus und zieht sich raus, wo immer es geht, im Zweifel auch auf die Gefahr hin, Freundschaften und Bündnisse zu gefährden, die bisher gerade für liberale und konservative Außenpolitiker als unverzichtbar galten. Es ist nicht so, dass Guido Westerwelle außenpolitisch keine Linie hat. Die Weigerung des Oppositionspolitikers, keine deutschen Matrosen zum Abfangen von Waffenlieferungen nach Nahost zu schicken, selbst als die Israelis das wollten, war ein Vorspiel seiner jüngsten Außenpolitik im Amt. Aus demselben Geist hat er sich nun früh gegen eine Flugverbotszone in Libyenfestgelegt. E hat ihn nicht irritiert, dass Aufständische und die Nachbarn wochenlang danach verlangten. Dass sich die engsten Verbündeten unter dem Eindruck von Gadhafis Radikalisierung von Skeptikern zu Interventionisten zu wandeln begannen, hat er offenbar nicht kommen sehen. Die Gefahr einer Isolierung zu erkennen, die Kanzlerin davor zu warnen und Gegenstrategien zu ersinnen, wäre aber die Aufgabe eines Chefdiplomaten gewesen.
Es gab durchaus, wie deutsche Diplomaten hinter vorgehaltener Hand berichten, Signale der treibenden Mächte Frankreich, USA und Großbritannien, dass man militärische Zurückhaltung der Deutschen akzeptiert hätte im Gegenzug für eine Ja-Stimme. Westerwelle behauptet aber weiterhin, Deutschland hätte sich den Forderungen nach militärischer Beteiligung nicht entziehen können und wäre auf eine »schiefe Ebene« gekommen. Mindestens so wichtig war eine innenpolitische Erwägung: durch die Enthaltung sollte eine Debatte über einen weiteren deutschen Militäreinsatz verhindert werden – kurz vor entscheidenden Wahlen. Die Debatte wurde verhindert, das Wahlkampfkalkül ist dennoch nicht aufgegangen. Und der außenpolitische Preis könnte hoch ausfallen.
Dabei schien Westerwelle im Februar endlich Tritt in seiner Funkiton zu fassen. Beherzt ergriff er das Freiheitsthema, das ihm der arabische Frühling frei Haus lieferte. Doch schnell wurde klar, dass bald war mehr vom deutschen Außenminister gefordert sein würde als Kaffeetrinken mit Bloggern in Tunis und touristische Abstecher auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Die Lage in Libyen eskalierte. Als Amerikaner und Franzosen sich angesichts des drohenden Falls von Bengasi entschlossen, den Diktator Gadhafi nicht gewähren zu lassen, kam es zur Kollision des Westerwelleschen Freiheitspathos mit seiner absoluten Entschiedenheit, sich rauszuhalten. Er nötigte seinen Beamten wider deren Ratschlag auf, sich bei der die Libyen-Resolution des Sicherheitsrates zu enthalten.
Im Oktober erst hatte er es als ersten großen Erfolg seiner Amtszeit gefeiert, dass Deutschland den nichtständigen Sitz im Weltsicherheitsrat erlangt hatte. »Warum wolltet ihr eigentlich unbedingt hier hinein? Um euch zu enthalten?« – solchen Hohn müssen sich die deutschen Diplomaten nun anhören.
Deutschland verhält sich neutral angesichts der größten Freiheitsbewegung seit 1989? Westerwelles lautes Insistieren, der »Diktator Gadhafi« (Westerwelle) müsse weg, macht die Sache nicht besser. Am letzten Freitag stand der deutsche Außenminister mit seinem chinesischen Kollegen Yang Jiechi gemeinsam vor der Presse. »Die libysche Sitiuation kann nicht durch militärische Mittel gelöst werden,« sagte er und verlangte eine »diplomatische Lösung« . Wie dieser Anspruch, ausgerechnet von Peking aus formuliert, wohl auf Franzosen, Briten, Amerikaner, Belgier und Schweden wirkt, die ihre Piloten über Libyen einsetzen, um Gadhafi in Schach zu halten? Die Vorstellung, dass sie am Ende den Deutschen das Verhandeln überlassen werden, ist abwegig.
Im Koalitionsvertrag haben sich Union und FDP zur »Idee des Westens als Grundlage und seinen Institutionen als Plattform deutscher Außenpolitik« bekannt. Der Westen müsse »zu mehr Geschlossenheit finden, um seine Interessen durchzusetzen und gemeinsame Werte zu bewahren.« Außenpolitiker der Union fragen sich unterdessen murrend, ob dieses Ziel noch gilt. Sie halten ihren Unmut gegen Westerwelle nur mühsam zurück, um den angeschlagenen Koalitionspartner nicht noch mehr in die Krise zu treiben.
Und mancher tröstet sich damit, dass Westerwelles Sturz als Innenpolitiker abermals eine Schwerpunktverlagerung der Außenpolitik ins Kanzleramt mit sich bringt. Es wird nun noch viel mehr auf die Kanzlerin ankommen.
Im Machtgefüge der Regierung war das Auswärtige Amt seit den Tagen Klaus Kinkels nicht so marginal wie jetzt. Der Unterschied: Damals konnte Deutschland sich das leisten. Die Einheit musste gestaltet werden, das Land war erst einmal mit sich selbst und der Beruhigung der Nachbarn angesichts seiner Größe beschäftigt.
Die Welt der asymmetrischen Kriege und humanitären Interventionen, der Währungskrisen und der amerikanischen Überdehnung, des Aufstiegs der Nichtwestler ist eine außenpolitische Dauerherausforderung. Heute ist Deutschland als Europas unbestrittenes Schwergewicht ständig gefordert. Es kommt darauf an, was in Berlin gedacht und entschieden wird – für Brüssel, Bengasi und Kundus.
Europa muss eine Haltung zum Aufstieg Chinas und anderer Nichtdemokratien finden – jenseits von Kotau und Überheblichkeit. Und der demokratischen Wandel in Arabien zu begleiten. Gute Themen für Liberale, eigentlich. Aber in beiden Fällen: Keine Enthaltung möglich. Außenpolitik ist heute Stresstest.
Dass Deutschland ihn mit einem entmachteten Außenminister bestehen kann, ist schwer vorstellbar.