Auf dem Weg zur Arbeit die Presseschau des Deutschlandfunks. Darin folgender Kommentar aus der Ulmer Südwestpresse. Er steht für einen merkwürdig verhaltenen und verdrucksten Ton, der viele deutsche Analysen bestimmt:
Zwar dürfe
die Nachricht vom gewaltsamen Ende des Top-Terroristen in Pakistan auch in der Bundesrepublik mit Erleichterung aufgenommen werden.
Für Jubel oder Triumphgefühle freilich gibt es keinen Anlass. So schrecklich bin Ladens Regime war, so zwingend verbietet es sich für jeden zivilisierten Menschen, Freude darüber zu empfinden, wenn Leben ausgelöscht werden, und sei es, um künftiges Blutvergießen an anderer Stelle zu verhindern. Selbst menschenverachtender Terrorismus darf uns nicht dazu bringen, angesichts von Todesopfern zur Tagesordnung überzugehen oder unser Gewissen allzu rasch mit dem Hinweis zu beruhigen, ein offen bekennender Massenmörder habe seiner gerechten Strafe eben nicht entkommen dürfen.
Für Deutschland bedeutet der Schlag gegen den Kopf von Al-Kaida keine grundlegende Veränderung der allgemeinen Sicherheitslage. Die Bundesrepublik bleibt im Visier der Terroristen, allen Fahndungserfolgen zum Trotz. Die über 100 „Heiligen Krieger“, die nach Erkenntnis der Behörden mitten unter uns leben, werden nun umso mehr auf eine Chance lauern, bin Ladens Tod zu vergelten.
Ich muß sagen, dass mich etwas an diesem Ton sehr aufwühlt. Was ist es? Der eitle Appell an die zivilisierten Gefühle, an das Gewissen im Angesicht des Untergangs eines Massenmörders, der ja implizit unterstellt, die „jubelnden und triumphierenden Amerikaner“ hätten dergleichen eben nicht? Das Herunterreden des Erfolgs von fast einem Jahrzehnt Geheimdienstarbeit?
Obama hat die riskante Strategie gewählt, ein Kommando zu schicken um bin Laden zu fangen. Er hätte enden könne wie Jimmy Carter nach der gescheiterten Geiselbefreiung von Teheran oder wie Clinton in Somalia (Black Hawk Down) – ein Hubschrauber ist ja auch tatsächlich abgestürzt. Es gab jedoch keine zivilen Opfer, wie sie vielleicht bei einem Drohnenangriff geschehen wären. Aber der deutsche Kommentator badet sich im Gefühl seiner überlegenen Gewissenhaftigkeit. Verzeihung, aber da kommt mir die Suppe hoch. Übrigens: Ulm, war da was? Multikulturhaus? Mohammed Atta? Said Bahaj? Fritz G.? In Deutschland hat die Sache angefangen. Aber die Deutschen schreiben über deren Ende, als wären sie bloss Rezensenten des Geschehens – und geben Noten in Zivilität. Wie kommen wir denn dazu?
Noch etwas: Das Unverständnis für die Wichtigkeit eines symbolischen Siegs gegen die fürchterlichste Ideologie der Jetztzeit, die uns über ein Jahrzehnt lang schon in Krieg und Zerstörung gerissen hat, ist niederschmetternd. Niemand muss alles gut heißen, was nach dem 11. September entschieden wurde. Seit Jahren bereits tobt berechtigter Weise die Debatte über Sackgassen und Dilemmata der Antiterrorpolitik. Aber ohne den Druck gegen Al-Kaida in Afghanistan – und auch gegen die Filiale im Irak, nachdem man einmal dort war! – hätte man bin Laden nicht fangen können. Aus Guantanamo kamen offenbar wichtige Hinweise. Das sollte uns eine gewisse moralische Bescheidenheit nahelegen, einen Sinn für unauflösliche Zwangslagen in einem asymmetrischen Kampf. Selbstverständlich wäre es besser gewesen, ihn früher zu fangen. Aber was hilft das jetzt?
Al-Kaida hat eine Geschichtsphilosophie. Bin Laden hatte ein historisches Projekt – die Wiedererrichtung des Kalifats. Er lockt als Figur des „Widerstands“ gegen alles, was uns heilig ist – die Ordnung der Menschenrechte, der Demokratie, der individuellen Freiheit – junge Leute in einen irrsinnigen apokalyptischen Kampf. Immer noch, wie die Festnahmen in Deutschland von letzter Woche zeigen! Es ist entscheidend, dass durch seine Niederlage gezeigt wird, dass diese aberwitzige Weltsicht des Dschihadi-Salafismus keine Chance hat.Dass sie eine historische Verliererstrasse ist.
Der arabische Frühling hat schon aufgezeigt, dass die Menschen in den arabischen Ländern heute mehrheitlich andere Formen des Widerstands gegen die Tyrannei dem apokalyptischen Wahn bin Ladens bevorzugen. Sie wollen kein Kalifat und auch keine andere Theokratie, sondern ein Leben in Würde, mit individuellen Rechten und demokratischen Freiheiten – und Chancen auf Wohlstand und Fortkommen. Der Tod des Massenmörders ist Wasser auf ihre Mühlen: Neben den Tyrannen und Autokraten wird nun noch ein Fluch von der islamischen Welt genommen – die Gegen-Tyrannei des religiösen Faschismus bin Ladens.
Wie kann man darüber keine Freude empfinden? Wie kann man darüber nicht jubeln? Das hat doch nichts mit Blutrunst zu tun. Der Tod dieses Mannes öffnet Möglichkeiten für eine sicherere und friedlichere Welt.
Der „Friedensbeauftragte“ meiner eigenen Kirche vermag das allerdings nicht zu sehen:
Der Tod des Terroristenführers Osama bin Laden kann nach Auffassung des Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, kein Grund zur Freude sein. „Ich würde es nicht mal als Erfolg bezeichnen“, sagte der leitende Bremer Theologe am Montag in einem epd-Gespräch. Es sei immer richtig gewesen, Bin Laden zur Rechenschaft ziehen zu wollen, betonte Brahms. Dies könne aber nur mit rechtsstaatlichen Mitteln geschehen.
„Ich würde es nicht mal als Erfolg bezeichnen“? Sicher. Man hätte einfach Islamabad bitten sollen, dass die pakistanischen Behörden den internationalen Haftbefehl vollstrecken – nach all den Jahren. Dann hätten die Pakistaner bin Laden an die USA ausliefern können. Obwohl: Hätten wir Deutschen dagegen nicht protestieren müssen, weil ihm ja wahrscheinlich in den USA die Todesstrafe droht?