Der Bundesverteidigungsminister hat heute seine Ideen zur Bundeswehrreform vorgestellt. In den nächsten Wochen wird debattiert werden, ob die Reformdaten zu den Ambitionen passen. Was die strategischen Einlassungen angeht, sind bemerkenswerte Verschiebungen zu verzeichnen. Mir ist in seiner Rede wie auch in den gleichzeitig veröffentlichten „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ etwas aufgefallen, das eine Wendung der sicherheitspolitischen Debatte anzeigt.
Im letzten Jahr haben wie einen Bundespräsidenten verloren, weil der sich wegen Äußerungen zu deutschen Sicherheitsinteressen unverhältnismäßiger Kritik ausgesetzt sah. Horst Köhler hatte dem Deutschlandradio auf dem Rückweg von Afghanistan folgendes gesagt:
„Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.“
Wegen dieser Äußerung brach ein Schwall der Kritik über Köhler herein: Kurz gesagt, er wolle schießen lassen, um die Interessen der deutschen Wirtschaft durchzusetzen. Köhler mag noch andere Gründe fürs Hinschmeißen gehabt haben, aber diese Kritik war der Auslöser.
Thomas de Maizière hat nun das deutsche Interesse an einem „freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen“ ganz offiziell und explizit in seinen Richtlinien festgehalten. In dem Weißbuch von 2006 heißt es noch, es sei im deutschen Intereresse, „den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern und dabei die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen überwinden zu helfen“.
Das ist eine deutliche Akzentverschiebung. In seiner erklärenden Rede in der Julius-Leber-Kaserne sagte de Maizière zu diesem Punkt:
„Unsere Interessen und unser Platz in der Welt werden wesentlich von unserer Rolle als Exportnation und Hochtechnologieland in der Mitte Europas bestimmt. Daraus folgt, wir haben ein nationales Interesse am Zugang zu Lande, zu Wasser und in der Luft.“
Das ist kurz und knapp genau das, was Köhler angedeutet hat. De Maizière in seiner besonnen, ruhigen Art, nimmt man ab, was einen Köhler den Kopf kostet. Vielleicht liegt es gerade daran, dass man ihn für einen seriösen, verantwortlichen Politiker hält, der keine Sprüche macht und sich nicht als Tabubrecher und Klarsprecher inszeniert wie sein Vorgänger im Amt. In jedem Fall finde ich das zu begrüßen.
Noch etwas. De Maizière sagt kein einziges Wort zu der Libyen-Entscheidung, aber die Richtlinien und seine Rede sind nach meinem Eindruck eine scharfe Kurskorrektur – oder sagen wir: der Versuch deutlich zu machen, dass Deutschland sich nicht dauerhaft auf den Kurs des Raushaltens um jeden Preis festlegt, für den der Außenminister steht. In der Rede heißt es:
„Deutschland ist bereit, als Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens und staatlicher Souveränität zur Wahrung seiner Sicherheit das gesamte Spektrum nationaler Handlungsinstrumente einzusetzen. Das beinhaltet auch den Einsatz von Streitkräften….
Militärische Einsätze ziehen weitreichende politische Folgen nach sich. In jedem Einzelfall ist eine klare Antwort auf die Frage notwendig, inwieweit die unmittelbaren oder sonst außenpolitischen Interessen Deutschlands den Einsatz erfordern und welche Folgen ein Nicht-Einsatz hat.
Deutschland wird in Zukunft von den Vereinten Nationen mehr als bisher um den Einsatz von Soldaten auch dann gebeten werden, wenn keine unmittelbaren Interessen Deutschlands erkennbar sind. Für andere demokratische Nationen ist so etwas längst als Teil internationaler Verantwortung selbstverständlich. Wohlstand erfordert Verantwortung. Das gilt auch für die deutsche Sicherheitspolitik.“
Erstens sind unsere außen- und sicherheitspolitischen Interessen weiter zu ziehen, als mancher sich gerne eingesteht (s. Köhler-Debatte vom letzten Jahr). Zweitens ist Deutschland auch dann gefordert als wichtiger Staat mit einem Interesse an einer Weiterentwicklung des Völkerrechts, wenn es nicht unmittelbar betroffen ist – wie etwa in Libyen.
Aber das habe jetzt ich gesagt.