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Was wir Ratko Mladic verdanken

 

Nachdem Ratko Mladić mit den serbischen Truppen im Juli 1995 Srebrenica eingenommen hatte, verkündete der General, nun werde man Rache „an den Türken“ nehmen – wie die bosnischen Muslime von den Serben (mit Bezug auf die osmanische Herrschaft) genannt wurden.

Und so geschah es dann bekanntlich, unter den Augen der niederländischen Truppen, als beim schlimmsten Massaker der Nachkriegszeit in Europa bis zu 8.000 Jungen und Männer ermordet wurden.

Srebrenica eröffnete als Schandmoment der jüngeren Geschichte einen Reigen von humanitären Interventionen, ja man kann sagen, es wurde das Grunddatum des neueren Interventionismus. Die Vordenkerin des jüngsten Krieges, Obamas Beraterin Samantha Power, war seinerzeit als junge Kriegsreporterin auf dem Balkan. Nie wieder Srebrenica wurde zu ihrem Lebensmotto.

Benghazi darf kein zweites Srebrenica werden – das war der tipping point für den Krieg gegen Gadhafi. Insofern ist es zwar ein historischer Zufall, dass Mladic ausgerechnet jetzt gefasst wurde (und es wird wohl mehr mit den serbischen EU-Aspirationen zu tun haben) – aber eben doch ein sehr passender.

Die deutsche Öffentlichkeit in ihrer verständlichen Kriegsmüdigkeit weiß nichts von solchen Zusammenhängen – und will auch nichts davon wissen. Sie möchte glauben, das Zeitalter des Interventionismus sei vorbei. Es ist gut, dass wir jetzt einen Verteidigungsminister haben, der kühl dagegen hält. Interventionen von Koalitionen der Willigen unter Mandat der UN werden die Zukunft für unsere Streitkräfte sein, ob es uns gefällt oder nicht. Intellektuell und strategisch ist Deutschland darauf nicht vorbereitet. Das Schlüsselwort unseres Außenministers lautet „Abzugsperspektive“, als wäre mit dem notwendigen Abzug aus Afghanistan das Ende der Interventionen erreicht.

Mladićs Verhaftung hat noch einmal in Erinnerung gerufen, dass es ein Massenmord an Muslimen war, der die Welt vor 16 Jahren empört, beschämt und aufgeschreckt hat. Srebrenica wurde darum auch zu einem weiteren Rekrutierungsmittel der Dschihadisten, in deren Weltsicht ein globaler Krieg gegen den Islam geführt wird (von Tschetschenien bis Kaschmir). Was in deren Propaganda ausgeblendet wird, ist die schlichte Tatsache, dass der Westen nach dem Versagen von 1995 mehrfach gehandelt hat und das Leben eigener Soldaten für Muslime im Kosovo, in Afghanistan, in Bagdad, Basra, Mossul und Benghazi aufs Spiel gesetzt hat.

Das sollte man vielleicht mal öfter erwähnen, wenn von der vermeintlichen Islamophobie des Westens die Rede ist.

Mladićs Rache an den „Türken“ Bosniens wurde somit zum Anlass eines neuen Verständnisses von Menschen- und Völkerrecht, gipfelnd in der noch jungen Norm der „responsibility to protect“, die erstmals im libyschen Fall angewendet wird. Weder rechtlich noch strategisch ist dies zuende gedacht. Wie könnte es auch sein?

Mladić und seine mordenden Truppen haben uns seinerzeit endgültig aus den Träumen von einem Ende der Geschichte herausgerissen. Mich erfasst eine große Genugtuung bei dem Gedanken, ihn demnächst vor Gericht zu sehen.

Welch ein Frühling für Schurken! Wer ist der nächste?