Letzte Woche Donnerstag hatte ich Gelegenheit, Mahmud Abbas in Berlin zu interviewen (mehr dazu morgen in der ZEIT). Am Abend desselben Tages konnte ich auf Einladung der israelischen Botschaft den Minister und ehemaligen Generalmajor Yossi Peled kennenlernen. Peled war nach Deutschland gekommen, um für die israelische Regierung am Gedenken an die Wannseekonferenz teilzunehmen. An einem Tag konnte ich so unmittelbar jeweils die palästinensische und die israelische Sicht auf den Nahostkonflikt erleben.
Peled ist auch mit 71 Jahren ein beeindruckender Mann, ein kluger, humorvoller und charismatischer Politiker, der den Mainstream im Likud auf eine sehr sympathische und einnehmende Weise vertritt. So einen Außenminister könnte Israel brauchen (und vielleicht war Peled ja auch deshalb in Berlin).
Aber mich hat er nicht nur als Politiker beeindruckt, sondern mehr noch durch seinen Umgang mit einer Vita voller dramatischer und tragischer Wenden. Beim Essen erzählt er davon, manchmal geschützt durch eine Ironie und einen Sarkasmus, der einen zucken ließ. Peleds Eltern trugen den Namen Mendelevitch und lebten in Warschau. Was genau der Vater beruflich machte, hat Yossi, eigentlich Jefke (ein Kosename für polnisch Jozef) nie erfahren – womöglich Diamantenhandel.
Jedenfalls gelang es den Mendelevitchs, vor der deutschen Besatzung nach Antwerpen in Belgien zu fliehen. 1941, als die Mordmaschine des Nationalsozialismus näherrückte, gab man die drei Kinder, darunter den 6 Monate alten Jefke, zu einer belgischen Familie. Kurz darauf wurden die Eltern Mendelevitch nach Auschwitz deportiert. Der Vater wurde ermordet, die Mutter schaffte es irgendwie zu überleben.
Unterdessen wuchs Peled im Glauben auf, er sei katholisch. Er lernte, vor dem Schlafen zu beten, er ging sonntags in die Messe. „Ich hatte eine schöne Kindheit, viele Freunde und genug Spielzeug“, erzählte er, „bis die Juden in mein Leben kamen und alles ruinierten.“ Eines Tages rief der Mann, den er bis dahin für seinen Vater hielt, ihn herbei und eröffnete ihm ohne Vorwarnung, dass seine wahre Mutter vor ihm stehe – „eine graue, alte Frau“, und er übrigens Jude sei. Peleds Mutter, gezeichnet vom Lager, war nicht in der Lage, sich um ihn zu kümmern und brachte ihn in ein Waisenhaus für jüdische Kinder in Belgien. „Da lag ich abends im Bett und betete heimlich zu Jesus, dass er mich hier heraus holen sollte.“ 1949 wurde Peled über Frankreich nach Israel gebracht. Ein Onkel brachte ihn zu einem Kibbutz im Süden Israels, wo er aufwuchs. Der Kibbutz lag in einer umkämpften Zone und wurde im Unabhängigkeitskrieg oft von Ägypten aus angegriffen.
Yosef, wie er jetzt hieß, wurde dort von den anderen Kindern wegen seines belgischen Akzents gehänselt. Er erzählte nicht, dass sein Vater in Auschwitz ermordet worden war – weil er sich dafür schämte. Er behauptete statt dessen, der Vater sei beim Warschauer Aufstand umgekommen. Er blieb zunächst widerwillig nach seinem Grundwehrdienst in der israelischen Armee, fand dort aber schließlich eine Heimat und Kameraden und nannte sich bald Yossi Peled (hebräisch: Stahl).
Im Sechstagekrieg 1967 war er Yitzhak Rabin sehr nahe, dem Stabschef der Armee; er heiratete eine Frau, die er in der Armee kennengelernt hatte und stieg im Offizierskorps auf. 1987, da war Rabin Verteidgungsminister, wurde General Peled gebeten, Minister Rabin auf einer Deutschlandreise zu begleiten. Er wollte nicht mitkommen. Erst als Rabin ihm darlegte, die Anwesenheit eines Überlebenden und Sohnes von Ermordeten in israelischer Uniform auf deutschem Boden sei der beste Beweis dafür, dass „wir gewonnen haben“, sagte er zu. Dennoch war es ein Schock, die deutschen Uniformen zu sehen und die Nationalhymne zu hören. „Ich habe mich gefragt, was mein Vater wohl dazu sagen würde, dass sein Sohn in Deutschland die Fahne grüßt“, sagte Peled. Als Rabin in Dachau eine Rede hielt und dabei sagte: ‚Ich möchte Ihnen sagen, dass wir gewonnen haben‘, mußte General Peled weinen.
Er wurde Kommandeur der nördlichen Region – zuständig für die Grenzen zum Libanon und zu Syrien, bevor er seine militärische Karriere aufgab und erst in die Wirtschaft, dann in die Politik ging. Benjamin Netanjahu hat ihn als Minister ohne Geschäftsbereich in sein Kabinett geholt. Er koordiniert derzeit das weltweite Gedenken an den Eichmann-Prozess.
Peled ist mit seiner Vita, für die er sich anfangs geschämt hat, zu einem Symbol in Israel geworden. Der Historiker Tom Segev erzählt davon in seinem Buch „The Seventh Million“.
In Berlin sagte Peled, für ihn sei die Konsequenz aus der Geschichte seiner Familie das „Nie wieder“. Seine Söhne sollten nicht erleben, was ihm geschehen sei. Israels erste Pflicht sei nicht Frieden, sondern das Fortbestehen in einer feindlichen Welt. „Ich habe in viel zu vielen Kriegen gestanden. Und 1973 waren wir sehr nahe daran, alles wieder zu verlieren. Die Geschichte hat den Juden nach zwei Jahrtausenden das Geschenk eines Staates gemacht. Es wird nie wieder kommen, wenn wir es verspielen.“
Peled zieht daraus eine Lehre der Härte und Verteidigungsbereitschaft. Anders als manche in seinem politischen Lager sieht er zum Friedensschluss mit den Palästinensern und zu einer Zweistaatenlösung keine Alternative. Wann die Zeit so weit sei, ließ er offen. Dass er derzeit keine günstigen Vorzeichen sieht, konnte man ahnen. Die Unsicherheit in der Region treibt ihn um, der mögliche Verlust aller Konstanten, die Israels brüchigen Frieden garantieren.
Minister Peled sagte, es würde ein besonderer Moment für ihn werden, als Vertreter der Regierung Israels an dem Gedenken der Wannseekonferenz teilzunehmen – „in der Stadt, in der diese Männer vor siebzig Jahren die Entscheidung getroffen haben, meine Familie auszurotten“.
Ich hätte gerne erfahren, wie es Minister Peled am Tag darauf ergangen ist, in dieser Villa am Wannsee.