Die Fragen aus meinem Post der letzten Woche über die Lage in Ägypten scheinen vorerst beantwortet: „Wieviel Freiraum wird das Militär dieser Entwicklung gewähren? Wird sich Ägypten mehr in Richtung der Türkei oder mehr in Richtung Pakistan entwickeln?“
Erstens: Keinen Freiraum. Zweitens: Eine Kombination von beiden: Die Auflösung des Parlaments und die folgende Verkündigung über die beschränkten Kompetenzen des kommenden Präsidenten lassen erkennen, dass das ägyptische Militär die Technik des „Soft Coups“ türkischer Provenienz beherrscht, um wie das pakistanische Militär („Military Inc.“) seine massiven (auch wirtschaftlichen) Interessen abzusichern. Klar ist jedenfalls, dass die Generäle beabsichtigen, das Land nicht zu demokratisieren.
Militärs halten seit vielen Jahrhunderten die Macht in den Händen am Nil – mal unter fremder Oberherrschaft, mal als Autokraten – warum sollten sie jetzt freiwillig die Macht abgeben?
Die ägyptische Revolution scheint vorerst abgebrochen. Ob sie auch schon gescheitert ist, weiß man noch nicht. Aber etwas ist zuende gegangen.
Als ich hier zuerst vor 5 Jahren über den ägyptischen Blogger Sandmonkey schrieb, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass er heute, im Sommer 2012, auf eine Revolution zurückblicken würde, die zwar den Diktator Mubarak hinweggefegt hatte, am Regime aber nichts grundsätzlich hat ändern können. Unvorstellbar schien so etwas damals. 2009 besuchte ich mit einer kleinen Delegation des damaligen Innenministers Schäuble Ägypten. Das einzige interessante politische Thema damals war, ob Omar Suleiman Mubarak nachfolgen würde – oder doch Gamal Mubarak, und ob sich damit also auch in Ägypten eine Diktatorendynastie bilden würde, wie man sie aus Syrien kannte (und wie man sie bald, so vermutete man, in Libyen erleben würde). Die Ägypter, mit denen wir sprachen, schauderten bei der Vorstellung: „Wir sind nicht Syrien!“ Das war für die stolzen Ägypter extrem wichtig: Nicht ein Land zu sein, in dem die Menschen sich vor angemaßter Legitimität einer Fake-Dynastie beugen. Es ist eine Sache – und schlimm genug –, von Generälen oder Ex-Generälen regiert zu werden, und eine andere: von deren Söhnen. Vielleicht ist es das, was von der Revolution bleibt?
Sandmonkey, dessen wahren Namen Mahmoud Salem wir seit der Revolution kennen (immerhin, es gibt weniger Angst in der Gegenöffentlichkeit!), hat nun in einem bewegenden Blogpost das erste Kapitel der Revolution für beendet erklärt.
We went into the revolution with the same thinking that people like me had back in 2005: we must remove Mubarak, stop his son from inheriting us, and get democratic elections. All of us had those goals and not a single vision on what to do afterwards, because the removal of Mubarak was such a pipedream. So, you successfully dethrone a tyrant, and you have neither plan nor vision on what to do afterwards, and no real understanding of the regime itself, then, quite naturally, you fall flat on your face, and we have been doing that for the past 18 months.
Sandmonkey schreibt in seinem Post auch, dass er einen ungültigen Wahlzettel abgegeben hat. Unter den Revolutionären, auch bis in säkular-liberale Zirkel hinein, hatte es vor der Wahl eine Debatte gegeben, ob man dem Muslimbruder Mursi nicht doch den Vorzug vor Achmed Schafik geben müsse, dem letzten Premierminister Mubaraks, und damit einem Kandidaten des Alten Regimes. Sandmonkey weigert sich, sich eine solche Alternative aufzwingen zu lassen.
I invalidated my vote, mainly because I refuse to succumb to fear-politics and thinking that they both suck as candidates. That being said, I have been under continuous attack from many of the revolutionaries for not supporting Morsy. Well, my dear friends, I am sorry that you are a bunch of cowards that let your fear control your political choices. I am not that kind of man. If I attacked Morsy, it’s because I don’t want him being dubbed the revolution’s candidate, because he simply isn’t, and will never be in my eyes. Our revolution called for a civil state: nonreligious, non-military, and this guy will try to form a religious military state. The people who supported Morsy, believing that the MB will change or be democratic, are really 3 groups: 1) People pissing in their pants out of fear, 2) People who made deals with the Brotherhood (…), and 3) people who are stupid enough to believe that the MB will change or not betray them the first chance they got.
Bemerkenswert ist nicht zum ersten Mal die Selbstkritik des Revolutionärs Mahmoud Salem. Er weist seine Freunde darauf hin, dass die „revolutionäre Legitimität“ aufgebraucht ist. Die Menschen wollen Ergebnisse sehen:
If you are a revolutionary, show us your capabilities. Start something. Join a party. Build an institution. Solve a real problem. Do something except running around from demonstration to march to sit-in.
Interessanter Weise ist Sandmonkey „weder deprimiert noch demotiviert“, und er zählt die Errungenschaften des letzten Jahres auf:
- Hosny Mubarak, his son and his VP are not ruling us.
- The NDP is broken into many different pieces
- The next President is chosen through fair, competitive and democratic elections, not matter what the outcome.
- Freedom of Expression, press and speech.
- The weakening of the MB, the salafis, the end of using religious speech for political gains (Notice how Morsy didn’t say a single Sharia thing in the past 2 weeks)
- Serious understanding to the nature of the state we live in and the roots of its problems, which we never really knew before.
- Interlinking between individuals all over the governorates that would’ve never taken place otherwise.
- Serious weakening of classism in a classist society
- Incredible amount of art, music and culture that was unleashed all over the country
- Entire generations in schools and universities that have become politicized, aware and active.
- A serious evaluation of our intelligentsia and why they suck.
- Discovering the difference between symbols and leaders, and our need for the latter than the former.
Sandmonkey hat sich seinen sarkastischen Humor bewahrt. In einem seiner Tweets von gestern schreibt er, diejenigen, die sich über die neiden Kandidaten beunruhigt haben – der Islamist gegen den Büttel der Militärs – könnten sich abregen, denn die Militärs hätten dafür gesorgt, dass jeder neue Präsident nicht mehr als ein Grüßonkel sein werde.