Mein Leitartikel aus der ZEIT von morgen, 2. August 2012, S.1:
Es zeichnet sich ein Bruch in der deutschen Außenpolitik ab der zweite, seitdem in den Interventionen vom Balkan bis zum Hindukusch das Tabu gebrochen wurde, das bisher über dem militärischen Engagement lag.
Deutschland exportiert immer mehr und immer offener Waffen. Nicht nur wie bisher überwiegend an Partner und Freunde, sondern häufiger auch in Krisengebiete. Dieser Politikwechsel wird nicht öffentlich begründet, weil
die Regierung Entrüstungsstürme fürchtet.
Er wirft eine Grundsatzfrage auf: Ist die Liberalisierung von Waffenexporten die richtige Strategie in einer zunehmend chaotischen Welt voller Konflikte und konkurrierender Mächte? Die Antwort kann nur Nein lauten. Doch die Bundesregierung sagt immer öfter Ja.
Der erstaunliche Boom des Leopard-Panzers markiert diese Zeitenwende. Letztes Jahr genehmigte der Bundessicherheitsrat ein Geschäft mit Saudi-Arabien über 200 »Leos«. Nun bekundet der Nachbar Katar ebenfalls Interesse an 200 Panzern. Auch Indonesien, das größte muslimische Land der Welt, hat bestätigt, an 100 Leopard-Panzern interessiert zu sein. Die Chancen der Bewerber stehen gut, denn wer bereits an das autokratische Regime in Riad liefert, wird sich dem prowestlichen Emir nebenan in Doha oder dem moderat-islamischen Präsidenten in Jakarta kaum verweigern.
»Der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern wird restriktiv gehandhabt.« So steht es in den »Politischen Grundsätzen« der Bundesregierung. Dass die Regierung diese Grundsätze mit Füßen tritt, kann aber die Opposition nicht allzu laut kritisieren. Sie hat es nämlich selbst auch getan: Den Bekenntnissen zur »Restriktion« zum Hohn hat sich der Gesamtwert der deutschen Waffenexporte im letzten Jahrzehnt verdreifacht, und Deutschland ist zum drittgrößten Waffenhändler weltweit aufgestiegen nach den USA und Russland. Jedes Jahr verzeichnen die Rüstungsexportberichte Zuwächse, wahren offiziell, weiter Restriktion gelobt wird.
Es ist vielleicht kein Schaden, wenn diese Heuchelei zu Ende geht.
Was aber ist der Grund für den Bruch? Um Wirtschaft geht es nicht: Rüstungsexporte sind zwar ein lukratives Geschäft. Doch die Bedeutung der Waffenindustrie für den Standort Deutschland wird von Lobbyisten ebenso wie von manchen Pazifisten übertrieben: 2010, im letzten dokumentierten Jahr im erfolgreichsten bisher, betrug der Anteil von Waffen am Gesamtexport schmale 0,2 Prozent. Deutschland ist wirtschaftlich auch in der Krise nicht angewiesen auf Waffengeschäfte. Das Ja kommt nicht aus Not oder Profitgier.
Ein Grund liegt in der politischen Lage des Westens. Die zunehmende Offenheit für Waffenexporte entspringt den Schlüssen, die die Kanzlerin aus den Erfahrungen mit Kampfeinsätzen gezogen hat: Militärisches Eingreifen hat sich in Afghanistan und im Irak als Mittel der Politik diskreditiert. Wir sind in Afghanistan gescheitert, die Amerikaner im Irak. Deutsche Soldaten sollen möglichst nicht in fremden Konflikten eingesetzt werden. Wenn die Deutschen, so Merkel, dennoch weiter an der Stabilisierung gefährdeter Regionen mitarbeiten wollten, müssten sie Waffen in die Hände derer geben, die dort für Stabilität stehen: Weil wir Deutschen kriegsmüde sind, schicken wir euch Panzer. Aus der Zurückhaltung bei Interventionen folgt in dieser Logik das Ende der Zurückhaltung bei Waffengeschäften.
Das ist die Rechtfertigung dafür, dass Saudis und Katarer Panzer bekommen sollen. Beide Länder gelten als »Stabilitätsanker« in ihrer Region. Doch im Nahen Osten immer noch auf Stabilität zu setzen ist kühn. Katar ist wie Saudi-Arabien eine Autokratie. Auch hier könnten Panzer eines Tages zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt werden. Und: Das kleine Scheichtum Katar mag derzeit intern stabil wirken, doch agiert es in der Region als revolutionäre Macht, die erst Gaddafi wegzufegen half und nun das Gleiche mit dem Regime Assad erreichen möchte. Es unterstützt die Rebellen in Syrien mit Waffen.
Katar bildet mit den Saudis eine sunnitische Achse gegen den Iran, der als Vormacht der Schiiten Assad stützt. Wenn Deutschland Irans Feinde bewaffnet, nimmt es indirekt eine Position im sunnitisch-schiitischen Stellvertreterkrieg ein, der zurzeit in Syrien ausgetragen wird.
Stabilität schaffen mit immer mehr Waffen das hat seit dem Kalten Krieg und dem »Gleichgewicht des Schreckens« nirgends mehr funktioniert. Da wirkt die Idee, Deutschland könnte punktgenau mit großzügigen Waffenlieferungen die Guten fördern und die Bösen in Schach halten, bizarr und wie aus der Zeit gefallen. Die jüngere Geschichte der Kriege im Iran, im Irak und in Afghanistan ist voller Beispiele dafür, dass die Waffen der Guten in den Händen der Bösen landen oder die Guten von gestern sich als die Bösen von heute erweisen.
Es geht nicht darum, alle Rüstungsgeschäfte zu verteufeln. Die Krux ist, dass großes Unheil schon aus einigen wenigen Exporten entstehen kann.
Deutschland hat auf dem Papier ein ebenso einfaches wie kluges Prinzip: Unsere Freunde in EU und Nato (plus Schweiz, Australien, Japan und Israel) bekommen, was sie wollen. Alle anderen: so wenig wie möglich. Spannungsgebiete: gar nichts. Das ist ein guter Maßstab für bewegte, umkämpfte Zeiten wie diese. Statt den Maßstab immer weiter aufzuweichen, muss er nur endlich angewendet werden.