Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor und Leiter des Thinktanks der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik antwortet in der ZEIT von morgen auf meinen Artikel aus der letzten Woche, in dem ich die Nähe der deutschen Außenpolitik zu Diktatoren und Halbdemokraten kritisiert hatte:
Die Debatte um die deutsche Außenpolitik ist sehr viel besser als ihr Ruf. Sie hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten entsprechend den Veränderungen in der Weltpolitik, aber auch der neuen Rolle Deutschlands in einem Maße entwickelt, wie man es zu Beginn der neunziger Jahre noch kaum für möglich gehalten hätte.
Dennoch wirkt sie immer wieder regelrecht moralinsauer.
Das mag damit zusammenhängen, dass in dieser Debatte vielfach Extrempositionen bezogen werden: Auf der einen Seite geht es um Werte, auf der anderen Seite um ökono-mische, bestenfalls um sicherheitspolitische Interessen. Fälschlicherweise unterstellt die Debatte, dass beides in einem Widerspruch zu-ein-an-der steht. Werte und Interessen lassen sich nicht trennen – und dürfen auch nicht getrennt werden, wenn es um eine Au-ßen-poli-tik geht, die nach Glaubwürdigkeit als Voraussetzung für Erfolg strebt.
Aber glaubwürdige und effektive Außenpolitik gründet sich auf das Machbare und nicht auf Rechthaberei. In Abwägung aller Werte und Interessen gewährleistet sie, dass Werte nicht durch doppelte Standards oder Besserwisserei in Mitleidenschaft gezogen werden. Eine bittere Erkenntnis müssen Europa und der Westen dabei akzeptieren und überwinden: Die Zeiten sind vorbei, in denen Weltpolitik den Moral- und Wertvorstellungen des Westens folgte. Als Europäer mag man das bedauern, aber die Augen vor den neuen Realitäten des 21. Jahrhunderts zu verschließen ist leichtsinnig und weltfremd. Munter formulierte An-schul-di-gun-gen wegen einer zu geringen Beachtung von Werten ersetzen keine pragma-tische Außenpolitik, aber sie verspielen die Chance auf eine konstruktive Debatte.
Legitimiert das, nichts zu tun, wenn westliche Wertvorstellungen verletzt werden? Unter Umständen schon. Wer legitimiert eigentlich das Gegenteil von Nichtstun? Wer gibt uns das Recht, aktiv in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzugreifen? So, als würde das von uns hochgehaltene Völkerrecht mit seinem Gebot der Nichteinmischung gar nicht existieren. Und wer entscheidet über diese Mittel und legitimiert sie?
Eine Tradition der Zurückhaltung in der deutschen Außenpolitik hat es nie gegeben. Deutschland hat sich mithilfe unterschiedlichster Institutionen – beispielsweise der -parteinahen Stiftungen – immer in die Angelegenheiten anderer Staaten eingemischt. Wenn es dabei um Fragen des Aufbaus von Zivil-gesellschaften, von Parteiensystemen oder einer funktionierenden demokratischen Ordnung nach inneren Umbrüchen ging, war diese Politik auch sehr erfolgreich. Wenn es aber darum ging, nicht zuletzt mit militärischen Mitteln in anderen Staaten einzugreifen, um einen Regimewandel herbeizuführen, bleibt die Bilanz bedrückend mager – es sei denn, man glaubt, dass in Afghanistan, im Irak und in Libyen tatsächlich demokratische Entwicklungen dauerhaft stabilisiert werden können.
Jeder aus der bedauerlicherweise kleinen Schar kompetenter Außenpolitiker im deutschen Parlament weiß, dass es keine Alternative zum Umgang mit Diktatoren gibt. Man muss sie nicht lieben, aber doch mit ihnen kooperieren. Dies heißt entgegen dem Vorwurf aus der Moralecke nicht, eigene Werte zu verraten, zu vergessen oder aus schnöden ökonomischen Interessen mit Füßen zu treten. Das Gegenteil ist der Fall. Nur wer den Gesprächs- und Verhandlungsfaden nicht abreißen lässt, hat in kritischen Situationen die Zugangsmöglichkeiten, um von außen den Versuch zu unternehmen, auf die Innenpolitik in Diktaturen überhaupt Einfluss aus-zuüben. Wunder darf man dabei nicht erwarten. Auch in Diktaturen herrscht das Primat der Innenpolitik.
Die Kritik an vermeintlicher Leisetreterei gegenüber Diktatoren verkennt den Faktor Zeit: Wäre der friedliche Zusammenbruch der DDR zu Breschnews Zeiten so möglich gewesen? Wohl kaum. Mit ihm und seinem System haben wir zusammengearbeitet ohne all die Bedenken, die einigen jetzt so sauer aufstoßen. Lag das daran, dass es damals um das höhere Gut des Weltfriedens ging und nicht um wirtschaftliche Interessen, wie manche es heute der deutschen Außenpolitik als Antriebskraft unterstellen?
Nehmen wir das Beispiel Ägypten: Heute ist es allzu einfach, auf die Haltung Europas zu dem ehemaligen ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak zu verweisen. Er war kein Demokrat. Das wussten wir damals, so wie wir es heute wissen. Trotzdem hat seine Regierung über viele Jahre eine fragile Stabilität im Nahen und Mittleren Osten gesichert. Das lag im Interesse Europas und hat die Zusammenarbeit mit seinem Regime begründet. Eine sinnvolle Alternative zu dieser Politik lässt sich auch im historischen Rückblick nicht erkennen. Erklärbar wird diese Politik nur aus einer Tatsache, die man nicht deutlich genug ansprechen kann: Wenn Werte und Interessen im Konflikt zu-ein-an-der stehen, kann es für eine prag-ma-tische Außenpolitik notwendig und durchaus auch sinnvoll sein, zeitlich begrenzt seine Interessen in den Vordergrund zu stellen.
Eine Bundeskanzlerin, die in ein nicht demokratisches Regime zu Verhandlungen reist, hat nie nur ein Thema im Gepäck. Es wird ihr um Menschenrechte gehen, aber auch um wirtschaftliche Interessen; um die Lösung globaler Fragen wie etwa des Klimawandels, aber auch den Schutz geistigen Eigentums. Sie muss Möglichkeiten der Kooperation ebenso ausloten, wie von ihr erwartet wird, dass sie auch die deutschen Interessen in bilateralen und multilateralen Fragen deutlich macht.
Außenpolitik ist daher nie monothematisch. Sie darf es auch nicht sein. Sie braucht die ständige, in Demokratien immer wieder kritisch zu diskutierende Abwägung zwischen Werten und Interessen, die sich nicht immer, bedauerlicherweise aber manchmal widersprechen. Solche Widersprüche lassen sich nicht vermeiden, sie lassen sich bestenfalls im strittigen Diskurs so weit aufklären, dass tragbare Sachentscheidungen möglich werden. Ein solcher Politikansatz braucht die beständige Debatte. Den nötigen Raum dafür erhält sie aber erst, wenn ihre Teilnehmer bereit sind, auf Unterstellungen und moralische Überlegenheitsgefühle zu verzichten.