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Warum es keine Intervention in Syrien gibt (und wohl auch so schnell nicht geben wird)

 

Letzte Woche habe ich in Zürich an einem „NZZ Podium“ bei der Neuen Zürcher Zeitung teilgenommen. Die Debatte wurde eingeleitet vom Reporter und ehemaligen NZZ-Korrespondenten Kurt Pelda, der oft in Syrien und anderen Teilen der arabischen Welt unterwegs war.

Auf sein leidenschaftliches Plädoyer für eine Einmischung in Syrien antworteten die ägyptische Theaterautorin und Dramaturgin Laila Soliman – und ich. Moderiert wurde das Gespräch von dem Leiter des Feuilletons der NZZ, Martin Meyer.

Ich konnte meine vorgefassten Überlegungen nicht alle unterbringen, daher stelle ich sie hier zur Debatte. Den Text von Kurt Pelda kann man hier als Podcast hören.

Es folgen meine Notizen:

Das Plädoyer von Kurt Pelda bringt mich in eine schwierige Position. Ich stimme nämlich weitgehend mit ihm überein.

Da spiele ich lieber den Advocatus Diaboli und versuche zu erklären, warum der Westen nicht interveniert. Ich will erklären, was – jedenfalls aus deutscher Sicht, zu der Haltung führt, die Kurt Pelda beklagt.

Das Wichtigste an seinem Vortrag scheint mir die Pointe: Nichtstun ist nicht kostenfrei.

Nichtintervention ist auch eine Art der Intervention. Sie hat Folgen, die unter Umständen die Folgen einer Intervention in den Schatten stellen können.

Die deutsche Haltung im Libyen-Krieg haben wir in der ZEIT harsch kritisiert. Wir haben auch im Fall Syrien für eine Einmischung plädiert.

Die Regierung und die deutsche Öffentlichkeit hat das allerdings nicht beeindruckt.
Sie lehnen eine Intervention in Syrien mit breiter Mehrheit ab. Und sie sind auch skeptisch gegenüber allem, was unterhalb dieser Schwelle getan werden kann – Bewaffnung von Oppositionellen etwa. Warum?

Ich glaube, dass man die deutsche Positionierung in einem größeren Zusammenhang sehen muss – und das ist die Desillusionierung über den Interventionismus.
Diese Entwicklung überschneidet sich mit dem amerikanischen Rückzug nach der Überdehnung unter George W. Bush.
Und mit der Enttäuschung im gesamten Westen über den Arabischen Frühling. Man hat die Sache eigentlich abgeschrieben: man sieht, wie gesagt, nur neue Formen der autoritären Herrschaft heraufziehen, diesmal islamisch begründet, statt eines erhofften Völkerfrühlings.

Das sind alles gewissermaßen interne Gründe: Revisionen eigener Positionen. Mit einer geostrategischen Abwägung hat das alles noch nichts zu tun. Aber die Wendung nach Innen, die Positionierung aufgrund von Desillusionierung und Erschöpfung im Zeichen der ökonomischen Krise und der außenpolitischen Überdehnung: das ist das Symptom einer Selbstbewußtseinskrise des Westens. Obama ist ihr Repräsentant. (Nicht ihre Ursache, wie manche glauben.)

Sehen Sie sich die amerikanische Haltung im Syrienkrieg an. Obama hattte offenbar gehofft, seine Formulierung von den chemischen Waffen als „game changer“ würde schon per se so viel Druck entfalten, dass eine Eskalation verhindert würde. Aber das war offensichtlich eine Fehlanalyse. Das syrische Regime ist zu der Einschätzung gekommen, dass die Amerikaner nicht handeln werden – es verschiebt die Grenzen darum immer weiter in Richtung Massenvernichtungsmittel. Es setzt sogar Giftgas ein. Es bombardiert ganze Flächen. Die Botschaft an die Aufständischen: Ihr seid ohne Schutz.
Hat Assad vielleicht die richtige Folgerung aus dem Libyen-Einsatz gezogen? Dass dies die letzte Grenze war für den westlichen Interventionismus – von Amerika schon nur noch zögerlich – leading from behind – angeführt?
Dass er also mit keiner Intervention würde rechnen müssen? Obamas Reaktion auf das Überschreiten der „Roten Linie“ legt das nahe: wie ein Anwalt begann er zu relativieren, was er mit dem Wort „game changer“ gemeint habe: nicht Giftgas per se, hieß es jetzt, sondern erst seinen systematischen und massenhaften Einsatz.
Und dass auf die Giftgasnachrichten sofort eine diplomatische Initiative mit Russland folgte, kann man auch in diesem Zusammenhang verstehen: Amerika und der Westen brauchen jetzt die Hoffnung auf eine Verhandlungslösung, um den Druck zur Intervention herauszunehmen.
Das ist der wahre Grund für diese Initiative, glaube ich. Wer kann im Ernst an einen russischen Willen zum Frieden glauben – nachdem Putin ganz offen bekennt, Assad mit Waffen zu beliefern?
Ich verstehe die israelische Bombardierung mitten in Damaskus auch als Versuch, diese syrische Einschätzung zu durchkreuzen: Fühlt Euch nicht allzu sicher. Amerika und Europa mögen kriegsmüde sein, doch unser Kalkül beeinflusst das nicht, wir werden auch alleine für unsere Sicherheit sorgen. Das Signal geht natürlich auch an Teheran und die Hisbollah, beides Parteien im syrischen Krieg.

Das sind die innerwestlichen Gründe für die Nichtintervention. Andere, in der regionalen und globalen geostrategischen Lage verankerten Gründe, kommen hinzu:
Libyen war geradezu ideal für eine Bombenkampagne – wenig besiedelt, alle Siedlungsräume konzentriert an der Küste, Rebellen- und Regime-Gebiete gut geschieden. Syrien aber ist dichtbesiedelt und grenzt an Libanon, die Türkei, Israel, Irak und Jordanien.
Und anders als im libyschen Fall stehen hier Russland, China und Iran auf der einen Seite, Katar und Saudi-Arabien und die Arabische Liga auf der anderen. Eine Intervention unter UN-Mandat (wie auch in Mali) mit der Begründung der Schutzverantwortung (R2P) wird es also nicht geben. Und das, obwohl es hier noch dringender wäre. Man bräuchte also einen politischen Willen wie seinerzeit im Kosovo, und den gibt es derzeit nicht.
Die ganze Geschichte der Interventionen seit dem Kosovo-Krieg ist mittlerweile als Schlag ins Wasser abgespeichert. Was Kosovo betrifft, ist das ungerecht. Aber es fällt der Schatten der späteren Interventionen darauf – Afghanistan und Irak –, die heute beide als Beispiele westlicher Hybris gelten. Regime stürzen ist schnell gemacht, aber dann beginnen erst die Probleme. Aus dem Kalten Krieg und dessen Ende in Osteuropa hatte man die Vorstellung mitgebracht, wenn die „schlechte Herrschaft“ erst weg ist, komme die „gute Gesellschaft“ darunter zum Vorschein. Doch in Irak und Afghanistan zeigte sich, dass Stammesverbände und religiös-ethnische Konfliktlinien stärker sind als die importierten neuen demokratischen Strukturen.
Hat man das in diesen beiden Fällen erst schmerzhaft lernen müssen, so scheint es im syrischen Fall von vornherein auf der Hand zu liegen. Niemand traut sich zu, für eine Nachkriegsordnung in diesem komplizierten Land Verantwortung zu übernehmen. Die Konsequenz davon ist, dass man dieses Land in einem ganz wörtlichen Sinn ausbluten lässt. Ob die jüngsten Gräuel das ändern werden, da habe ich meine Zweifel.

Was die Kämpfer der Nusra-Front betrifft, kann ich nur hoffen, dass Sie, lieber Herr Pelda, mit Ihren Beobachtungen Recht behalten.
Ich bin allerdings skeptisch ob man daraus, dass Ihnen zum Glück nichts angetan wurde, auf die wahre Natur dieser Gruppe schließen kann. Vielleicht sind diese Leute ja auch einfach klug genug zu wissen, wann sie eine gute Presse im Westen brauchen – oder jedenfalls keine schlechte brauchen können, damit Geld und Waffen weiter fließen?

Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass diese Kräfte nach einem Sturz des Regimes die Oberhand behalten werden. Das passt nicht zur Mehrheit in Syrien, auch nicht unter den Sunniten. Aber ich kann mir ebenfalls nicht vorstellen, dass diese Leute nach getaner Arbeit nicht die Dividende einstreichen wollen in Form einer Herrschaft nach ihrem islamischen Vorstellungen.
Und sie werden eine hohe Legitimität haben, durch ihre Opfer im Kampf gegen Assad. Ihre Idee einer Wiedererrichtung des Kalifats wird sie zu Feinden jeder moderaten, inklusiven neuen Regierung machen. Das heißt, der wahre Bürgerkrieg könnte noch kommen. Er wird einer sein zwischen Vertretern eines moderaten, inklusiven Islams und den Kalifatskämpfern.

Und das ist vielleicht eine der interessantesten Folgerungen des „Arabischen Frühlings“: Er hat einen Kampf um die Vormacht innerhalb des politischen Islams entfacht. Nicht zwischen Säkularen und Religiösen, sondern zwischen Muslimbrüdern und Salafisten, zwischen Salafisten und Dschihadisten, zwischen Schiiten und Sunniten, zwischen national-islamischen Befreiungsbewegungen wie Hamas und globalen Terrorgruppen wie Al-Kaida, zwischen staatsbasiertem Islamismus mit Öl und Gas wie in Saudi Arabien und Katar und mittelständischen Bewegungen wie Nahda, Muslimbrüdern und der türkischen AKP.
Es hängt auch für uns einiges davon ab, wer gewinnt. Darum plädiere ich nicht fürs Raushalten. Aber Einmischung ist auch eine verdammt komplizierte Sache geworden.