Die Ankündigung einer neuen Runde von Nahost-Verhandlungen löst Anfälle von Verzagtheit aus. Bei langjährigen Beobachtern: Sekundenschlaf. Was, schon wieder dieselben alten Fragen, dieselben alten Phrasen – Grenzen von ’67, „Rückkehrrecht“ für palästinensische Flüchtlinge, Jerusalem als „ungeteilte Hauptstadt beider Völker“ – und vor allem natürlich der vermaledeite Siedlungsbau in der Westbank beziehungsweise „Judäa und Samaria“. Jeder glaubt, die Lösungen zu kennen, und jeder weiß auch, warum sie unerreichbar sind. Wozu also noch eine Runde – nach dem Scheitern von Madrid, Oslo, „Roadmap“, Annapolis-Prozess und unzähligen Quartett-Erklärungen?
Es ist schwer, ohne vorsorglichen Zynismus auf die kommenden Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern zu schauen. Warum, um Himmels Willen, sollte es diesmal klappen? Es spricht doch mehr denn je dagegen: Die Palästinenser sind gespalten, Abbas kann nicht für die in Gaza regierende Hamas sprechen, die keinen verhandelten Frieden will. In Israel regiert eine Koalition von Mitte- bis extrem Rechten, in der offene Feinde einer Zwei-Staaten-Lösung wie der Siedlerpolitiker Naftali Bennett erhebliches Gewicht haben. Die ganze Region ist im Aufruhr und hat andere, dringendere Probleme – wie etwa den syrischen Krieg, den ägyptischen Coup und die alles umspannende Konfrontation von Sunniten und Schiiten, ölreichen Islamisten beider muslimischer Konfessionen und Säkularen, Liberalen, Nationalisten.
Im Herzen dieses multiplen Bürgerkriegs in der arabisch-islamischen Welt geht es Israel bei aller Unsicherheit gut, es gibt derzeit keinen regionalen Herausforderer (selbst der Iran ist heute sehr mit Syrien beschäftigt). Und unter den Gefahren für die Sicherheit des jüdischen Staates sind die Palästinenser noch das am besten beherrschbare Problem. Warum also an diesem bequemen Status quo etwas ändern? Wer dieser Tage in Israel die Rede auf die Palästinenser bringt, erntet Unverständnis: Das ist kein Thema von hoher Priorität. Es ist hinter der Trennmauer verschwunden, ein kontrollierbares Problem, das man mindestens für die nächsten 20 Jahre wird managen müssen, ohne es lösen zu können.
Abbas fehlt das Format, seinen Leuten die Wahrheit zu vermitteln
Die andere Seite sieht es ähnlich: Mahmud Abbas und seine Leute (die neue palästinensische Bourgeoisie) haben massive wirtschaftliche Interessen am (sich ökonomisch langsam stabilisierenden) Status quo der Westbank. In Verhandlungen können sie dabei kaum gewinnen, es besteht eher die Gefahr des Scheiterns oder einer demütigenden Einigung zu ungünstigen Konditionen, was einen Aufstand („dritte Intifada“) initiieren könnte. Abbas hätte im unwahrscheinlichen Fall einer Einigung nicht das Format, seinem Volk zu vermitteln, dass es kein Recht auf Rückkehr geben wird, das über eine symbolische Zahl und Kompensationen hinausgeht; dass große Siedlungsblöcke bestehen bleiben werden, für die Palästina durch Austausch von Land entschädigt werden wird; dass Palästina ein entmilitarisierter Staat sein wird; dass es lange Zeit noch eine israelische Präsenz im Jordantal geben wird; dass Juden ein Recht auf Residenz in diesem Palästina brauchen (auch wenn dereinst die illegalen Siedlungen aufgelöst sind), so wie Palästinenser ein Recht haben, in Israel zu leben.
Auch Netanjahu fehlt bisher der Mut, seinen eigenen Worten von 2009 Taten folgen zu lassen:
The truth is that in the area of our homeland, in the heart of our Jewish Homeland, now lives a large population of Palestinians. We do not want to rule over them. We do not want to run their lives. We do not want to force our flag and our culture on them. In my vision of peace, there are two free peoples living side by side in this small land, with good neighborly relations and mutual respect, each with its flag, anthem and government, with neither one threatening its neighbor’s security and existence.
Wenn er das ernst gemeint hat, ist daraus sehr wenig gefolgt. Der israelische Premier hat nicht das Format (wie Ariel Scharon 2004 in Gaza), einen Rückzug der (in der Westbank viel zahlreicheren) Siedler durchzusetzen. Wann immer er heute Scharons Rückzug erwähnt, geschieht es als Mahnung, dass den Palästinensern nicht zu trauen sei, weil darauf eben die Raketen der Hamas gefolgt seien.
Hoffnung auf eigene Dynamik am Verhandlungstisch
Der amerikanische Außenminister John Kerry will Verhandlungen wahrscheinlich mehr als die beiden betroffenen Seiten. Wenn es nun doch dazu kommt, geschieht das zunächst aus zweitrangigen, taktischen Gründen: Beide Seiten trauen sich nicht und glauben nicht an einen Durchbruch. Sie werden dennoch so weit verhandeln, dass man ihnen jeweils nicht so leicht die Schuld am Scheitern geben kann. Die Palästinenser werden sich an den Tisch setzen, weil sie einen Aufstand in Ramallah fürchten, der die Palästinensische Autonomiebehörde als letztes Relikt der arabischen Autokratie hinwegfegen könnte (Wahlen werden seit geraumer Zeit immer wieder verschoben). Die Israelis werden verhandeln, um nicht die Unterstützung der Amerikaner und des restlichen Westens gegen den Iran zu verlieren (in dessen Atomprogramm sie die eigentliche Existenzfrage sehen).
Aber Kerry, der Kriegsveteran, Senator, Präsidentschaftskandidat und langjährige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Senat, ist nicht naiv – und weiß das natürlich alles. Er hat offenbar die Hoffnung, dass auch Verhandlungen, die gar nicht mit dem Ziel (und dem Vertrauen) geführt werden, etwas Definitives zu erreichen, zum Erfolg führen können. Sein Kalkül ist, dass am Verhandlungstisch eine eigene Logik greift, die sich um die taktischen Kalküle der beiden Seiten nicht schert.
Vielleicht hat er ja recht? Denn auch wenn es um die gleichen Fragen gehen wird, so hat sich doch die Umwelt für die neuen Gespräche in den vergangenen Jahren radikal verändert: Die Besatzung passt nicht mehr in die Welt der sozialen Netzwerke und spontanen Revolten, die autoritäre Herrschaft überall herausfordern. In Israel steigt das Bewusstsein, dass ein Ende der Zwei-Staaten-Lösung den Beginn der Ein-Staaten-Realität bedeuten würde: das Ende des zionistischen Traumes vom jüdischen, demokratischen Staat, auf Dauer eine neue Diaspora, diesmal im eigenen, angestammten Land – ein Horror zum Quadrat. Die Delegitimierung Israels aber geschieht nicht nur durch Kampagnen von außen, sondern durch Verstetigung von Besatzung und Siedlungsbau. Jeder weiß das. Da hilft kein Leugnen.
Palästina ist heute nicht mehr das Schlüsselproblem
Eine undemokratische (und korrupte) Palästinensische Autonomiebehörde, die freie Meinungsäußerung unterdrückt, passt ebenfalls nicht mehr in die Gegenwart. Sie hat bloß Glück: Das Gegenmodell Hamas ist gleichermaßen geschwächt, seit dem erzwungenen Abgang des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi – und zuvor schon durch den Verlust des syrischen Paten Baschar al-Assad und seines Teheraner Patrons, der heute die Hisbollah antreibt, sunnitische Syrer zu massakrieren. Selbst in Gaza – besonders da – sind die Gotteskrieger heute unpopulär wegen Misswirtschaft und Unfreiheit: Kalifat, Schmalifat, da wird nichts draus.
Das Palästinaproblem ist durch die Ereignisse der vergangenen Jahre zu einem regionalen Thema unter anderen reduziert worden. Es ist nicht das Schlüsselproblem, nach dessen Lösung im Nahen Osten Eintracht herrschen wird. Das hat den Druck herausgenommen. Aber vielleicht ist das auch gut so, weil es die Aufgabe (fast) auf ein menschliches Maß reduziert.
Herr Kerry, übernehmen Sie.