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Der Niedergang der arabischen Liberalen

Während die westliche Öffentlichkeit die Abstrafung Bushs und das Ende der Neocons feiert, breiten sich finstere Gefühle unter den Liberalen des Nahen Ostens aus.

Denn Demokratisierung heisst offenbar auf absehbare Zeit Islamisierung.

Und während wir uns nun im Lichte der irakischen Selbstmordattentate, des Hamas-Wahlerfolgs, der iranischen und ägyptischen Islamisierung auf einen aussenpolitischen Neorealismus einstellen, sollten wir diejenigen nicht vergessen, die in der Region (und im Exil) trotz alledem an einen freiheitlichen und demokratischen Nahen Osten glauben – und oft genug mit Leib und Leben dafür kämpfen.

Zwei Erinnerungen: Ein hervorragender Aufsatz in Opendemocracy über den grossen Autor Nagib Machfus als Verkörperung des arabischen Liberalen. Und einen traurigen Zwischenruf von Michael Young im immer lesenswerten Forum Middle East Transparent über das Ende der Hoffnungen auf einen „liberalen Nahen Osten“.

 

Führende Neocons zeigen Reue: Der Irak-Krieg war ein Fehler

Der Journalist David Rose, ursprünglich ein Befürworter des Irak-Krieges, hat im Magazin Vanity Fair eine Reihe von Aussagen führender amerikanischer Neokonservativer gesammelt, die auf beispiellose Weise dem Irak-Krieg, dem grossen aussenpolitischen Projekt des Neokonservatismus, abschwören. Und dies pünktlich zum Todesurteil gegen Saddam Hussein und den Midterm-Wahlen.
Die Aussagen kommen einer totalen Bankrotterklärung der Bush-Politik gleich, die man so radikal kaum je von Bushs Gegnern aus der Demokratischen Partei vernommen hat – und dies aus dem inneren Zirkel der ehemals entschiedensten Falken. Die Veröffentlichung der Zitate zu diesem Zeitpunkt hat unter den Interviewten grossen Ärger ausgelöst. Manche stellen ihre Aussagen nun in einen anderen Kontext, manche bestreiten, die Dinge so gemeint zu haben, andere stehen auch zu den Zitaten (siehe den obigen Link zum konservativen Magazin National Review Online). Die Erregung ist verständlich.
Denn was prominente Neocons wie Richard Perle, Michael Ledeen, David Frum, Eliot Cohen, Kenneth Adelmann und Michael Rubin gegenüber Vanity Fair zu Protokoll geben, ist in der Tat sensationell angesichts der vorherigen ideologischen Verbohrtheit und der schneidenden Schärfe der Neocons gegenüber jeglicher Kritik, vor allem aus Europa. Man darf auf den kompletten Artikel gespannt sein, der Anfang Dezember veröffentlich wird. Hier einige Auszüge, die ahnen lassen, welche Kehrtwende da gerade vorgenommen wird:

Perle, als Mitglied des Defense Policy Board einer der schärfsten Befürworter der Irak-Invasion, sagt nun: „Ich denke, wenn ich in die Zukunft hätte schauen können, und wenn ich gesehen hätte, wo wir heute stehen, und die Leute hätten gefragt: ‚Sollen wir in den Irak gehen?‘, dann glaube ich jetzt, ich hätte vielleicht gesagt: ‚Nein, lasst uns andere Strategien erwägen, um mit der Sache fertig zu werden, die uns am meisten beschäftigt, nämlich dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen an Terroristen weitergeben könnte.’… Ich sage das nicht, weil ich nicht länger glaube, dass Saddam die Möglichkeit hatte, Massenvernichtungswaffen zu produzieren, oder dass er Kontakt mit Terroristen hatte. Ich glaube, diese beiden Annahmen waren korrekt. Hätten wir diese Bedrohung durch andere Mittel als direkte militärische Intervention beherrschen können? Nun, vielleicht hätten das gekonnt.

David Frum, der 2002 als Mitarbeiter im Weissen Haus die berühmte Bush-Rede schrieb, in der der Präsident von der „Achse des Bösen“ (Irak-Iran-Nordkorea) sprach, sagt jetzt, eine Niederlage im Irak sei womöglich unausweichlich, „weil die Aufständischen bewiesen haben, dass sie jedermann töten können, der [mit den Amerikanern,J.L.] kooperiert, und die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten nicht zeigen konnten, dass sie ihnen Schutz bieten können“. Frum schiebt diese Situation auf ein „Versagen des Zentrums“ der Regierung, i.e. Präsident Bush.

Kenneth Adelmann, bis 2005 im Defense Policy Board, und Autor des Kommentars in der Washington Post vom Februar 2002, in dem „die Befreiung des Irak als ein Spaziergang“ hingestellt wurde, sagt heute, die Aussen- und Verteidigungspolitiker der Regierung seien nicht nicht nur individuell voller Fehler, „sondern zusammen tödlich, disfunktional“ gewesen. Der Neokonservatismus – „die Idee einer starken Aussenpolitik im Dienst moralischer Ziele, die Idee, Macht zu gebrauchen um das moralisch Gute in der Welt zu fördern“ sei tot für mindestens eine Generation: „Rumsfeld hat gesagt, der Krieg könne niemals im Irak verloren werden, sondern nur in Washington. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Wir verlieren im Irak.“

Michael Rubin, im Pentagon im Office of Special Plans und später bei der ersten Interimsregierung im Irak beschäftigt: „Was ich George Bush am meisten vorwerfe, ist, dass er mit seiner Rhetorik die Menschen dazu brachte, ihm zu vertrauen und ihm zu glauben. Reformer kamen aus dem Unterholz und exponierten sich.“ Bush habe die irakischen Reformer auf eine Weise betrogen, „die sich nicht sehr von dem unterscheidet, was sein Vater am 15. Februar 1991 tat – als er die Iraker aufforderte, sich gegen Saddam zu erheben -, bevor ihm Bedenken kamen und er nichts tat, nachdem sie seinen Worten gefolgt waren.“

Michael Ledeen aus dem regierungsnahen American Enterprise Institute beschreibt die Machtstruktur im Weissen Haus so: „Fragen Sie sich, wer die machtvollsten Leute im Weissen Haus sind. Es sind lauter Frauen, die in den Präsidenten verliebt sind: Laura Bush, Condi, Harriet Miers und Karen Hughes.“

Eliot Cohen, Professor an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies und Mitglied des Defence Policy Board: „Ich wäre nicht überrascht, wenn wir am Ende in Richtung einer Art von Rückzug treiben und dabei das Land in einem schrecklichen Schlamassel zurücklassen. … Ich glaube, es wird damit enden, dass verschiedene Strömungen des Islamismus, sowohl schiitisch wie auch sunnitisch, ermutigt werden, und es wird die Destabilisierung mancher Regime eher traditioneller Art mit sich bringen, die jetzt schon genug Probleme haben…“

 

Untote Bush-Doktrin?


Norman Podhoretz, einer der Neocons der ersten Generation, ein intellektueller Wegbereiter der Reagan-Revolution, versucht in einem langen Essay für Commentary (Link siehe Überschrift) die sich auflösenden Bataillone der neokonservativen Außenpolitiker bei der Fahne zu halten.
Die Bush-Doktrin sei keineswegs tot, wie viele angesichts der Mißerfolge der amerikanischen Demokratisierungsbemühungen im Irak und anderswo im Mittleren Osten behaupten.
Podhoretz sieht mit Grausen, daß sich angesichts der Unregierbarkeit des Irak und des hohen Blutzolls durch die Anschläge Defätismus in den Reihen ehemaliger Kriegsbefürworter breitmacht.
Die Wiederkehr des außenpolitischen „Realismus“ im Zeichen dieser Entwicklungen ist ihm ein Gräuel.
Auch wer glaubt, daß der sogenannte Realismus nie wichklich realistisch war, und wer zugesteht, daß „Stabilität“ die meiste Zeit nur ein schöneres Wort für orientalische Despotie war, wird sich angesichts des Podhoretz’schen Traktats grausen.
Podhoretz rekonstruiert die Bush-Doktrin, die nach dem 11. September formuliert wurde, folgendermaßen: Erstens Ablehnung des Relativismus, der in der Terrorismus-Debatte vorherrschend war (was dem einen ein Terrorist, ist dem anderen ein Freiheitskämpfer). Stattdessen „moralische Klarheit“ – wahr und falsch, gut und böse.
Zweitens werden Terroristen nicht mehr als Verbrecher oder Verbrecherbanden verstanden, sondern als „irreguläre Truppen“ jener Staaten, die sie beherbergen oder unterstützen. 9/11 wurde als Kriegserklärung begriffen. Daraus folgte, so Podhoretz, die Rechtfertigung zur Invasion Afghanistans und Iraks (?). Er verweilt nicht bei der Frage, ob das im Falle des Irak plausibel ist.
Der dritte Pfeiler der Doktrin wiederum sei die Erkenntnis der Notwendig präemptiven Handelns: der 11. September habe gezeigt, daß man den Terroristen und den sie unterstützenden Regimen zuvorkommen müsse, statt sie nur zu verfolgen.
Es handele sich um ein böswilliges Mißverständnis, wenn diese Politik als „unilateral“ gebrandmarkt wird. Podhoretz zitiert einige Bush-Reden, in denen von friends and allies die Rede ist. Damit ist für ihn der Beweis erbracht: Die Bushies waren nur allzu gutwillig auf Kooperation bedacht, nur europäische Überempfindlichkeit in Kombination mit Feigheit hat einen anderen Eindruck aufkommen lassen können.
Genauso verfährt Podhoretz in seiner Bilanz des Irakkrieges. Den Kritikern der Demokratisierungspolitik, die der Bush-Regierung vorhalten, das Augenmerk viel zu sehr auf freie Wahlen gelegt zu haben – und dabei den Rechtsstaat, die Institutionen und die Zivilgesellschaft vergessen zu haben, in die freie Wahlen eingebettet werden müssen – , hält Podhoretz ein paar Bush-Zitate vor, in denen eben davon die Rede ist. Aber was soll damit bewiesen sein? Doch wohl nur, daß Bush von den Voraussetzungen erfolgreicher Demokratisierung hätte wissen können – was das Desaster des heutigen Irak nur noch schlimmer macht.
Doch: Welches Desaster überhaupt, fragt Podhoretz? Das Land ist von einem der schlimmsten Tyrannen des Nahen Ostens befreit worden. Drei Wahlen wurden abgehalten. Eine anständige Verfassung wurde geschrieben. Eine Regierung ist im Amt, und vorher „unvorstellbare Freiheiten“ werden genossen: „Nach welcher bizarren Rechnung ist das ein Desaster?“

Es ist sicher richtig, auf die Erfolge hinzuweisen. Aber darum darf man doch nicht die Kosten verschweigen: Die tausenden Toten – täglich werden es mehr – kommen in Podhoretz‘ Rechnung nicht vor, der Haß zwischen Sunnis und Schiiten interessiert ihn nicht, auch nicht die Gefahr eines langen Bürgerkrieges im Irak, wenn die Amerikaner eines Tages abziehen.
Er kann sich den Gedanken nicht erlauben – der ja auch wirklich schrecklich ist – daß der Tyrannensturz nicht der „guten Gesellschaft“ zum Vorschein verholfen hat (wie in Osteuropa 89/90), sondern einstweilen den Kräften des Hasses und der Anarchie (siehe das Interview mit Hazem Saghieh auf dieser Seite).
Und vor allem kann er sich einen Gedanken nicht gestatten: Dass die Interventionen in Afghanistan und Irak dem Iran zu einer vormals unvorstellbaren Macht verholfen haben – also jenem Regime, auf das alles zutrifft, was im Falle des Irak an Lügen, Halbwahrheiten und Ahnungslosigkeiten verbreitet wurde, um den Krieg zu rechtfertigen. Iran bastels wirklich Massenvernichtungswaffen. Iran unterstützt wirklich den internationalen Terrorismus. Und es ist heute nicht mehr abzusehen, wie man es daran hindern kann, die Synergien beider Geschäftsfelder zu nutzen.
Statt diese Bilanz zu ziehen, geht der Ex-Trozkist Podhoretz in guter alter K-Gruppen-Manier die Reihen durch und straft alle ab, die sich zweite Gedanken über den Irakkrieg gestatten.
Was den Atomstreit mit Iran betrifft, ist die Marschrichtung für Podhoretz klar. Niemand solle sich durch Bushs Unterstützung der diplomatischen Versuche der Europäer blenden lassen: „Das Ziel, heute wie damals (vor dem Irakkrieg, J.L.), besteht darin, die Untauglichkeit der Diplomatie zu erweisen, wenn man es mit Leuten vom Schlage Saddam Husseins und der der iranischen Mullahkratie zu tun hat, und zu zeigen, daß die einzige Alternative zur Hinnahme der Bedrohung, die sie darstellen, militärische Aktionen sind.“
Im Klartext: Ein Krieg mit Iran muß her, und das Ziel der Diplomatie sind gar nicht die Mullahs selber, sondern die naiven (feigen) Europäer. Dass solche verbohrten Leute – die sich mit der häßlichen Wirklichkeit nicht beschäftigen wollen, sondern lieber gleich den nächsten Zaubertrick zur Verwandlung des Nahen Ostens aufführen wollen – immer noch das Ohr des Präsidenten haben, ist ein Alptraum. Gerade auch für unsereinen, der durchaus die Einschätzung teilt, daß es sich bei der Auseinandersetzung mit dem militanten Islamismus um einen Krieg um die Zivilisation handelt, der gut und gerne noch Jahrzehnte dauern kann.