In eigener Sache

Ich bin derzeit viel unterwegs, um über den Antisemitismus zu recherchieren, der jüdischen Gemeinden überall in Europa – zum Beispiel in Malmö, Amsterdam und Budapest zu schaffen macht. Zum Bloggen komme ich da kaum. Demnächst mehr von den interessanten, teils auch ziemlich erschütternden Begegnungen auf diesen Reisen.

In der Zwischenzeit sei auf zwei englischsprachige Veröffentlichungen meiner Sachen verwiesen, die recht frisch sind. Reset (das italienische Magazin) hat meinen Kommentar zu dem Massaker an Kopten gebracht. Und die englischsprachige Version der „Internationalen Politik“ hat einen Blogbeitrag (extended und remixed) für druckwürdig befunden (hier online).

 

Deutsche Muslime verurteilen Massaker an Christen

Es treffen auch Tage nach dem Anschlag von Alexandria immer noch neue Bekundungen des Abscheus von muslimischer Seite ein.  Ein paar Kernaussagen seien hier zusammengestellt (nur deutsche Quellen):

Der Koordinationsrat der Muslime schrieb am Samstag auf seiner Website:

Der Koordinationsrat der Muslime verurteilt diesen feigen und schrecklichen Anschlag auf das Schärfste. Der Sprecher des KRM Erol Pürlü äußerte sich bestürzt: „Wir verurteilen diesen schrecklichen und unmenschlichen Anschlag auf das Schärfste. Wer Menschen so hinterhältig und grausam Schaden zufügt und ermordet, kann sich auf keine Religion oder eine andere Weltanschauung berufen. Der Koran fordert den Schutz des Lebens und den Schutz von Gotteshäusern.“
Sure 22, 40: „Und wenn Allah nicht die einen Menschen durch die anderen abgewehrt hätte, so wären fürwahr Mönchsklausen, Kirchen, Synagogen und Moscheen zerstört worden, in denen Allahs Name häufig genannt wird.“

Der „Liberal-Islamische Bund“ schreibt:

Der Liberal-Islamische Bund verurteilt diesen heimtückischen Angriff auf das Schärfste. Dabei sehen wir uns an der Seite vieler Musliminnen und Muslime in Deutschland und in aller Welt. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Möge Gott ihnen allen die Kraft und Stärke geben, die nötig ist, um das Erlebte zu ertragen. Wir trauern in der Hoffnung, dass sich alsbald niemand mehr finden wird, dieses blutige Werk fortzuführen.

Im Internet kursieren Bekennerschreiben von al-Qaida nahen Gruppierungen. Sollten die Täter ihre mörderischen Pläne unter Berufung auf den Islam durchgeführt haben, so möchten wir hier klarstellen, dass es dafür keine theologische Rechtfertigung gibt. Der schreckliche Anschlag ist die Tat von feigen Fanatikern, die den rechten Weg längst verlassen haben.

Es liegt an uns allen, unmissverständlich klarzustellen, dass niemand im Auftrag Gottes handeln kann, wenn er andere Menschen ermordet. Es liegt an uns allen, solche Verbrechen beim Namen zu nennen und die Täter aus unserer Gemeinschaft auszuschließen. Es liegt an uns allen, den Tätern deutlich zu machen, dass sie keine Sympathie und keine Solidarität für ihr Handeln erfahren werden.

Die Antwort auf den Terror und auf das Schüren von religiösem Hass kann jetzt nur sein, dass sich Christen und Muslime gemeinsam wehren und sich nicht spalten lassen. Wir appellieren an die ägyptische Regierung, ernsthafte Schritte zu unternehmen, um die strukturelle Diskriminierung von Kopten und anderen religiösen Minderheiten in ihrem Land zu überwinden.

Das „Forum für Interkulturellen Dialog e.V.„, das dem türkischen Prediger Fethullah Gülen nahesteht,

„verurteilt den Bombenanschlag von Alexandria auf das schärfste. Es gibt keine im Islam begründete, theologische Rechtfertigung für eine solche Tat. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen.
Fethullah Gülen zu Terror im Islam:

Muslime sollten sagen: „Im wahren Islam gibt es keinen Terror.“ Niemand darf einen Menschen töten. Niemand darf einen Unschuldigen töten, selbst im Krieg ist das verboten. Niemandem steht es zu, zu diesem Thema ein Urteil zu erstellen. Niemand darf sich als Selbstmordattentäter betätigen. Niemandem ist es erlaubt, mit Bomben am Körper in eine Menschenmenge zu stürmen. Völlig unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Menschen in jener Menge verbietet dies die Religion. Selbst im Kriegsfall ist das nicht erlaubt. Der Islam ist eine gerechte Religion, die auch richtig gelebt werden sollte. Es wäre definitiv falsch, auf dem Weg zum Islam von sinnlosen Ausreden Gebrauch zu machen. Wenn das Ziel, das man verfolgt, ein gerechtes Ziel ist, dann sollten auch die Mittel zur Erreichung dieses Ziels gerecht sein. Aus dieser Perspektive betrachtet, kann niemand dadurch ins Paradies eingehen, dass er einen anderen tötet. Kein Muslim kann sagen: „Ich werde einen Menschen töten und dann ins Paradies eingehen.“ Die Akzeptanz des Willens Gottes verdient man sich nicht dadurch, dass man andere Menschen tötet. Ein wahrer Muslim, der den Islam in all seinen Aspekten versteht, kann kein Terrorist sein. Jemand, der sich an terroristischen Aktivitäten beteiligt hat, kann kaum ein Muslim bleiben. Die Religion billigt es nicht, einen Menschen zu töten, um ein Ziel zu erreichen.

Der Penzberger Imam Benjamin Idriz schreibt zum gleichen Thema:

Als Imam und Vorsitzender des „Zentrums für Islam in Europa – München (ZIE-M)“ habe ich immer und immer wieder bekräftigt,
– dass Terror durch nichts auf der Welt zu rechtfertigen ist,
– dass diejenigen, die Anschläge verüben, Verbrechen gegen Gott und gegen die Menschheit begehen,
– dass das Ansehen unserer Religion, die den Frieden im Namen führt, durch die sinnlosen und verbrecherischen Taten verblendeter Gewalttäter geschändet und entstellt wird.
Mit den Mitgliedern des ZIE-M bin ich entsetzt und fassungslos, was unseren christlichen Brüdern und Schwestern in Alexandria angetan wurde.
Wir rufen denjenigen zu, die in Hass und Gewalt involviert sind, oder die dazu neigen, solche Verbrechen zu verharmlosen anstatt sie in aller
Schonungslosigkeit beim Namen zu nennen: Hört auf mit Eurem Tun und hört auf, Euch dabei auf Gott und auf unsere Religion zu berufen! Terror ist niemals eine Lösung, aber immer eine Sünde. Jeder Angriff auf eine Kirche – oder eine Synagoge – ist wie ein Angriff auf eine Moschee: eine Sünde und ein Verbrechen.
Im Namen Gottes und der Menschen:
denkt nach, glaubt an die wahre Botschaft des Islam und verbreitet Frieden! Wer sich bei solchem Tun auf Gott und auf unsere Religion beruft, stellt sich
in Wahrheit gegen Gott und gegen den Islam. Deshalb rufen wir auch alle Glaubensbrüder und -schwestern auf, keinesfalls aus falsch verstandener Solidarität potentielle Täter zu schützen oder ihr Tun zu verharmlosen! Der Islam gebietet uns, für die Sicherheit der Menschen in jedem Land, in dem wir leben, einzustehen. Deshalb ist für uns gemeinsame Wachsamkeit mit allen friedliebenden Menschen ebenso wie mit den zuständigen Behörden eine Selbstverständlichkeit. Gemeinsam müssen wir gegen Extremismus, gegen Gewalt wie gegen radikale Gesinnungen eintreten, egal gegen wen sie sich richten.

Der Koptisch-Orthodoxen Gemeinde in München drücken wir unsere Solidarität, unsere Betroffenheit und unser tief empfundenes Mitgefühl aus.
Wir wünschen Ihnen und Ihren Brüdern und Schwestern in Ägypten, dass Sie trotz des Entsetzens und der Trauer eine friedvolle Weihnacht feiern können und mit Gottes Segen ein Jahr der Aufrichtigkeit, des Miteinanders und der Überwindung von Konflikten gelingen wird!

Und schließlich, this just in, schreibt die Religionsgemeinschaft des Islam Baden Württemberg:

Als Religionsgemeinschaft des Islam verurteilen wir die Anschläge auf Christen und andere Minderheiten in muslimischen Ländern aufs Schärfste. Es ist höchst bedauerlich und inakzeptabel, dass Menschen aufgrund ihres Glaubens diskriminiert werden und dass ihnen sogar das Lebensrecht abgesprochen wird.
Nach islamischem Glauben stehen Menschen, die unschuldigen Menschen nach dem Leben trachten, außerhalb des Islam. Sie sind durch Gehirnwäsche manipulierte Menschen, die alle anderen als Feinde sehen, die nicht wie sie denken und glauben.
Der Islam verbietet solche intolerante, inhumane Aktionen und Auffassungen. Kein aufrichtiger gläubiger Muslim würde sich jemals zu einer solchen Untat  hinreißen lassen.
Wir kennen solche Menschen mit verzerrtem Glaubensbild zu genüge. Daher ist unser Anliegen die Aufklärung der Muslime hier wie dort.

 

Verfolgte Christen in Ägypten

Auch Muslime müssen den Kampf für die Unversehrtheit der Christen in der arabischen Welt aufnehmen

(Mein Leitartikel aus der ZEIT von morgen, Nr. 2, 2011, S. 1)

Jetzt nennt man sie eine „Märtyrerin“. Doch Maryouma Fekry hatte anderes vor mit ihrem noch jungen Leben. Minuten bevor sie zur Neujahrsmesse aufbrach, speicherte die 22jährige ein Update auf ihrer Facebook-Seite: „2010 ist vorbei…Dieses Jahr ist das beste in meinem Leben…Ich habe so viele Wünsche für 2011…Bitte Gott, bleibe bei mir und hilf mir, sie wahr zu machen“. Kurz nach Mitternacht explodierte die Bombe vor der St Markus und Peter Kirche der ägyptischen Hafenstadt Alexandria. Maryouma und 20 weitere koptische Christen starben, mehr als hundert wurden verletzt.
Maryoumas Facebook-Seite gibt es noch. Unter dem Bild der strahlenden jungen Frau, die Harry Potter und Linkin Park mochte, tragen sich Hunderte ein, die sich dem Irrsinn des islamistischen Terrors entgegenstellen wollen. Es sind auch Muslime unter Ihnen.
Sie haben offenbar verstanden, dass es um mehr als nur einen weiteren beklagenswerten Terrorakt geht: Es droht die kulturelle Selbstverstümmelung der islamischen Welt durch schrittweise Vernichtung des orientalischen Christentums. Alexandria ist kein Einzelfall. Erst vor wenigen Wochen traf es die Gemeinde der Kirche „Maria Erlöserin“ in Bagdad: Ein Selbstmordkommando stürmte am 31. Oktober den Sonntagsgottesdienst und massakrierte mit Bomben und Maschinengewehren 58 Menschen. Al-Kaida im Irak bekannte sich zu dem Massenmord.
Das Christentum im Zweistromland, darunter einige der ältesten Gemeinden weltweit, ist in den letzten Jahren bereits um die Hälfte geschrumpft. Wer es sich leisten konnte, ging in den Westen, die Armen suchten Zuflucht im ruhigeren und toleranteren kurdischen Norden und in der Türkei. Nach der Gräueltat von Bagdad hat nun eine weitere Fluchtwelle eingesetzt. Die Welt schaut hilflos zu, während das Christentum der Chaldäer und Assyrer, in deren Gottesdiensten teils noch das biblische Aramäisch vorkommt, zugrunde geht. Welch grausame Ironie: Dem Irakkrieg wurde »Kreuzzüglertum« unterstellt. Doch nun ist es denkbar geworden, dass das Christentum in ihrem Gefolge von einigen seiner frühesten Stätten vertrieben wird. Die Ureinwohner Ägyptens und Iraks, deren Gemeiden viele hundert Jahre vor dem Islam schon dort beheimatet waren, sind Sündenböcke geworden. Fanatiker erklären sie zu Fremdkörpern und fünften Kolonnen, die es auszumerzen gelte.
Die radikalen sunnitischen Islamisten der Kaida haben sich die religiöse „Säuberung“ der muslimischen Welt auf die Fahne geschrieben. In ihrer Vision eines neuen Kalifats zwischen Bagdad und Marrakesch gibt es keinen Platz für Christen und Juden. (Aber auch nicht für die Schiiten, die ihnen ebenfalls als Häretiker gelten.) Der Neujahrsanschlag, der die Handschrift der Kaida trägt, ist auch ein Schlag gegen das ägyptische Regime von Hosni Mubarak. Im September nämlich soll in Ägypten ein neuer Präsident gewählt werden. Mubarak will seinen Sohn installieren und unterdrückt brutal den Widerstand, ganz gleich ob säkular oder islamistisch. Wer die Kopten schlägt – mit mehr als 8 Millionen die größte christliche Minderheit in Nahost – trifft zugleich das prowestlichste Regime der arabischen Welt.Der »Pharao« Mubarak spielt sein eigenes Spiel: er versucht, die erbärmliche Lage der Kopten ganz auf die Taten der Extremisten zu reduzieren. Doch sein Regime hat die schleichende Islamisierung der Gesellschaft zugelassen und Bigotterie gegen Andersgläubige geschürt. Kopten werden am Kirchenbau gehindert und haben kaum Aufstiegschancen im korrupt geführten Staat. Vor einem Jahr, am koptischen Weihnachtsfest, erschossen muslimische Attentäter sieben Christen vor der Kathedrale von Nag Hammadi. Sie waren Ägypter. Der Präsident ließ sich zwei Wochen, bis er die Tat verdammte.

Die Vertreter des Islams in Deutschland muss niemand mehr lange bitten, sich zu positionieren: Nur Stunden nach dem Massaker hat der »Koordinationsrat der Muslime« den »feigen und schrecklichen Anschlag auf das Schärfste« verurteilt. Ein Lernprozeß: Muslime haben verstanden, dass die radikalen Islamisten mit dem Vertrauen auch die Grundlage des Zusammenlebens hierzulande zerstören wollen. Es ist absurd, von unbescholtenen Muslimen nach jedem Anschlag die Distanzierung von Gewalttaten zu fordern, die sie niemals gebilligt haben. Leider geschieht das auch jetzt wieder. Mit solchen kenntnisfreien Forderungen macht man die Wohlwollenden indirekt zu Geiseln jener Dschihadisten.
Das ist fatal, weil die eigentliche Kampflinie nicht zwischen den Religionen verläuft, wie es die Weltenbrandzündler gerne hätten. Sie verläuft zwischen denen, die in einer multireligiösen Gesellschaft leben wollen und den Fanatikern der Reinheit – heute vor allem: innerhalb des Islams. Die größte Provokation für die Mörder im Namen der Reinheit ist die angstfreie Vermischung, auf der die Stärke der freien Gesellschaften beruht. Denn jeder Muslim, der friedlich und gut nachbarschaftlich im Westen lebt, ist eine wandelnde Widerlegung Bin Ladens. Wir sehen das oft nicht mehr in unserer erregten Islamdebatte. Mit jedem Christen hingegen, der Ägypten oder Irak verläßt, kommen die islamistischen Träumer des Absoluten ihrem Ziel näher. Darum müssen die Muslime – auch im Westen – den Kampf für die Rechte der Christen des Orients mit führen: Es ist auch ihr Kampf, die Differenz zwischen dem Islam und der aggressiven Ideologie deutlich zu machen, durch die Maryouma Fekry zur Märtyrerin wider Willen wurde.

 

Was wollen die Muslimbrüder?

Der Chefredakteur der Zeitung der koptischen Minderheit (Watani) in Ägypten, Youssef Sidhom, setzt sich mit den letzten 15 Monaten auseinander, in denen die Muslimbrüder nun im ägyptischen Parlament eine bedeutende Fraktion bilden. (Link hier.)

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Youssef Sidhom

Als Vertreter der christlichen Minderheit hatte Sidhom die Einladung angenommen, einen Dialog mit den Muslimbrüdern zu beginnen. Die Kopten machen sich begreiflicher Weise Sorgen über ihren Staus in dem von den Muslimbrüdern angestrebten Islamischen Staat. Nach anfänglicher Offenheit muss Sidhom den Dialogversuch als gescheitert erklären:

I know that many Egyptians, especially intellectuals and politicians, share my wariness. The frequent fanatic declarations by the MB supreme guide, the performance of the group’s MPs, and the military-style parade organised by MB students at al-Azhar University, have all triggered public fears. Last but not least was the latest declaration on the Brotherhood’s intention to form a political party, which dealt a blow to citizenship values. In all these instances, the frightful discriminatory spirit characterising the MB was directed against both Muslims and Copts; the group propagated the message that it monopolised the correct vision of Islamthe sharia of Godand that all other outlooks were sinful and infidel. It reached the point where an honourable MB member announced in Parliament that the Brotherhood’s project of an Islamic State was the sole valid outlook and that anyone who disagreed should go find himself another religion.