Illustration: Sabine Friedrichson
Verflixtes Geld!
Cyril, Anthea, Robert und Jane hatten gehofft, in der kleinen Stadt Rochester groß einkaufen zu können: Schließlich hat der Sandelf ihnen einen ganzen Haufen Gold beschert. Leider müssen sie feststellen, dass Kinder, die die Taschen voller Geld haben, den meisten Kaufleuten verdächtig vorkommen. Ehe sie sich versehen, landen sie auf der Polizeiwache…
Die Millionäre aßen ihre Brötchen im Park auf. Doch obwohl das Gebäck rosinenreich und weich und köstlich war und die Gemüter der vier Kinder wieder aufrichtete, schlug doch selbst das Herz der Tapfersten bei dem Gedanken schneller, was wohl Mr. Billy Peasemarsh im Gasthaus »Zum Sarazenen« sagen würde, wenn sie bei ihm Pferd und Wagen kaufen wollten. Die Jungen hätten den Plan am liebsten fallenlassen, aber Jane war immer optimistisch, und Anthea neigte zur Dickköpfigkeit, und so behielten die Mädchen am Ende die Oberhand. Die ganze Gesellschaft, die unterdessen unbeschreiblich schmutzig war, brach also zum »Sarazenen« auf.
Die Hinterhof-Methode des Angriffs, die sich beim Wirtshaus »Zum Schachbrett« so gut bewährt hatte, wurde hier abermals angewandt. Mr. Peasemarsh hielt sich zufällig gerade auf dem Hof auf, und Robert begann die Verhandlungen mit den Worten: »Ich habe gehört, dass Sie Pferde und Wagen zu verkaufen haben.« Sie waren übereingekommen, dass Robert in diesem Fall der Sprecher sein sollte, weil in Geschichten immer die Männer und nicht die Damen Pferde kaufen und weil Cyril im »Blauen Wildschwein« schon an der Reihe gewesen war. »Dann hast du die Wahrheit gehört, junger Mann«, antwortete Mr. Peasemarsh. Er war ein großer, hagerer Mann mit stahlblauen Augen und einem verkniffenen Mund.
»Wir möchten gern welche kaufen«, sagte Robert höflich. »Das kann ich mir vorstellen.« – »Würden Sie uns bitte welche zeigen? Damit wir uns die Richtigen aussuchen können?« – »Was soll denn das heißen?«, erkundigte sich Mr. Billy Peasemarsh. »Wer schickt euch denn überhaupt?« – »Ich habe Ihnen doch gesagt«, wiederholte Robert, »wir wollen ein Paar Pferde und einen Wagen kaufen. Ein Mann hat uns gesagt, dass Sie aufgeschlossen und zugänglich sind, aber ich habe fast das Gefühl, er hat sich geirrt.« – »Da hört doch alles auf!«, sagte Mr. Peasemarsh. »Soll ich vielleicht meinen ganzen Stall an Euer Hochwohlgeboren vorübertraben lassen?« – »Bitte schön«, antwortete Robert, »wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht. Wir wären Ihnen sehr verbunden.«
Mr. Peasemarsh steckte die Hände in die Taschen und lachte. Aber dieses Lachen behagte den Kindern ganz und gar nicht. Dann rief er: »Willem!« Ein buckliger Pferdeknecht erschien in der Stalltür. »Hier, Willem, schau dir mal diesen jungen Herzog an! Will mir den ganzen Stall leer kaufen, samt Wagen, Zaumzeug und Hafersack. Und dabei hat er keinen Penny in der Tasche, darauf könnt ich wetten!« Willems Augen folgten dem ausgestreckten Zeigefinger seines Dienstherrn mit verächtlichem Interesse. »Hat er nicht, wie?«, fragte er.
Aber da antwortete ihm Robert, obwohl die beiden Schwestern ihn an der Jacke zupften und flehentlich baten, den Rückzug anzutreten. Er antwortete, weil er wütend war, und er sagte: »Ich bin kein junger Herzog, und ich hab auch überhaupt nicht so getan, als ob ich einer wäre. Und was das Geld angeht, was sagen Sie denn dazu?« Bevor die anderen ihn daran hindern konnten, hatte er zwei Hände voll schimmernder Guineas aus der Tasche gezogen und hielt sie Mr. Peasemarsh vor die Nase. Der bekam Stielaugen, packte eine Münze mit Zeigefinger und Daumen und biss darauf.
Jane erwartete, dass er nun sagen würde: »Das beste Pferd in meinem Stall steht zu Ihrer Verfügung!« Ihre Geschwister waren klüger. Aber obwohl sie längst alle Hoffnung aufgegeben hatten, traf es sie dennoch wie ein Schlag, als Mr. Peasemarsh grimmig befahl: »Willem, mach das Hoftor zu!«, und als Willem grinste und lostrabte, um sie einzuschließen.
»Wir denken gar nicht daran, Ihre Pferde zu kaufen«, rief Robert hastig. »Da können Sie jetzt sagen, was Sie wollen. Ich hoffe, dass Ihnen das eine Lehre sein wird.« Er hatte eine kleine Seitentür gesehen, die offenstand, und während er sprach, ging er auf sie zu. Aber Billy Peasemarsh stellte sich ihm in den Weg. »Nicht so geschwind, mein Bürschchen!«, sagte er. »Willem, hol die Polizei.«
Willem lief davon, und die Geschwister drängten sich wie erschrockene Schafe zusammen, während ihnen Mr. Peasemarsh eine Strafpredigt hielt. Er sagte vielerlei, unter anderem auch Folgendes: »Ihr seid ja nette Früchtchen, führt ehrliche Leute mit euren Guineas an der Nase herum!« – »Aber es ist doch unser Geld!«, antwortete Cyril tapfer. »Darüber wissen wir noch gar nichts, windige Behauptungen – das wird sich erst herausstellen! Und auch noch kleine Mädchen mit in die Sache verwickeln! Hier – ich lass die Mädels laufen, wenn ihr ohne Geschrei mit mir zur Polizei geht.«
»Wir wollen gar nicht, dass Sie uns laufenlassen«, erwiderte Jane in heldenhaftem Ton. »Wir gehen nicht ohne unsere Brüder. Es ist genauso gut unser Geld wie ihres, Sie böser alter Mann.« – »Wo habt ihr’s denn her?«, erkundigte sich der Mann, der plötzlich ganz ruhig wurde, was das Gegenteil der Reaktion war, die die Jungen nach Janes Unverschämtheit erwartet hatten.
Jane warf den Geschwistern einen stummen Blick der Verzweiflung zu. »Na, hast du jetzt die Sprache verloren? Eben konntest du doch noch so gut schimpfen. Los jetzt, antworte!« – »Aus der Sandkuhle«, antwortete die ehrliche Jane. »Denk dir was Besseres aus«, schimpfte der Mann. »Das stimmt aber«, entgegnete Jane. »Da ist ein Elf, ganz aus braunem Fell, mit Fledermausohren und Schneckenaugen, der erfüllt einem jeden Tag einen Wunsch.«
»Die ist wohl nicht ganz richtig im Kopf?«, fragte der Mann mit gedämpfter Stimme. »Ihr Jungs solltet euch schämen, dass ihr ’ne kleine Verrückte in eure schändlichen Betrügereien hineinzieht.« – »Sie ist nicht verrückt, und was sie sagt, ist wahr«, unterbrach ihn Anthea. »Da ist wirklich ein Elf. Und wenn wir ihn jemals wiedersehen, dann will ich mir etwas für Sie wünschen, dass Sie sich wundern werden!« – »Grundgütiger!«, stammelte Billy Peasemarsh. »Noch ’ne Verrückte!«
In diesem Augenblick kehrte Willem hämisch grinsend in Begleitung eines Polizisten zurück. Mr. Peasemarsh vertiefte sich sogleich in eine lange, heiser geflüsterte Unterhaltung mit dem Polizisten, der schließlich laut sagte: »Wahrscheinlich haben Sie recht. Ich werd sie auf jeden Fall erst mal wegen unrechtmäßigen Besitzes in Gewahrsam nehmen. Dann kann man die Untersuchung immer noch abwarten. Der Magistrat wird sich schon mit dem Fall beschäftigen. Die beiden Geistesgestörten werden dann vermutlich in eine Anstalt eingewiesen und die Jungen in ein Erziehungsheim geschickt. So, und jetzt kommt mit, Kinder! Widerstand ist sinnlos. Nehmen Sie mal die Mädchen unter Ihre Fittiche, Mr. Peasemarsh, ich kümmere mich um die Jungen.«
Die vier Geschwister, die vor Wut und Entsetzen sprachlos waren, wurden durch die Straßen von Rochester getrieben. Tränen der Scham stiegen ihnen in die Augen, sodass sie alles nur noch verschwommen sahen. Darum erkannte Robert auch die Passantin nicht, die er beinah umgerannt hätte, bis eine vertraute Stimme sagte: »Nanu, was ist denn das? Oh, Master Robert, was hast du jetzt ausgefressen?« Und eine genauso bekannte Stimme krähte: »Antha! Will zu Antha!« Sie waren Martha und dem Baby in die Arme gelaufen!
Martha benahm sich bewunderungswürdig. Sie weigerte sich, auch nur ein Wort von Mr. Peasemarshs und des Polizisten Geschichte zu glauben. Sogar dann noch, als sie Robert in einen Torweg führten und ihm befahlen, seine Taschen auszuleeren. »Ich kann überhaupt nichts sehen«, sagte Martha zu den Männern. »Sie haben offenbar beide den Verstand verloren! Da ist kein Gold – nur die Hände des armen Buben, ganz zerkratzt und schmutzig, die reinsten Schornsteinfegerhände. Dass ich so etwas erleben muss!« Die Geschwister hielten Martha zuerst für ungeheuer edelmütig, aber dann fiel ihnen das Versprechen des Psammed ein, dass Martha und die Köchin seine Gaben nicht bemerken würden. Martha konnte also das Gold gar nicht sehen, und deshalb sprach sie nur die reine Wahrheit.
Die Dämmerung brach schon herein, als sie die Polizeistation erreichten. Der Polizist erstattete einem Inspektor, der in einem großen, kahlen Raum saß, seinen Bericht. »Lassen Sie mal die Münzen sehen«, sagte der Inspektor. »Leer deine Taschen aus«, sagte der Polizist. Cyril steckte seine Hände verzweifelt in die Taschen, stand einen Augenblick regungslos und begann dann zu lachen. Es war kein freudiges Lachen, es hörte sich fast wie ein Schluchzen an. Seine Taschen waren leer, genauso leer wie die Taschen seiner Geschwister. Denn bei Sonnenuntergang war das Psammedgold selbstverständlich verschwunden.
»Leer deine Taschen aus und sei still!«, sagte der Inspektor. Cyril drehte seine Taschen um, jede der neun Taschen, die seine Jacke zierten. Und alle Taschen waren leer. »Nanu!«, sagte der Inspektor. »Ich weiß nicht, wie sie das angestellt haben – gerissene kleine Taschenspieler! Ich habe sie den ganzen Weg vor mir hergehen lassen, damit ich ein Auge auf sie haben konnte und damit sie keinen Aufruhr verursachen und den Verkehr nicht behindern.« – »In der Tat höchst merkwürdig«, sagte der Inspektor und runzelte die Stirn.
»Wenn Sie Ihre Stirn genug über meine unschuldigen Kinder gerunzelt haben«, verkündete Martha, »werde ich eine Pferdedroschke mieten, und dann können wir ja wohl endlich heimfahren zum Hause des Vaters dieser Kinder. Aber Sie werden noch von uns hören, junger Mann! Ich hab Ihnen ja gleich gesagt, dass sie keine Goldmünzen haben, als Sie so taten, als ob Sie Geld in ihren armen hilflosen Händen entdeckt hätten. Es ist für einen diensthabenden Polizisten ein bisschen früh am Tag, um seinen Augen nicht mehr trauen zu können. Und was den anderen Herrn angeht, so erübrigen sich ja wohl alle Worte. Er ist der Wirt vom Gasthaus ›Zum Sarazenen‹ und weiß wohl sicher am besten, wie gut Schnaps schmeckt.« – »Bringen Sie die Kinder um des Himmels willen fort«, sagte der Inspektor ärgerlich. Aber nachdem sie die Polizeistation verlassen hatten, sagte er noch viel ärgerlicher zu dem Polizisten und zu Mr. Peasemarsh: »Na hören Sie mal!«
Auf Martha konnte man sich verlassen. Weil das Fuhrwerk nicht mehr da war, fuhr sie mit den Kindern in einer großartigen Kutsche nach Hause, aber obwohl sie sie auf der Polizeistation so wacker verteidigt hatte, schimpfte sie die Geschwister für die »eigenmächtige Herumstromerei in Rochester« so gehörig aus, dass niemand den alten Mann mit seinem Ponywägelchen zu erwähnen wagte, der vor Rochester auf sie wartete. Und dann wurden die Kinder nach einem Tag unvorstellbaren Reichtums zur Strafe sofort ins Bett geschickt. Sie waren nur um zwölf Rosinenbrötchen reicher geworden, die sie schon längst verdaut hatten.
Am meisten beunruhigte sie der Gedanke, dass die Goldmünze des alten Mannes genauso wie alle anderen bei Sonnenuntergang verschwunden war. Und deshalb gingen sie am nächsten Tag in das Dorf hinunter, um sich dafür zu entschuldigen, dass sie ihn im Stich gelassen hatten. Der Besitzer des Ponywägelchens begrüßte sie jedoch sehr freundlich. Die Guinea war nicht verschwunden, und er hatte ein Loch hineingebohrt und sie an seine Uhrkette gehängt. Was aber das Goldstück anging, das der Bäcker bekommen hatte, so hatten die Kinder das Gefühl, dass sie sich nicht so große Sorgen darum zu machen brauchten.
Am nächsten Tag regnete es. Es regnete so stark, dass die Kinder nicht draußen spielen und schon gar nicht jemanden wie den Sandelf stören konnten, der auf Wasser so empfindlich reagierte, dass er noch nach Tausenden von Jahren an der Stelle Schmerzen empfand, wo ihm einmal die linke Schnurrbartspitze nass geworden war. Der Tag zog sich endlos hin, und erst am Nachmittag kam den Geschwistern die Idee, ihrer Mutter zu schreiben. Robert stieß bei dieser Gelegenheit ein volles, außerordentlich großes Tintenfass um. Es ergoß sich gerade über die Ecke von Antheas Schreibpult, an der sie sich aus Klebstoff und Pappkarton etwas zurechtgebastelt hatte, was sie als Geheimfach bezeichnete. Gleichzeitig rann ein Tintenstrom über Antheas halbfertigen Brief, der nun lautete: »Liebe Mutter, ich hoffe, es geht dir gut, und ich hoffe, Großmutter ist wieder gesund. Gestern waren wir…« Was dann kam, hatte die Tinte verdeckt, und ganz unten waren die letzten Sätze mit Bleistift geschrieben: »Ich habe die Tinte nicht umgekippt, aber es hat so lange gedauert, bis wir alles aufgewischt hatten, deshalb nichts mehr für heute, denn die Post wird gleich abgehen. Von Deiner Dich liebenden Tochter Anthea.«
Roberts Brief wurde nicht einmal begonnen. Zunächst hatte Robert ein Schiff auf das Löschpapier gekritzelt, während er darüber nachdachte, was er schreiben wollte. Dann war das Tintenfass umgefallen, und er musste Anthea helfen, ihr Pult sauber zu wischen. Dabei versprach er ihr, ein neues Geheimfach zu kleben, das noch besser sein würde als das alte. Sie bat: »Mach es aber gleich!« Und deshalb brachte er bis zur Ankunft des Postwagens keinen Brief zustande, obwohl das Geheimfach auch nicht fertig wurde.
Cyril schrieb ganz schnell einen langen Brief und machte sich dann – nach der Bauanleitung aus dem »Gartenfreund« – daran, eine Schneckenfalle zu konstruieren.
Der Sandelf aus der Feder der britischen Autorin Edith Nesbit (1858 bis 1924) erscheint im Herbst 2008 in der neuen ZEIT Kinder-Edition. Wir drucken Auszüge (in der Übersetzung von Sybil Gräfin Schönfeldt) vorab.
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