Ende gut, alles gut!
Der Sandelf hat es endgültig satt, Wünsche zu erfüllen. Aber Cyril, Anthea, Robert und Jane brauchen ein letztes Mal seine Hilfe – anders können sie sich nicht aus dem Schlamassel befreien, in das sie sich hineingewünscht haben. Zeit für einen Handel…
Illustration: Sabine Friedrichson
Es wäre doch viel sicherer gewesen, wenn sie damit sofort geflohen wären?« – »Ja, aber nimm mal an«, sagte Cyril, »dass sie lieber auf den Sonnenuntergang, äh, ich meine: auf die Nacht warten wollten, bevor sie sich davonmachten. Außer uns hat ja niemand gewusst, dass du heute zurückkommst.« – »Ich muss sofort die Polizei holen«, sagte Mutter etwas abwesend. »Ach, ich wünschte, Vater wäre hier!« – »Wäre es nicht besser, auf ihn zu warten?«, fragte Robert, der genau wusste, dass sein Vater nicht vor Sonnenuntergang kommen würde. »Nein, nein, ich kann keine Minute länger warten! Dies alles hier bedrückt mich zu sehr«, rief Mutter. »Dies alles hier« war ein Stapel von Schmucketuis auf dem Bett. Sie räumten sämtliche Etuis in den Schrank, und Mutter schloss ihn zu. Dann rief sie nach Martha.
»Martha«, sagte sie, »ist irgendein Fremder in meiner Abwesenheit in meinem Zimmer gewesen? Antworten Sie mir bitte ehrlich.« – »Nein, Madam«, antwortete Martha, »das heißt – also, was ich sagen wollte…« Sie verstummte. »Kommen Sie«, sagte Mutter freundlich, »ich merke schon, dass jemand hier gewesen ist. Sie müssen mir sofort alles erzählen.« Martha brach in heftiges Schluchzen aus. »Ich wollt Ihnen ja gleich Bescheid sagen, Madam, dass ich zum Ende des Monats kündige. Weil ich nämlich einen ehrenwerten jungen Mann glücklich machen will. Wildhüter ist er von Beruf, Madam. Und er heißt Bill. So wahr, wie ich hier stehe. Es ist, weil Sie so in Hetze hier aufgetaucht sind, und ich hab doch vorher kein Bescheid bekommen, und da hat er gesagt, Martha, mein Schatz, ich kann das nicht mit ansehen, wie du so schuftest, und ich soll dir nicht helfen! Das hat er gesagt. Und deshalb hat er mir beim Fensterputzen geholfen, aber nur von außen, Madam, die ganze Zeit, und ich hab drinnen geputzt.«
»Sind Sie die ganze Zeit mit ihm zusammen gewesen?«, fragte Mutter. »Er draußen, ich drinnen, so war’s«, antwortete Martha. »Nur einmal hab ich einen frischen Eimer Wasser und das Ledertuch geholt.« – »Das reicht«, sagte Mutter, »ich bin nicht entzückt darüber, Martha, aber Sie haben die Wahrheit gesagt, und das ist die Hauptsache.«
Nachdem Martha gegangen war, drängten sich die Geschwister um die Mutter. »Ach, liebste Mami«, rief Anthea, »Bill kann nicht daran schuld gewesen sein, ganz bestimmt nicht! Er ist schrecklich nett, und er ist ehrlich und ehrenwert und treu wie Gold. Lass ihn nicht von der Polizei verhaften, Mami!« – »Gibt es hier irgendwo einen Wagen?«, erkundigte sich Mutter aufgeregt. »Ich muss sofort nach Rochester fahren und der Polizei Bericht erstatten.« Die Geschwister brachen in Schluchzen aus und sagten: »Der Bauer hat einen Wagen, aber bitte, fahr nicht! Warte lieber, bis Vati nach Hause kommt.« Mutter beachtete die Einwände der Geschwister jedoch nicht. »Hör mal, Cyril«, sagte Mutter, »du passt hier auf. Bleib im Ankleidezimmer. Die Tür zum Treppenabsatz ist offen, die andere hab ich abgeschlossen. Lass niemanden in mein Zimmer. Denk daran, außer mir und euch weiß niemand, dass sich die Juwelen hier befinden. Nur diese abgefeimten Einbrecher, die sich versteckt haben, wissen es. Robert, du bleibst im Garten und beobachtest die Fenster. So, ich verlasse mich auf euch. Ich glaube nicht, dass sie es vor dem Einbruch der Dunkelheit versuchen werden, ihr seid also sicher. Auf Wiedersehen, Kinder.«
»Sie ist ein geborener General«, sagte Cyril, »aber ich weiß wirklich nicht, was aus uns werden soll. Selbst wenn ihr Mädchen jetzt loslauft und dieses niederträchtige Psammy auftreibt und dazu bringt, das Geschmeide wieder wegzuzaubern, würde Mutter doch nur daraus schließen, dass wir nicht ordentlich aufgepasst haben, sodass die Einbrecher zurückkommen und ihre Beute mitnehmen konnten. Oder die Polizei denkt, dass wir den Schmuck genommen haben. Das ist wirklich das schlimmste Kuddelmuddel, in das wir jemals hineingeschlittert sind. Wahrhaftig!«
Robert trabte in den Garten. Anthea und Jane flüsterten unten im Flur miteinander, und aus der Küche drang Marthas Stimme. Sie schimpfte ausgiebig und unüberhörbar. »Es ist wirklich zu schrecklich«, sagte Anthea. »Und ist es denn überhaupt sicher, dass alle Schmuckstücke hier sind? Wenn nicht, dann muss die Polizei doch denken, dass Vater und Mutter das Übrige genommen haben und dass sie nur einen Teil der Wahrheit zugeben, um den Rest zu verschleiern.«
Was können wir nur machen?«, fragte Jane. »Gar nichts, wir können höchstens das Psammed noch einmal suchen. Es ist heute wieder sehr heiß, vielleicht ist es herausgekrochen, um sich sein Schnurrhaar zu wärmen.« – »Heute wird es uns keinen Wunsch mehr geben«, sagte Jane niedergeschlagen. »Es wird von Mal zu Mal ärgerlicher. Ich hab das Gefühl, es hasst es, dass es Wünsche erfüllen muss.« Anthea hatte den Kopf trübselig hin und her gewiegt. Jetzt richtete sie ihn so plötzlich auf, dass es aussah, als spitze sie die Ohren. »Was ist denn?«, erkundigte sich Jane. »Ist dir etwas eingefallen?« – »Unsere einzige Chance!«, rief Anthea dramatisch. »Die letzte Hoffnung der Verlorenen! Komm mit!« Sie liefen in einem stetigen Trab zur Sandkuhle. O Freude, da saß das Psammed eingekuschelt inmitten eines golden glänzenden Sandloches und putzte sich in der glühenden Nachmittagssonne zufrieden den Schnurrbart. Als es die Mädchen erblickte, wirbelte es herum und begann sich einzuscharren. Es schien seine eigene Gesellschaft ganz offensichtlich der ihren vorzuziehen. Aber Anthea war schneller. Sie packte es sanft, aber energisch bei den pelzigen Schultern und hielt es fest.
»Lass mich gefälligst los!«, fauchte das Psammed. Anthea hielt es jedoch fest. »Liebes, gutes Psammy«, sagte sie atemlos. »Ach ja, ich weiß schon«, sagte es, »du willst noch einen Wunsch haben. Aber ich kann es nicht mehr aushalten, den ganzen Tag zu schuften, nur damit die Leute ihre Wünsche erfüllt bekommen. Ich muss endlich einmal wieder etwas Zeit für mich selber haben.« – »Findest du es denn so schrecklich, Wünsche erfüllen zu müssen?«, erkundigte sich Anthea sanft, wobei ihre Stimme vor Aufregung zitterte.
»Natürlich find ich’s widerlich«, antwortete es. »Lass mich jetzt los, oder ich beiße! Du, das ist mein Ernst!« Anthea nahm den möglichen Biss in Kauf und hielt das Psammed weiter fest. »Lass das Beißen sein«, sagte sie, »hör mir lieber richtig zu. Wenn du nur noch heute tust, was wir wollen, dann wünschen wir uns unser ganzes Leben lang nichts mehr von dir.« Das Psammed war tief gerührt. »Ich will euch einen Wunsch nach dem anderen erfüllen, solange ich es nur aushalte, wenn ihr mich dafür vom heutigen Tag an nie, nie wieder um etwas bittet. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie unangenehm es mir ist, mich für die Wünsche anderer Leute aufblasen zu müssen. Und was für eine Angst ich immer habe, dass ich mir einen Muskel dabei zerre! Und dann jeden Morgen aufzuwachen und zu wissen: Heute musst du wieder ran. Du ahnst gar nicht, was das bedeutet, nein, das kannst du wirklich nicht ahnen.« Vor lauter Selbstmitleid brach ihm die Stimme, und das letzte Wort war nur noch ein Quieker.
Anthea setzte es sachte in den Sand zurück. »Jetzt ist alles vorbei«, sagte sie tröstend. »Wir versprechen, dir nach dem heutigen Tage mit keinem Wunsch mehr zu kommen.« – »Na, dann schieß los«, sagte das Psammed, »damit wir es hinter uns bringen.« – »Wie viel kannst du noch tun?« – »Ich hab keine Ahnung. Ich muss sehen, wie lange ich’s aushalten kann.« – »Zuerst wünsche ich mir, dass Lady Chittenden zu der Überzeugung kommt, dass sie ihren Schmuck gar nicht verloren hatte.«
Das Psammed blies sich auf, fiel wieder zusammen und sagte: »Geschafft.« – »Ich wünsche weiterhin«, fuhr Anthea etwas langsamer fort, »dass Mutter nicht zur Polizei geht.« – »Erledigt«, sagte das Psammy nach der üblichen Pause. »Und ich wünsche«, sagte plötzlich Jane, »dass Mutter die ganze Diamantengeschichte vergisst.« – »In Ordnung«, hauchte das Psammed mit schwacher Stimme. »Möchtest du dich ein bisschen verschnaufen?«, erkundigte sich Anthea mitfühlend.
»Ach ja, bitte«, antwortete das Psammed. »Aber ehe wir fortfahren: Würdest du etwas für mich wünschen?« – »Kannst du dir denn nicht selber Wünsche erfüllen?« – »Natürlich nicht«, antwortete es. »Man hat damals damit gerechnet, dass wir Psammeds uns gegenseitig unsere Wünsche erfüllen würden. Viel brauchten wir uns in der guten alten Steinzeit ja auch gar nicht zu wünschen. Würdest du dir also bitte für mich wünschen, dass keiner von euch jemals imstande sein wird, etwas von mir zu erzählen?« – »Warum?«, fragte Jane.
»Warum? Kannst du dir das nicht denken? Wenn ihr den Erwachsenen davon erzählt, hab ich mein Lebtag keine Ruhe mehr. Sie würden mich erwischen, und dann würden sie sich nicht nur so einen Unfug wie ihr wünschen, sondern richtig ernsthafte Sachen. Und die Wissenschaftler würden es schon so hinkriegen, dass die Wünsche länger als bis zum Sonnenuntergang dauern, darauf kannst du Gift nehmen. Sie würden sich lauter gefährliche und langweilige Sachen wünschen. Und die würden sie auch alle bekommen und behalten, und die ganze Welt würde auf dem Kopf stehen. So wünsch doch schon! Schnell!«
Anthea wiederholte den Wunsch des Psammeds, und es blies sich auf, bis es einen so gewaltigen Umfang wie nie zuvor erreichte. »Und jetzt«, keuchte es, nachdem es wieder in sich zusammengefallen war, »kann ich noch etwas für dich tun?« – »Nur noch eine einzige Sache. Dann, glaube ich, ist alles klar. Ich wünsche, dass Martha den Diamantring vergisst und dass Mutter vergisst, dass der Wildhüter die Fenster geputzt hat.« – »So«, sagte das Psammed erschöpft, »jetzt bin ich aber erledigt. Gibt’s noch was?« – »Nein, nur vielen Dank für alles, was du für uns getan hast. Und hoffentlich kannst du jetzt gut schlafen. Aber ich hoffe auch, dass wir dich eines Tages wiedersehen.«
»Ist das ein Wunsch?«, hauchte es mit matter Stimme. »Ach, bitte, ja«, antworteten die Schwestern wie aus einem Munde. Da blies sich das Psammed zum letzten Male in dieser Geschichte auf und sackte jählings wieder zusammen. Es nickte ihnen zu, zwinkerte noch einmal mit den langen Schneckenaugen, scharrte sich ein und verschwand, wobei es bis zum letzten Moment wie wild kratzte, sodass der Sand über ihm zusammenrann. »Hoffentlich war das richtig«, sagte Jane. »Ganz bestimmt«, antwortete Anthea. »Komm nach Haus, wir wollen es den Jungen erzählen.«
Als sie mit ihrem Bericht zu Ende waren, kam Mutter erhitzt wieder angeeilt. Sie erzählte, dass sie nach Rochester gefahren sei, um Schulkleider für die Mädchen zu kaufen, und dass die Achse gebrochen und dass sie um ein Haar dabei aus dem Wagen gefallen sei. Sie war nicht verletzt worden, aber sie hatte zu Fuß nach Hause gehen müssen. »Ich brauche jetzt dringend eine Tasse Tee! Seht mal nach, ob das Wasser schon kocht«, sagte sie. – »Siehst du, es ist in Ordnung«, flüsterte Jane. »Sie hat alles vergessen.« – »Und Martha auch«, sagte Anthea, die sich nach dem Tee erkundigt hatte.
Als Martha und die Köchin beim Tee saßen, schaute Bill, der Wildhüter, herein. Er brachte die Nachricht, dass der Schmuck von Lady Chittenden überhaupt nicht verloren gewesen war; Lord Chittenden hatte ihn mitgenommen, damit er neu gefasst und gereinigt würde, und das Kammermädchen, das Bescheid gewusst hatte, war gerade auf Urlaub. So war also auch dies in Ordnung. »Ich möchte wirklich wissen, ob wir das Psammed noch einmal sehen«, sagte Jane nachdenklich, als die Kinder später durch den Garten gingen. »Natürlich werden wir das tun«, sagte Cyril, »wenn du es dir wirklich gewünscht hast.« – »Wir haben aber versprochen, dass wir uns nie wieder etwas wünschen wollen«, sagte Anthea. »Danach habe ich auch gar kein Verlangen mehr!«, rief Robert aus tiefstem Herzen.
Die fünf Kinder haben das Psammed tatsächlich wiedergesehen, aber nicht mehr in dieser Geschichte. Und es war auch nicht in einer Sandkuhle, sondern an einem ganz anderen Ort. Aber davon will ich jetzt nichts verraten.