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Den Tod weniger traurig machen

 

KinderZEIT© Pal Hansen

Sally Nicholls hat mit ihrem ersten Roman »Wie man unsterblich wird« einen Bestseller gelandet. Siggi Seuß traf die junge Autorin in London

Die Autorin Sally Nicholls sieht selbst aus, als sei sie schon öfter eine Rolltreppe verkehrt herum hoch- oder runtergelaufen und habe bereits einige Gespenster getroffen – so wie Sam in ihrem Buch. Als Sally nach einer Stunde Fahrt mit der U-Bahn zum Interview in einem Hotelgarten in London erscheint, weht ihr ein frischer Wind voraus. Sie setzt sich, fegt energisch das lange, dunkelbraune Haar aus der Stirn, und ihre munteren Augen funkeln. Die Autorin wirkt natürlich, freundlich, neugierig – und sie benimmt sich ganz normal. Dass ihr erstes Buch so erfolgreich ist und inzwischen in viele Sprachen übersetzt wurde, scheint sie völlig überrascht zu haben. Das jedenfalls und noch viel mehr erzählt sie im KinderZEIT Interview.

DIE ZEIT: Liebe Sally Nicholls, Sie sind 25 Jahre alt und schon eine berühmte Autorin. Haben Sie den Erfolg von Wie man unsterblich wird erwartet?

SALLY NICHOLLS: Nein, überhaupt nicht. Schließlich geht es im Buch um einen leukämiekranken Jungen. Ich habe damit gerechnet, dass ich hart darum kämpfen muss. Ich habe nicht daran geglaubt, dass man mit diesem Thema einen Bestseller landen kann. Ich freue mich riesig, dass die Menschen dieses Buch lesen.

ZEIT: Wie sind Sie auf die Idee für diese Geschichte gekommen?

NICHOLLS: Als ein Freund meiner Mutter starb, stellte ich mir viele Fragen. Wo gehen wir hin, wenn wir gestorben sind? Wie fühlt sich das Sterben an? Warum müssen wir überhaupt sterben? In meinem Roman stellt Sam, die Hauptperson, all diese Fragen. Ich selbst habe mich als Kind immer gewundert, dass niemand diese Fragen ausgesprochen hat. Wir leben in dieser Welt, die so hell ist und spürbar und wirklich. Und plötzlich soll das alles zu Ende sein, und niemand weiß, was mit uns passiert? Warum brennen die Leute nicht vor Neugierde darauf, dem nachzugehen?

ZEIT: Manche Menschen finden Antworten in ihrer Religion. Glauben Sie auch an etwas?

NICHOLLS: Ich bin Quäker. Dieser Glaube ist Teil der christlichen Religion. Aber Quäker sagen dir nicht, was du glauben sollst. Sie sagen nicht: »So ist das. Und dorthin wirst du gehen, wenn du gestorben bist.« Sie bringen dich dazu, selbst eine Antwort zu finden, die für dich richtig ist. Quäker haben also ganz verschiedene Vorstellungen davon, was nach dem Tod geschieht. Einige gehen davon aus, dass nach dem Leben nichts mehr kommt. Andere glauben an den Himmel. Und die meisten sagen: »Ich weiß es nicht.«

ZEIT: So ergeht es ja auch Sam. Er stellt Fragen, die niemand beantwortet.

NICHOLLS: Dieser Glaube, dass man seine eigene Wahrheit finden muss, der ist auch in meinem Buch zu finden. Niemand sagt Sam, was er zu glauben hat. Er muss in die Welt hinausgehen, und er muss selbst herausfinden, was für ihn richtig ist.

ZEIT: War es für Sie eigentlich schwierig, dieses Buch zu schreiben?

NICHOLLS: Aber ja. Ich hatte gerade ein Problem gelöst, und schon waren zwanzig andere da. Ich wollte eine Geschichte schreiben, die die Menschen zum Lachen bringt. Natürlich wusste ich, dass die Geschichte traurig ist. Gerade deshalb konzentrierte ich mich die meiste Zeit darauf, sie weniger traurig zu machen. Das war sehr schwierig. Weil das Sterben nie einfach ist und es darauf auch keine einfachen Antworten gibt.

ZEIT: Waren Sie zufrieden, als die Geschichte fertig war?

NICHOLLS: Als ich das erste Mal meinen Entwurf vom Anfang bis zum Ende las, hasste ich das, was ich geschrieben hatte. »Das Buch ist schrecklich. Das geht so nicht!«, dachte ich und war eine Woche lang bekümmert. Dann setzte ich mich noch mal dran, nahm eine Menge heraus, schob Teile hin und her. Manche Kapitel schrieb ich ganz neu.

ZEIT: Glauben Sie denn jetzt, dass Sie eine gute Autorin sind?

NICHOLLS: Na ja, ein bisschen. Als Schriftsteller hat man irgendwie zwei Seiten in sich. Die Hälfte der Zeit denkst du, du bist der fantastischste Schreiber auf der ganzen Welt und wirst die wichtigsten Preise gewinnen. Die andere Hälfte der Zeit glaubst du, deine Bücher sind Schrott, niemand wird sie lesen, und du solltest lieber Installateur werden.

ZEIT: War das mal Ihr Traumberuf?

NICHOLLS: Solange ich mich erinnern kann, wollte ich Schriftstellerin werden. Schon als Mädchen hab ich mir Geschichten ausgedacht. Geschichten über Familien, Geschichten über Kinder, die von zu Hause ausgerissen sind. Manchmal hab ich Personen aus Büchern oder Fernsehserien genommen und ihnen eine Kindheit verpasst oder sie mit Leuten verheiratet. Oder ich hab erzählt, wie Geschichten nach der letzten Seite des Buches weitergehen könnten. Aber ich hatte immer Angst, es könnte sehr schwierig werden, wirklich Schriftstellerin zu sein.

ZEIT: Warum schreiben Sie eigentlich Kinderbücher?

NICHOLLS: Ich bin 25 Jahre alt und erinnere mich gut daran, was es heißt, ein Kind zu sein. Ich bin aber noch dabei zu lernen, was es bedeutet, erwachsen zu sein. Also möchte ich im Augenblick kein Buch schreiben über das Verheiratetsein oder über Mütter oder über alte Frauen. Ich spüre einfach, dass ich darüber noch zu wenig weiß.

ZEIT: Sam schreibt in Ihrem Buch die »Liste Nummer 3« – Dinge, die er gern möchte. Verraten Sie uns Ihre Wünsche?

NICHOLLS: 1. Eine Schriftstellerin sein und Bücher schreiben, die die Menschen mögen.

2. Eine gute Schriftstellerin sein.

3. Ein Kind zur Welt bringen.

4. Mit Bällen jonglieren lernen. Ich hab es so oft versucht, aber bisher ging es immer schief.

5. Das Nordlicht sehen.

6. Mit einem Floß aus Balsaholz den Pazifik überqueren. Ein ziemlich verrückter Wunsch. Ich möchte das, seitdem ich als Studentin ein Buch darüber gelesen habe. Wenn das also jemand liest, der gerade zu diesem Zweck ein Floß baut – ich bin bereit!