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Ruhrgebietssage 7: Wie der Teufel zum Pferdefuß kam

 
pferdefussIllustration: Gert Albrecht

neu erzählt von Hartmut El Kurdi

Sagen aus dem Ruhrgebiet
Das Ruhrgebiet ist 2010 »Kulturhauptstadt Europas«, das ist eine Auszeichnung der Europäischen Union (kurz EU) für besonders interessante Städte. Es gibt im Ruhrgebiet zwar mehr als 50 Orte, doch auf der Landkarte sehen sie aus wie eine Riesenstadt.
Im Februar erscheint ein Buch, in dem die Märchen und Sagen dieser spannenden Region neu erzählt werden. Die zehn besten Geschichten lest Ihr bei uns schon jetzt

Wenn man früher jemandem Angst machen wollte, drohte man ihm mit dem Teufel. Der Teufel war das Schlimmste, was man sich vorstellen konnte. Noch schlimmer als Lord Voldemort. Oder Sauron. Oder Darth Vader in seiner dunklen Phase. Die Menschen hatten damals einen Höllenschiss vor dem Teufel. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn da war er ja zu Hause, der Teufel: in der Hölle. Und dort, in der Hölle, landete nach dem Tod angeblich auch jeder, der sich im Leben schlecht benommen hatte. Wer sich gut benommen hatte, kam in den Himmel. Da sich aber niemand ununterbrochen gut benehmen kann, hatten alle ständig Angst, in der Hölle zu enden. Um die Situation etwas zu entspannen und sich nicht immer fürchten zu müssen, erfanden die Menschen Mutmach-Geschichten, die davon handelten, wie man den Teufel hereinlegen konnte. Und die wiederum waren durchaus lustig. Vor allem die aus dem Ruhrgebiet. So wie diese hier:
Der Teufel war sauer. Stinkesauer. Weil schon lange keine Bergmannsseele mehr in der Hölle geschmort hatte. Entweder waren die Bergmänner zu brav oder zu raffiniert. Zum Beispiel hatten sich die Kumpel angewöhnt, kurz bevor sie in die Grube einfuhren, ein schnelles Blitzgebet zu sprechen. Wenn dann im Bergwerk ein Unglück passierte und einer von ihnen starb, kam er direkt in den Himmel, und der Teufel guckte in die Röhre. Das war so eine Abmachung mit Gott: Egal, was du vorher gemacht hast, wenn du kurz vorm Tod ein Gebet sprichst, kommst du in den Himmel. So waren die Regeln. Das nervte den Teufel gewaltig. Also beschloss er, die Regeln zu brechen und sich eigenhändig einen Bergmann aus der Zeche zu holen. Gebet hin, Gebet her.
Er nahm den Höllenfahrstuhl nach oben – die Hölle liegt ja bekanntlich noch tiefer in der Erde als jedes Bergwerk – und streifte durch die Stollen und Schächte des Reviers. Immer wieder sah er größere Gruppen von Bergleuten, die mit Schlägel und Eisen Kohle aus dem Flöz brachen oder die losgeschlagene Kohle mit breiten Schaufeln in die Holzwagen, die Loren, schaufelten. Aber er hielt sich stets in sicherer Entfernung, denn auch als Teufel legt man sich besser nicht mit einem ganzen Haufen Ruhrgebietskumpel an.
Aber er suchte weiter. »Zum Teufel noch mal«, sagte er zu sich, »hier muss es doch irgendwo einen einzelnen Bergmann geben, den ich mir unter den Nagel reißen kann.« Als er schon fast keine Lust mehr hatte, stieß er auf einen Kumpel, der Löcher in die Strecke bohrte. Der Teufel kontrollierte, ob sonst niemand im Stollen war. Alles klar, die Luft war rein. Er rief: »He du, ich schätze, das ist heute nicht dein Glückstag!« Der Bergmann drehte sich um, sah den Teufel, behielt aber die Nerven. »Wieso? Gibt’s Probleme?« – »Na, dann schau mich mal richtig an, Freundchen!« – »Und?« – »Ich bin der Teufel!« – »Und?« – »Ich werde dich jetzt in die Hölle mitnehmen!« – »Verstehe«, sagte der Kumpel, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen. »Los geht’s«, sagte der Teufel. »Ich überlege nur grade, ob du nicht lieber gleich zwei Seelen mitnehmen möchtest?«, fragte der Bergmann kühl. Der Teufel stutzte. Klar, zwei Seelen waren besser als eine. »Wo ist denn diese zweite Seele?« Der Kumpel zeigte auf das Loch, das er gerade gebohrt hatte. »Hier drin! Der Bergmann ist gestern hier unten gestorben, und seine Seele hat noch nicht den Weg nach oben gefunden. Und als sie dich vorhin gehört hat, ist sie schnell hier reingekrochen.«
Offensichtlich war der Teufel nicht nur böse, sondern auch ziemlich doof, denn er stieg sofort auf die Geschichte ein. »Ja, dann her mit dem feigen Seelchen!« – »Pass auf«, sagte der Bergmann, »ich muss nur schnell hinter die Ecke da hinten und einen Krätzer holen. Damit kannst du dann die Seele aus dem Loch kratzen. Aber damit sie nicht abhaut, musst du solange deinen Fuß auf das Loch stellen!« – »Klar, mach ich«, sagte der Teufel und verschloss mit seinem Fuß das Bohrloch.

Der Bergmann war allerdings kein einfacher Bergmann, sondern ein Sprengmeister und hatte eben noch Sprengpatronen in die Löcher gesteckt. Er ging um die Ecke, wo natürlich kein Krätzer lag, sondern ein großer Sprengkasten stand. Der Sprengmeister schaute noch mal ums Eck und – wunderbar: Der Teufel presste seinen Fuß auf das mit der Patrone gefüllte Loch und winkte ihm zu, er solle sich beeilen. Seelenruhig drückte der Bergmann den Zündhebel des Sprengkastens herunter. Es rummste gewaltig – und der Fuß des Teufels war hin. Und weg. Fluchend und auf einem Bein hüpfend, machte er sich davon.
Noch wochenlang humpelte der Teufel durch die Hölle, bis er sich in der Rossschlachterei einen alten Pferdefuß besorgte und sich diesen ans Bein hexte. Richtige Prothesen gab’s damals noch nicht. An den Seelen der Bergmänner aber hatte der Teufel für immer das Interesse verloren.

Sauerländer Verlag
Sauerländer Verlag

Aus: „Ritter, Räuber, Spökenkieker. Die besten Sagen aus dem Ruhrgebiet“; ausgewählt von Dirk Sondermann, neu erzählt von Hartmut El Kurdi © Patmos Verlag/Sauerländer mit RUHR.2010
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