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Der Meister der Weihnacht

 

© London Stereoscopic Company/Getty Images
© London Stereoscopic Company/Getty Images

Charles Dickens war ein berühmter englischer Autor, er lebte von 1812 bis 1870. Dickens gilt geradezu als Erfinder des Weihnachtsfestes, so wie wir es kennen. Sein düsterer, geiziger Held Ebenezer Scrooge hat Millionen von Lesern mit seiner Herzenskälte erschreckt – und mit ihm haben sie gelernt zu erkennen, was an Weihnachten wirklich zählt: Wärme, Mitgefühl, Freude, Verständnis
Von Susanne Gaschke

Ebenezer Scrooge ist ein schrecklicher alter Mann. Einsam und bösartig sitzt er in seinem Londoner Kontor, leiht armen Menschen Geld aus, verlangt dafür Wucherzinsen und schert sich nicht darum, wenn seine unglücklichen Kunden im Schuldengefängnis landen und ihre Familien hungern und frieren müssen.
Doch eines Tages, kurz vor Weihnachten, erscheint dem hartherzigen Scrooge der Geist seines längst verstorbenen Geschäftspartners Marley und erschreckt ihn so sehr, dass Scrooge sich in einer einzigen Nacht bessert: Er wird zu einem Mann, der an andere denkt und der auf einmal einsieht, dass Weihnachten keine Zeitverschwendung, sondern ein wunderbares und fröhliches Fest ist.

Ein Bild zu einer Szene der berühmten Weihnachtsgeschichte; Bild: J Leech/Hulton Archive/Getty Images
Ein Bild zu einer Szene der berühmten Weihnachtsgeschichte; Bild: J Leech/Hulton Archive/Getty Images

„Ein Weihnachtslied in Prosa“ heißt diese Geschichte aus dem Jahr 1843. Und man kann ohne Übertreibung sagen, dass sie zu den berühmtesten Weihnachtserzählungen der Welt zählt. Geschrieben hat sie der Engländer Charles Dickens. Er lebte von 1812 bis 1870 und gehörte zu jenen seltenen Menschen, die als Erwachsene nicht vergessen, wie sie sich als Kind gefühlt haben. Auch deshalb gefallen seine Bücher – ein anderes berühmtes heißt „Oliver Twist“ – jungen und älteren Lesern gut.
Dickens liebte große Feste, bei denen die ganze Familie und viele Freunde zusammenkamen und wilde Spiele spielten, etwa Scharade. Deshalb mochte er Weihnachten so. Und er verstand es meisterhaft, von den Freuden des Winters zu erzählen: von endlosen Schlitterbahnen; von der rotglühenden Wärme des Kohlenfeuers, wenn es draußen schneidend kalt und neblig ist; von Gänsebraten und Würsten, Mandeln und Zimtstangen, Feigen und Datteln und Nüssen; von den Stechpalmen und Tannenzweigen, mit denen seine Zeitgenossen das Weihnachtsfest zu verschönern suchten.
Der Autor lebte in einem Jahrhundert, in dem es in London, wo seine Geschichten spielen, sehr viele arme Leute gab: Menschen, die für ihre Arbeit kaum bezahlt wurden. Achtköpfige Familien wohnten oftmals in einem einzigen Zimmer. Gerade unter Kindern waren Krankheiten und Unterernährung verbreitet. Viele starben. Für solche Familien war noch der winzigste Weihnachtsbraten ein unvorstellbarer Luxus.
Trotzdem waren sie begeistert von Dickens’ Erzählungen. Das ist erstaunlich. Sie hätten ja auch ärgerlich über jemanden sein können, der ihnen mit bloßer Fantasie den Mund wässrig machte. Aber so war es nicht. Vielmehr schien es, als ob ihr schweres Leben durch Dickens’ Weihnachtsfreude ein bisschen erträglicher wurde. Jedenfalls kamen sie zu Tausenden, wenn Charles Dickens seine Geschichten öffentlich vorlas.
Sicher mochten ihn die Leute auch, weil er selbst als Kind arm gewesen war. Seine Eltern hatten fast immer Schulden gehabt und sich nicht gut um ihn gekümmert. Zur Schule war er kaum gegangen, schon als zwölfjähriger Junge musste er lange Tage in einer Fabrik für  Schuhputzmittel schuften. Auch als er schließlich trotz aller Schwierigkeiten ein erfolgreicher Journalist und beliebter Autor geworden war, vergaß er nie, dass es anderen Menschen schlecht ging. Inzwischen lebte er in einem großen Haus, er trug modische Kleider (eine besondere Vorliebe hatte er für knallbunte Westen), er reiste viel und ging gern auf Feste.
Aber er spendete auch viel Geld für Waisenkinder und für junge Familien, die in Schwierigkeiten waren. Immer wieder setzte sich Dickens dafür ein, dass Arbeiter genug Lohn bekamen, um davon leben zu können.
Natürlich war selbst dieser Mann nicht nur gut: Seine Kinder triezte er zum Beispiel mit seiner wahnhaften Ordnungsliebe. Dauernd kontrollierte er ihre Zimmer und wurde wütend, wenn sich nicht alles genau dort befand, wo er es haben wollte. Er konnte auch richtig fies sein: Nachdem er einmal den berühmten dänischen Autor und Märchenerzähler Hans Christian Andersen zu sich nach Hause eingeladen hatte, kümmerte er sich gar nicht um seinen Besuch. Und als Andersen traurig wieder abgereist war, brachte Dickens im Gästezimmer sogar ein Schild an: „Hier schlief Hans Christian Andersen – viel zu lange!!“
Meistens aber war Charles Dickens fröhlich und für Scherze und Spiele zu begeistern. Er muss eine Art idealer Erwachsener gewesen sein, den man auch heute noch wirklich gut für die Weihnachtsferien gebrauchen könnte. Vielleicht schaff t Ihr es ja, Eure Eltern dazu zu bewegen, die Weihnachtsgeschichte von Ebenezer Scrooge mit Euch zusammen zu lesen. Dann sollte sich eigentlich der Weihnachtsstress, über den alle Mütter und Väter so gern klagen, ein wenig legen – und Platz machen für die Spiele und Vergnügungen, denen Dickens in seinen Geschichten ein so wunderbares Denkmal gesetzt hat.