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Die Flaschenpost

 
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Eine Geschichte von Silke Arends (Text) und Katja Mensing  Illustration)

Der Winter ist eine schöne Zeit für Sophie. Dann sind Papa und Opa oft zu Hause und Sophie kann dort sitzen, wo sie im Winter am liebsten sitzt: auf Opas Schoß. Sein alter Lehnstuhl steht in der Küche dicht beim großen Kachelofen. Der Ofen verbreitet eine so mollige Wärme, dass Sophie im Nu rote Wangen bekommt.

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Dass Sophie im Nu rote Wangen bekommt, hat aber auch damit zu tun, dass Opa gerne Geschichten erzählt, die spannend sind. Für Sophie sind das doppelt spannende Geschichten, denn sie weiß nie so genau, ob sie wirklich wahr sind.

gecko3Zum Schluss seiner »Döntjes« – so heißen Opas Erzählungen in Plattdeutsch – zwinkert er stets mit dem rechten Auge. Oma schimpft dann immer ein bisschen und meint, dass er viel zu viel »Seemannsgarn spinnt«. Und dann, kaum dass Opa seine Geschichte zu Ende erzählt hat, stellt ihm Oma sein Leibgericht auf den Tisch. Entweder Brathering. Oder gebratene Scholle. Oder Makrele. Oder Butt. Hauptsache Fisch!

Opa ist Fischer, deshalb isst er am liebsten, was zuvor im Meer geschwommen ist und Schuppen hat.

gecko-4Wenn es im Winter richtig eisig ist, kommt es vor, dass die Kutter im Hafen festfrieren und die Fischer zu Hause bleiben. Immer ist dann auch der Wind im Spiel, der an der Nordsee tagein, tagaus so heftig bläst, dass die schweren Taue an die Masten der Schiffe schlagen. Sophie mag dieses Geräusch, das der Winterwind bis in die mollig warme Küche von Omas und Opas Fischerhäuschen trägt, denn dann dauert es nicht lange und Opa beginnt zu erzählen.

gecko-5»Weißt du, mien Leev, bei diesem Wetter habe ich vor vielen, vielen Jahren eine Flaschenpost gefunden. Sie steckte in einer dicken Eisscholle, die das Meer bis in unseren kleinen Hafen getrieben hatte. Als ich die Flasche zu Hause aufmachte, fand ich darin einen Brief. Ein Mädchen mit dem Namen Meta, wohl so alt wie du, mien Leev, hatte ihn geschrieben. Ein Mädchen von der kleinen Insel Baltrum, das sich sehnsüchtig eine Puppe wünschte. Aber es gab keinen Spielzeugladen auf der Insel.

gecko-6Weil ja strenger Winter war und wir Fischer nicht aufs Meer hinausfahren konnten, legte ich den Brief in die Schublade, wo er bis zum Frühjahr warten musste. Warten musste auch die kleine Meta. Und dann war es so weit: Der Frühling kam und meine
erste Kutterfahrt führte mich nach Baltrum. An Bord hatte ich die Überraschung – ein niedliches Püppchen mit dicken roten Zöpfen.«

gecko-7Opa lächelt und zieht Sophie liebevoll an ihren beiden Zöpfen. Sophies Wangen sind wieder ganz rot vor Aufregung. Und wie immer kann sie es kaum erwarten, dass Opa weitererzählt.

gecko-8»Weißt du was, mien Leev, …«, sagt Opa endlich, »als ich dann auf der Insel ankam, wusste niemand etwas von der kleinen Meta. Keiner, aber auch gar keiner, das kannst du mir glauben, kannte das kleine Mädchen!« Oma, die am Herd steht und den Fisch für das Mittagessen brutzelt, runzelt ein wenig die Stirn.

gecko-9Opa lacht Sophie mitten ins Gesicht: »Ja, da stand ich nun … damals noch ein junger Mann, ein junger Fischersmann mit einer Puppe mitten auf der Insel! Da hatte ich erst mal Hunger. Im »Inselkrug« gab es Fisch zum Sattessen. Meta hieß die junge Frau, die in der Küche die leckeren Schollen gebraten hat. Und weißt du was, mien Leev, diese Meta hatte Zöpfe – wie du und die Puppe!«

gecko-10Sophie macht große Augen. »Tja …«, sagt Opa und lehnt sich genüsslich in seinem Stuhl zurück, »da wusste ich plötzlich: Die Flaschenpost von der kleinen Meta war schon viele, viele Jahre unterwegs gewesen, bevor sie endlich in unserem Hafen angekommen war. Denn, denn … aus dem kleinen Mädchen von der Insel, das sich so sehnsüchtig eine Puppe gewünscht hatte, war längst eine Frau geworden, die wunderbar Fisch braten konnte! Und darum habe ich sie geheiratet! Ja, ja, … so war das, nicht wahr, Meta?«

gecko-11Opa schmunzelt und Oma Meta stellt in diesem Moment eine große Pfanne mit wohl duftendem Fisch auf den Tisch.

gecko-12Nun weiß Sophie, woher die Puppe mit den dicken roten Zöpfen kommt, die einen Ehrenplatz in Omas Sofaecke hat. Und Sophie hat genau gesehen, dass Opa dieses Mal nicht mit seinem rechten Auge gezwinkert hat.

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Silke Arends ist Redakteurin und Autorin. Sie ist nah amMeer geboren und eine waschechte Ostfriesin. Dort, wo immerzu die Wellen an den Strand schlagen und ein kräftiger Wind weht, sind auch ihre drei Töchter geboren. Sie hat einige Bücher über Ostfriesland geschrieben und auch ihr Kinderbuch »Klabautermann und die verschwundenen Kapitänslöffel« spielt an der See.

Katja Mensing, Jahrgang 1968, hat in Essen auf der Folkwang-Schule und ein halbes Jahr in Helsinki studiert. Katja Mensing illustriert amliebsten Kinderbücher, sie schreibt auch selbst. Mit ihrer Familie – sie hat zwei Kinder – lebt sie in Ahrensburg bei Hamburg (Internet: www.katjamensing.de).

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