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Dominik und Jan bezwingen die Alpen

 

Eine Geschichte von Georg K. Berres (Text) und Tom Eigenhufe  Illustration)

Lieber wären Dominik und Jan mit ihren Eltern in die Alpen gefahren, aber sie müssen zur Oma. Oma ist in Ordnung, doch sie wohnt nicht in den Alpen, sie wohnt in einer Mietskaserne. Die Brüder staunen nicht schlecht, als sie im Hausflur die mächtige
Steintreppe sehen, die grau und breit und steil nach irgendwo oben führt. »Bombastisch wie das Matterhorn!«, findet Jan.

Dominik und Jan packen Taschenlampen, Tagebuch, Buntstifte und ihr Kinder-Fernglas in den Rucksack. Oma spendiert ihre Wäscheleine. Damit sichern sich die Teilnehmer der Expedition gegen Absturz: Als erster knüpft Dominik sich die Leine um den Bauch, dann kommt Jan, dann Jonny Einbein – Jans behinderter Teddybär, ihm fehlt die linke Hinterpfote. Der muss auch mit.
Kühl liegt das Treppenhaus vor ihnen. »Ein großer Schritt für uns!«, ruft Dominik, »ein kleiner Schritt für die Alpen« und nimmt gleich zwei Stufen.

Auf dem ersten »Hochplateau« erwartet sie eine spiegelblanke Wasserlache. »Vorsicht, reißender Gebirgsbach!«, warnt Dominik. »Ein Klacks für unser Team!«, sagt Jan und nimmt Jonny Einbein auf die Schultern. Dann springen sie los, von einer trockenen Steinplatte zur andern, und erreichen mühelos die nächste Treppe. Die Putzfrau wringt ihren Putzlappen aus und schüttelt den Kopf.

Eine Yuccapalme auf einem Podest. »Das ist eine verdorrte Krüppelkiefer», sagt Dominik, »damit sind wir an der Baumgrenze,
das heißt: mindestens 1000 Meter hoch.« Er hockt sich auf den Steinfußboden und holt aus dem Rucksack Tagebuch und Buntstifte. Jan soll die Pflanze abmalen, zur »Dokumentation« – alle berühmten Bergsteiger machen aus ihren Erlebnissen ein Buch. Das wollen sie auch.

»Gibt’s in den Alpen Tiere?«, fragt Jan. »Klar«, antwortet Dominik, »Adler. Und Murmeltiere. Ja, und Gemsen. Wieso?« Jan zeigt in eine düstere Ecke im Flur, wo sich etwas bewegt. Das Etwas huscht nach oben. »Eine Gemse!«, schreit Jan und rennt hinterher. Es gibt drei Wohnungen. »Wo ist sie hin?« »Miau!«, antwortet die Gemse aus der mittleren Wohnung.

Die Brüder stoßen die angelehnte Türe auf. »Ist da jemand?«, fragt die Stimme einer älteren Dame. »Wir sind Bergsteiger«, erklärt Dominik. »Und haben eine Gemse verfolgt«, sagt Jan, »bis in deinen Flur.« »Quatsch Flur!«, widerspricht Dominik leise, »das ist ‘ne Höhle. Eine kleine, gemütliche Höhle mitten in einem eisigen Gletscher!« Die Dame lacht: »Mieze ist wieder raus beim Balkon.«

Sie dürfen sich aufs Sofa setzen und bekommen Kakao, auch Jonny Einbein. »Mein Mann und ich waren früher oft in den Bergen«, erzählt die Dame und zeigt ihnen Unmengen Fotos. »Interessant«, sagt Dominik höflich und trinkt seinen Kakao aus: »Danke, aber wir müssen weiter. Der Gipfel ruft.«

Der nächste Treppenabsatz: »Gleich passieren wir eine gefährliche Stelle«, sagt Dominik in gedämpftem Ton, »die Höllen-Klamm!« »Kann man da runterfallen?« »Nicht, wenn wir eng beisammen bleiben!« Mutig klettert Dominik voran. Am oberen Ende der Treppe ist eine Eisentür. Dominik drückt die Klinke.

Mit großen Augen betreten sie einen Dachboden voller Krempel. »Geschafft«, sagt Dominik stolz, »auf der Spitze des Matterhorns! Spürst du die grandiose Einsamkeit?«

»Was treibt ihr hier?«, fragt ein Mann in Schwarz, der sich durch das schmale Dachfenster hereinzwängt. »Bist du der sagenhafte Schneemensch?«, will Jan wissen. »Bin ich nicht«, antwortet der schwarze Mann, »ich reinige die Kamine.« »Ach, du bist Schornsteinfeger.« Der Schornsteinfeger brummt irgendwas und steigt die Höllen-Klamm hinab als wäre das nichts.

Jan blickt mit Jonny Einbein aus dem Fenster. Der Wind zerrt an ihren Haaren. Kirchturmspitzen, Kuppeln, rote Ziegeldächer, mehr ist hier oben von der Stadt nicht zu erkennen. Jan macht eine Zeichnung. Für ihr Buch.

Dominik sagt: »Morgen geht’s in die Dolomiten. Und übermorgen … vielleicht in den Himalaya!« Jan ist begeistert: »Das werden die besten Ferien, die wir je hatten!«

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Georg K. Berres, geboren in Köln, studierte Medienwissenschaft, Germanistik und Psychologie. Bei seiner Arbeit für eine Tageszeitung traf er Kaninchenzüchter, Schützenköniginnen, Politiker – Menschen, die ihn inspirierten zu Krimis und Kindergeschichten. Er lebt und schreibt in Köln und München.

Tom Eigenhufe ist freischaffender Pinguinzüchter auf den Kanarischen Inseln. Da in den warmen Wintermonaten die Pinguinzucht nahezu unmöglich ist und seine Pinguine in den noch wärmeren Sommermonaten Urlaub in der Skihalle von Dubai machen, hat er des Öftern Zeit zum Illustrieren (Homepage: www.eigenhufe.de).

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