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Was gibt’s da zu sehen?

 

Illustration: Jan Kruse

In Nordrhein-Westfalen wird am Sonntag gewählt – und ganz Deutschland schaut zu. Besonders gespannt ist Bundeskanzlerin Angela Merkel

Von Matthias Krupa

An diesem Sonntag wird gewählt. „Schon wieder?“, fragt Ihr jetzt vielleicht. So lange ist es doch noch gar nicht her, dass überall die großen Plakate hingen, auf denen zum Beispiel Angela Merkel und Guido Westerwelle zu sehen waren. Wo sind denn diesmal die Plakate?
„Na, bei uns!“, werden einige von Euch sagen, wenn sie in Köln oder in Essen wohnen. In Stuttgart oder Cottbus hingegen gibt es keine Plakate. Jedenfalls keine, die für eine Partei, etwa für die CDU oder die Grünen oder die Piratenpartei werben würden. (Ja, eine Piratenpartei gibt es wirklich! Sie setzt sich aber nicht für Seeräuber ein, sondern interessiert sich besonders fürs Internet.) Warum in einigen Städten Plakate zu sehen sind und in anderen nicht, ist einfach zu erklären: Gewählt wird am Sonntag nur in einem Teil von Deutschland, in Nordrhein-Westfalen. Essen und Köln gehören dazu, Cottbus und Stuttgart nicht.

Trotzdem sprechen die Menschen in diesen Tagen überall in Deutschland über diese Wahl. Manche sagen: „Danach wird in Berlin endlich wieder regiert. Dann verraten die Merkel und der Westerwelle, was sie vorhaben!“ Und das ist nun wirklich merkwürdig: Was hat das, was die Bundeskanzlerin und der Außenminister in Berlin machen, mit der Wahl in einem Teil von Deutschland zu tun? Ganz einfach: Angela Merkel und Guido Westerwelle möchten in Berlin nichts tun, was die Menschen in Nordrhein-Westfalen davon abhalten könnte, ihre Parteien, die CDU und die FDP, zu wählen.

Sicher wisst Ihr, dass Deutschland aus 16 Bundesländern besteht. Bayern etwa ist ein solches Bundesland, auch Thüringen oder Schleswig-Holstein. Man kann es sich wie ein Puzzle vorstellen: 16 Bundesländer, die zusammen ein Deutschland ergeben. Für ganz Deutschland gibt es eine Regierung – mit Angela Merkel und Guido Westerwelle an der Spitze. Außerdem hat aber auch noch jedes dieser 16 Länder eine eigene Regierung und ein eigenes Parlament. Und deshalb findet auch in jedem Bundesland eine eigene Wahl statt: Meist heißt sie Landtagswahl.

Nun sind die 16 Länder unterschiedlich groß. Das kleinste Land von allen hat 660 000 Einwohner und besteht eigentlich nur aus zwei Städten, Bremen und Bremerhaven. In Nordrhein-Westfalen dagegen leben fast 18 Millionen – das ist beinahe ein Viertel aller Menschen in Deutschland. Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland mit den meisten Einwohnern, den meisten Wählern und auch den meisten Fußballbundesligavereinen: Köln, Bochum, Dortmund, Schalke, Mönchengladbach, Leverkusen – sie alle gehören dazu. Und weil das Land so groß und der Name ziemlich lang ist, kürzt man ihn meistens ab: Aus Nordrhein-Westfalen wird NRW.

Und eben weil hier besonders viele Menschen leben, ist es für alle Parteien sehr wichtig, wie sie bei der Wahl am kommenden Sonntag abschneiden. Wer in NRW erfolgreich ist, kommt meistens auch im Rest Deutschlands gut an. Dasselbe gilt aber auch umgekehrt, also wenn man keinen Erfolg hat. Vor fünf Jahren zum Beispiel hat die SPD in NRW haushoch verloren. Vorher hatte sie dort aber fast 40 Jahre lang regiert. Der damalige Bundeskanzler, Gerhard Schröder von der SPD, war so entsetzt über das schlechte Ergebnis seiner Partei, dass er noch am selben Abend für ganz Deutschland Neuwahlen ankündigte; diese Neuwahlen hat er dann gegen Angela Merkel von der CDU verloren.

An diesem Sonntag sind es vor allem die Parteien CDU und FDP, die Angst vor einer Niederlage haben. Denn beide Parteien bilden nicht nur die Bundesregierung in Berlin, sie haben in den vergangenen fünf Jahren auch in NRW gemeinsam regiert. Eine Niederlage am Sonntag wäre daher doppelt schlecht für sie. Zunächst müsste in NRW eine neue Regierung gebildet werden. Vielleicht würde sogar der bisherige Ministerpräsident (so nennt man den Chef eines Bundeslandes) abgelöst: Er heißt Jürgen Rüttgers und gehört zur CDU. Vielleicht müsste sich die CDU in NRW auch nur einen anderen Partner suchen, etwa die Grünen oder die SPD.

In jedem Fall würde sich für die Menschen im Bundesland manches verändern. Denn darum geht es ja bei Wahlen: Die Wähler entscheiden darüber, welche Parteien regieren – also welche Politik gemacht wird, zum Beispiel für die Schulen. SPD und Grüne wollen – genauso wie die Linkspartei –, dass die Grundschule in NRW nicht wie bisher schon nach vier Jahren endet, sondern dass alle Schüler länger gemeinsam lernen. Die CDU will das nicht.

Für manche Dinge sind in Deutschland die Länder zuständig, also die Ministerpräsidenten und die Abgeordneten der Landtage: für die Schulen zum Beispiel oder für die Polizei. (Achtet einmal darauf, wenn Ihr verreist: Die Polizisten tragen in den Bundesländern verschiedene Uniformen.) Viele andere Dinge werden von der Bundesregierung und den Abgeordneten des Bundestags entschieden – für ganz Deutschland. Dazu gehören besonders wichtige Fragen wie die, ob deutsche Soldaten in andere Ländern (wie im Augenblick nach Afghanistan) geschickt werden sollen.

Es gibt aber auch Entscheidungen, die beide, Bund und Länder, gemeinsam treffen müssen. Etwa die Frage, wie viel Geld die Bürger an das Land zahlen müssen, also wie hoch die Steuern sind. Deshalb treffen sich alle 16 Ministerpräsidenten einmal im Monat in Berlin. Diese Versammlung nennt man den Bundesrat.

Für die Bundeskanzlerin ist es wichtig, dass in den 16 Bundesländern möglichst viele Ministerpräsidenten regieren, die zu ihrer eigenen Partei gehören – und die ihr helfen. Besonders viel Einfluss hat bei diesen Entscheidungen natürlich ein so großes Bundesland wie NRW.

Deshalb drückt Angela Merkel ihrem Parteifreund Jürgen Rüttgers am Sonntag ganz fest die Daumen. Und deshalb wäre es für die SPD ein besonders großer Erfolg, wenn sie in NRW gewinnen würde. Sie könnte dann nämlich auch in Berlin wieder ein bisschen mehr mitbestimmen.