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Nicht nur traurig

 

Ein Hospiz ist ein Ort, an den Menschen kommen, um zu sterben. Das klingt zunächst ganz furchtbar. Im Kinderhospiz »Arche Noah« geht es aber auch fröhlich zu

Von Monika Klutzny mit Fotos von Joanna Nottebrock

Die meisten Menschen, denen ich vom Besuch im Kinderhospiz »Arche Noah« in Gelsenkirchen erzähle, schauen erst einmal ungläubig und skeptisch. Das wundert mich nicht. Auf dem Weg dorthin war es auch in meinem Kopf ganz grau und dunkel, er war voller trauriger Gedanken an den Tod und das Sterben. Nach meinem Besuch hatten sich lauter bunte und helle Bilder zu den grauen und dunklen gesellt und einige sogar verdrängt. In einem Kinderhospiz geht es nämlich oft auch fröhlich zu.

Das Wort Hospiz kommt vom lateinischen Wort hospitium und heißt Herberge. Seit rund 50 Jahren gibt es eine weitere Bedeutung des Wortes: Hospiz nennt man einen Ort, an den man zum Sterben geht. Die Idee, Häuser zu errichten, wo Menschen in den Tod begleitet werden, stammt aus England. Ein Kinderhospiz will aber mehr sein, vor allem eine »echte« Herberge. Die Gäste sind schwerstkranke Kinder. Sie werden dort nicht – wie in Hospizen für Erwachsene – erst in ihren letzten Lebenswochen aufgenommen, sondern kommen immer wieder für ein paar Tage oder auch Monate. Manchmal brauchen die Eltern der Kinder eine Ruhepause oder müssen Urlaub machen. Die Pflege eines schwerstkranken Kindes ist nämlich eine Aufgabe, die sehr viel Kraft kostet und eine Familie Tag und Nacht fordert. Oft sind auch noch gesunde Geschwister da. »Schattenkinder« nennt man sie, weil sie hinter ihren kranken Geschwistern zurückstehen müssen.
Tim ist schon mehrmals in der »Arche Noah« gewesen. Er ist elf Jahre alt und sitzt im Rollstuhl. Er braucht Hilfe bei allen Dingen, die gesunde Kinder ganz allein erledigen können. Seine Krankheiten haben komplizierte Namen. Tim kann nicht allein essen, zur Toilette gehen oder duschen. Er kann nicht sprechen, sondern nur Laute ausstoßen, die erkennen lassen, ob ihm etwas gefällt oder nicht. Vieles kann man von seinem Gesicht ablesen: ob er sich freut oder traurig ist, ob er müde ist oder genervt. Die Ursache seiner Krankheiten ist, dass er zu früh geboren wurde. Das trifft für viele Kinder hier zu. Auch bei Mehrlingsgeburten kommen Kinder oft zu früh auf die Welt. Manche sind gesund, andere nicht.

»Wir erklären den Kindern, dass sie bei uns Urlaub machen, genau wie ihre Eltern und Geschwister, nur an einem anderen Ort«, sagt Inka Voß. Sie ist dafür zuständig, dass es den Kindern im Hospiz gut geht und dass sie auch Spaß haben. Die meisten kommen mehrmals im Jahr und werden häufig von derselben Mitarbeiterin betreut. Jeden Tag wird ein Programm geplant: An meinem Besuchstag sollten eigentlich die Klinikclowns auftreten, aber einer war krank. Deshalb musste schnell etwas anderes überlegt werden: »Snoezelenzimmer«! Snuselenzimmer wird das ausgesprochen, ein holländisches Wort, das einen Raum zum Entspannen meint.

Das Snoezelenzimmer ist ganz weiß und in ein mildes Licht getaucht. Schimmernde Kreise, die von einer leuchtenden Säule projiziert werden, wandern an den Wänden entlang. Tim liegt auf dem Boden in einer Ecke des Raumes ganz still im Arm seiner Betreuerin. Er beobachtet Lichtschlangen, die aus einer Kiste quellen und ihre Farbe wechseln. Man kann sehen, dass ihm das Lichtspiel gefällt. Tims Gesicht und Körper sind ganz entspannt, wenn er sich gut fühlt. Irgendwann aber wendet er unwillig seinen Kopf ab und zappelt ein bisschen herum. »Ich mag nicht mehr!«, heißt das. Manches, was in dem Jungen vorgeht, findet man aber auch nicht heraus: ob er den Unterschied zwischen seinem Leben und dem der gesunden Menschen wahrnimmt und darüber traurig ist? Ob er darüber nachdenkt, dass sein Leben vielleicht nicht mehr lange dauert?

Am Nachmittag wird im Hospiz oft aus Bilderbüchern vorgelesen oder Musik gehört. Musik mögen die Kinder besonders gern. Aber sie lieben es auch, zu malen. Ein schöner Regenbogen aus lauter bunten Abdrücken von Kinderhänden schmückt das große Fenster im Wintergarten. Jede Woche kommt eine neue Farbe dazu. Diese Woche ist Lila an der Reihe. Manchmal gibt es auch ganz besondere Aktionen. In diesem Jahr haben Kinder und Betreuer am Karnevalsumzug teilgenommen. Der Verein Heart-Kick, der die schwer kranken Kinder unterstützt, hatte einen Transporter beschafft, auf den eine riesige Arche gebaut wurde. (Der Name des Kinderhospizes geht ja auf die Bibelgeschichte über das Schiff Arche Noah zurück.) Die Mutter eines im Hospiz verstorbenen Kindes hatte Tierkostüme für alle genäht, riesige Mengen Bonbons wurden gekauft, und am Rosenmontag ging’s los. »Die Kinder waren total aufgeregt«, sagt Inka Voß. »Sie haben Kamelle in alle Richtungen geworfen.«

Doch trotz aller Fröhlichkeit gehört auch das Sterben zum Alltag im Kinderhospiz. Im Garten gibt es eine Stätte der Begegnung. Unter schattigen Büschen, die von der Straße abschirmen, hängen Täfelchen mit den Namen derer, die hier gestorben sind. »Wenn ein Kind stirbt, ist das sehr traurig für uns alle. Dann weinen wir natürlich«, sagt Inka Voß. Aber alle können sich von dem Kind verabschieden. Manchmal wollen die anderen Jungen und Mädchen das tote Kind anfassen – und das dürfen sie auch. Oft begreift man so besser, dass jemand wirklich nicht mehr aufwacht, auch wenn er aussieht, als ob er nur schliefe. Ist das nicht eine sehr schwere Arbeit für Inka Voß? »Komisch, das werde ich oft gefragt«, sagt sie. »Ich mache aber eigentlich eine Arbeit, die wie jede andere ist: manchmal anstrengend, manchmal traurig, oft aber auch schön und lustig.«