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Die Sandkünstler

 

Burgen am Strand aufhäufen kann jeder. In Berlin haben Profis riesige Skulpturen aus Sand gebaut. Wie das geht, können dort auch Kinder lernen

Von Ulrike Linzer und Fotos von Julian Röder

Hinter einem hohen Zaun stapeln sich Fernseher aus Sand. Aus Sand? Ja, aus Sand! In Berlin haben Künstler aus aller Welt riesige Sandskulpturen gebaut. Die Pyramide aus Fernsehern ist das größte Werk auf dem Sandsation-Gelände am Ostbahnhof. Sie ist zehn Meter hoch, also so hoch wie der höchste Sprungturm in manchen Freibädern. Sieben Leute haben an dem Fernsehergebilde mitgebaut, eine ganze Woche lang.
»Carver« nennt man diese Künstler. Das kommt vom englischen Verb carve, das ausschneiden, schnitzen bedeutet. Viele Carver haben ihre ganz eigene Technik: Einer nimmt den Löffel seiner Großmutter, andere arbeiten mit Eisstielen, Strohhalmen oder Zahnbürsten. Das machen sie aber erst beim Feinschliff am Schluss. Stück für Stück bereiten sie zunächst ihr Baumaterial vor, klopfen den Sand immer wieder fest und befeuchten ihn mit Wasser.

»Aus Sand Skulpturen zu machen hat eine lange Tradition«, sagt Martin Tulinius. Er ist der Chef auf dem Berliner Gelände. »Schon die australischen Ureinwohner, die Aborigines, und die alten Ägypter formten solche Figuren.« Sudarsan Pattnaik ist einer der Stars unter den Künstlern, die in diesem Jahr nach Berlin gekommen sind. Er kniet tief im Sand, kneift die Augen zusammen und malt mit seinen Fingernägeln feine Striche. Die Fingernägel sind sein Markenzeichen, sie sind ganz lang, wie Krallen. Der kleine, schwarzhaarige Mann aus Indien baut schon seit seiner Kindheit Sandskulpturen. Heute ist er 33 Jahre alt und hat in seinem Heimatdorf sogar eine Sand-Akademie gegründet, wo er das Carven unterrichtet. Was er an dem Material so toll findet? »Ich kann meine Fantasie spielen lassen und alles bauen, was mir gerade einfällt.« Dass seine Kunstwerke nur ein paar Wochen oder Monate halten – die am Strand sogar nur zwei oder drei Tage – stört ihn überhaupt nicht. »Das Leben ist auch nicht ewig«, sagt Sudarsan, »man muss den Moment einfangen.«
Auf dem Berliner Festival buddeln aber nicht nur die Profis, Besucher dürfen auch selber bauen. An den Wochenenden finden Workshops statt, bei denen Kinder von den Carvern deren Handwerk lernen und Sandkunstwerke bauen können. Nicht so große wie den Turm aus Fernsehern – dafür würde man ja eine Woche brauchen – aber mit derselben Technik geformt.

Anton, Maxi und Amelia wollen das heute lernen und stapfen auf ihren Lehrer Frank Beuthan zu. Er steht auf einem Sandhaufen, neben ihm die Kunstwerke der Kinder vom letzten Wochenende: ein Haus, ein Pferdekopf, ein Auto, ein Baum und einige Fantasiefiguren. »Habt ihr schon mal was mit Sand gemacht?«, fragt Frank. »Na klar, Sandburgen an der Ostsee«, antwortet der neunjährige Anton. Der elfjährige Maxi und seine Schwester Amelia, 9 Jahre, nicken. »Aber das hier geht ganz anders«, sagt Frank. Der Sand werde nämlich nicht einfach aufeinandergeschaufelt. »Wir machen einen großen, festen Sandblock, aus dem wir die Skulptur herausschnitzen. So wie man es mit Stein- oder Holzskulpturen macht«, sagt der Fachmann.
Amelia möchte wissen, wie viel Sand eigentlich um sie herum auf dem Gelände verteilt ist. »2200 Tonnen«, sagt Frank, »das sind 87 Lastwagen voll.« Drei Tage lang wurde er herangekarrt. Und es ist kein normaler Sand, wie man ihn vom Strand kennt, erklärt Frank den Kindern. »Er kommt aus einer Sandgrube. Der Lehmanteil darin ist höher, so kann man besser damit bauen.«

Und damit geht es dann los: Frank schaufelt etwas Sand in eine Holzvorrichtung, eine Kiste, die oben offen ist. Sie wird »Malle« genannt. Dann spritzt er etwas Wasser hinein und stampft es mit einer Art flachem Hammer fest. Anton, Amelia und Maxi machen es ihm nach. Schaufeln, spritzen, stampfen – bis die Malle voll ist. Als sie die Holzbretter abnehmen, bleibt ein harter Sandblock zurück. »Man muss bei der Vorbereitung ganz sorgfältig sein, dann gehen die Kunstwerke später nicht so leicht kaputt«, sagt Frank zu den dreien. Wird der Sand vorher hart genug gestampft, können die Skulpturen auch von einem Sommergewitter nicht zerstört werden. So wie die großen Gebilde auf dem Festivalgelände, die dort noch bis Ende August stehen sollen.
Die Kinder müssen nun entscheiden, was für eine Figur sie aus ihrem Block herausschnitzen wollen. Amelia schlägt ein Kreuzfahrtschiff vor und ein Hochhaus. Anton will das Kanzleramt bauen, Maxi einen Ritterkopf oder eine Raupe. »Ihr könnt alles machen, was ihr wollt, ihr müsst euch nur einig sein«, sagt Frank. Amelia, Maxi und Anton entscheiden sich schließlich für ein Ananas-Haus, wie sie es aus einer Comicserie kennen.

Zuerst zeichnen sie mit Messern die Umrisse einer Ananas auf alle vier Seiten des Blocks. Den Sand außerhalb der Linien nehmen sie mit Drahtschlingen weg. »Nicht zu viel abkratzen«, sagt Frank, »wenn der Sand einmal weg ist, kann man es nur schwer reparieren.« Doch die Warnung kommt zu spät! Ein Blatt der Ananas ist abgefallen. »Ach, nicht so schlimm«, sagt Amelia. »Und wollen wir nicht noch Augen haben?« Alle drei machen sich sofort an die Arbeit, und als die jungen Sandkünstler fertig sind, hat ihre Ananas – acht Augen. Darüber müssen sie lachen, und Anton sagt: »Dann ist es eben eine Alien-Ananas.«
Ganz schön lange hat das gedauert, findet Amelia nach eineinhalb Stunden Arbeit. Aber dafür können die Kinder in diesem Sommer vielleicht mit ihren Baukünsten am Strand glänzen. Jetzt will Amelia aber erst einmal ein Eis: »Aber ein echtes, keins aus Sand!«

Die elf Wettbewerbsskulpturen sowie die Großskulptur „Zapp, Zapp, Zapp“, ein zehn Meter hoher „Fernsehturm“, sind noch bis zum 29. August auf dem Sandsation-Gelände am Ostbahnhof in Berlin zu sehen. Das Gelände ist von 10 Uhr bis 20 Uhr geöffnet, freitags und samstags bis 23 Uhr. Der Eintritt kostet 6 Euro (ermäßigt 5 Euro), Kinder ab 4 Jahre bezahlen 3 Euro. Samstags und Sonntags von 14 bis 18 Uhr laden Berliner Sandkünstler zu kostenlosen Carving-Workshops ein.