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Hänsel und Gretel gehn Mümmelmannsberg

 

© Kerstin Schomburg/ Schauspielhaus

Am Schauspielhaus in Hamburg hat am Samstag ein ganz besonderes Theaterstück Premiere. Hänsel und Gretel klingt zwar ein bisschen nach Weihnachtsmärchen für die Kleinen, ist aber nur die Hälfte des Titels.

Die Geschwister gehen nach Mümmelmannsberg, eine Hamburger Hochhaussiedlung, in der es genau die Probleme gibt, unter denen viele Jugendliche leiden: Viele Menschen aus verschiedenen Ländern, eine hohe Arbeitslosigkeit, viele Kleinkriminelle und Gewalt und der Wunsch vieler, einfach von hier weggehen zu können.

Regisseur Volker Lösch hat sich rund um die bekannten Textzeilen der Brüder Grimm die bittere Wahrheit unseres Alltages vorgenommen und den ganz alten Märchenstoff um Texte und Sprachfetzen von Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern ergänzt. Gespielt wird das Stück nun von professionellen Schauspielern, die zum Ensemble des großen Theaters gehören, und einundzwanzig Kindern der Gesamtschule Mümmelsmannberg. Also Kindern, deren Eltern sie nicht bereits mit drei Jahren zu Ballett und Musikkursen angemeldet haben, weil sie kein Geld für diese frühe Förderung haben. Kinder mit sieben verschiedenen Nationalitäten, die mit viel Freude und Ehrgeiz an dem Theaterprojekt mitgemacht haben und deren schauspielerisches Talent erst im Laufe der gemeinsamen Arbeit geweckt wurde.

Hänsel und Gretel wurden von ihrer Mutter in den Wald geschickt, weil sie nicht genug zu Essen für die beiden Kinder hatte. Bittere Armut trieb die Mutter zu diesem Entschluss. Armut ist das Stichwort, dass Regisseur Völker Lösch aufgegriffen und zusammen mit den Kindern seines Theaterprojektes auf den Alltag in einer Großstadt wie Hamburg übertragen hat. Denn was bedeutet es, arm zu sein? Die nüchternen Statistiken sagen, dass in der reichen Stadt an der Elbe jedes dritte Kind unterhalb der Armutsgrenze lebt. Kinder, die mit ihren Eltern von vielen Sachen ausgeschlossen sind, die Spaß machen. Kinder, für die ein Besuch im Schwimmbad, im Theater oder auch nur ein Eis auf dem Nachhauseweg unerreichbarer Luxus sind. Die nicht gewohnt sind, sich an einen üppig gedeckten Tisch setzen zu können, weil den Eltern das Geld fehlt, verschiedene Lebensmittel und vor allem frisches Obst und Gemüse kaufen zu können.

In dem Theaterstück kommen jetzt die Kinder und ihre Eltern zu Wort, die sich aus der Gesellschaft, wie sie im Fernsehen und auf Plakaten vorgespielt wird, ausgeschlossen fühlen. Und die sich in einer Stadt wie Hamburg, wo die Mieten und die Kosten für das tägliche Leben immer weiter steigen, nicht mehr willkommen fühlen. Sie kommen aus Mümmelmannsberg, einem Stadtteil, über den immer viel Schlechtes gesagt wird, der aber auch seine guten Seiten hat, die viele, die von Außen nur auf die tristen Hochhäuser gucken, aber gar nicht kennen wollen.

In Mümmelmannsberg gibt es viel Hilfe unter den Nachbarn, eine Gesamtschule, die ein Zuhause für die Kinder der Umgebung bietet und Lehrer, die ihre Aufgabe sehr ernst nehmen, und den Kindern neben dem, was im Lehrplan steht, auch vieles beibringen, was ihnen auf ihrem künftigen Lebensweg helfen wird.

Aufgelockert wird das Stück durch Musikfetzen aus Engelbert Humperdincks Oper Hänsel und Gretel, kitschig-schön wie vor Zucker triefender Lebkuchen.

Die öffentliche Generalprobe ist am 24. September, Premiere am 25. September. Weitere Aufführungstermine unter www.schauspielhaus.de

Sandra-Valeska Bruhns